Gerechtigkeit und Balance in Beziehungen
Hatten Sie jemals das Gefühl, in einer Beziehung ungerecht behandelt zu werden? Haben Sie selbst jemanden in einer Beziehung ungerecht behandelt? Oder war gar eine ganze Beziehung nicht im Gleichgewicht?
Mein heutiger Artikel beleuchtet die psychologischen Hintergründe und zeigt auf, dass das Thema Gerechtigkeit bereits bei der Partnerfindung eine wichtige Rolle spielt. Die positive Botschaft des Artikels ist, dass wir einiges tun können, damit unsere nächste Beziehung in Balance sein wird!
Wenn Sie nicht so viel lesen möchten, können Sie auch gerne ohne die psychologischen Theorien und Beispiele sogleich zum Abschnitt Zusammenfassung und Schlussfolgerungen gehen.
Ein Blick in die Theorie: Beobachtungen und persönliche Erfahrungen
Ich lese gerade das Buch „Entitlement and the affectionate bond“, welches eine Serie von kulturübergreifenden Artikeln mit Beobachtungen und Überlegungen zur „Gerechtigkeitstheorie sozialer Beziehungen“ umfasst.
Fast zeitgleich machte mir in der Beratung die Beschreibung eines Klienten noch einmal deutlich, in welchem hohen Ausmaß unsere Zufriedenheit in Beziehungen tatsächlich von unserem Erleben von Gerechtigkeit abhängt:
- Mein Klient war damals in einer Verbindung mit einer polyamor lebenden Partnerin, wobei er aber selbst keine polyamoren Beziehungen pflegte. So entstand bei ihm zunächst der Gedanke, ob er nicht auch selbst polyamore Beziehungen pflegen sollte, damit kein Ungleichgewicht entstehen sollte. Bei näherer Überlegung verneinte er jedoch diese Frage für sich, da er in vielfache andere sinnerfüllte Bezüge eingebettet war und gar keine polyamoren Kontakte wollte. Genau diese Antwort machte es ihm wiederum möglich, an der Verbindung damals festzuhalten und sie als positiv zu erleben, auch wenn sie später aus anderen Gründen auseinanderging.
Gerechtigkeit und Balance: Erste Überlegungen
Was hat die Erfahrung meines Klienten mit Gerechtigkeit zu tun? Wie wirkt sich Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit auf unsere Beziehungen aus? Was können oder sollten wir sogar bereits bei der Partnersuche tun, damit Gerechtigkeit und Balance in unseren Beziehungen entstehen? Auf diese Fragen gehe ich im Folgenden ein.
Eine kurze Darstellung der Theorie
Zunächst aber eine ganz kurze und kursorische Darstellung der Theorie:
Gerechtigkeitstheorien der Liebe sind in der Literatur als „Equity theories of love“ bereits seit Langem bekannt. Sie sind eine Weiterentwicklung der sozialen Austauschtheorie, die vereinfacht annimmt, dass Beziehungen ein Austausch von Belohnungs- und Bestrafungsreizen sind und wir in Beziehungen glücklich werden, wenn die Belohnungen die Bestrafungen überwiegen.
Belohnungen und Bestrafungen in Beziehungen
Eine Belohnung kann, aber muss keineswegs ein materieller Gegenstand wie Geld oder eine leckere Nachspeise sein. Ebenso können etwa ein Lächeln, eine Berührung, Zuhören und unzählige weitere Dinge, die in Liebesbeziehungen eine große Rolle spielen, belohnend wirken. Gleiches gilt für Bestrafungen.
Was wir dabei in Liebesbeziehungen als belohnend oder bestrafend erleben, ist wiederum zwischen Menschen sehr unterschiedlich und hängt sowohl vom aktuellen Kontext als auch unserer gesamten Lebensgeschichte ab. Mit dieser sind wiederum unsere Einstellungen, Werte und ethischen Überzeugungen auf das Engste verbunden.
Subjektive Wahrnehmung von Belohnungen und Bestrafungen
Die Einladung zu einem leckeren veganen Gericht mag beispielsweise für viele eine dezidierte Belohnung sein. Sie kann aber ebenso als Bestrafung wirken, wenn sie nämlich als implizite Kritik an der eigenen, nicht veganen Lebensweise verstanden wird. Es hängt von den wechselseitigen Lebensgeschichten, Einstellungen und der Beziehungsdynamik ab, ob die Einladung als Belohnung oder Bestrafung erlebt wird.
Die Rolle von Alternativen: Thibaut und Kelly
Thibaut und Kelly gehen davon aus, dass unser Beziehungsglück nicht nur davon abhängt, wie viele Belohnungen versus Bestrafungen uns in einer Beziehung zur Verfügung stehen, sondern auch davon, wie viele Belohnungen versus Bestrafungen wir für den Fall erwarten würden, dass wir nicht in dieser, sondern in einer anderen Beziehung wären.
Gibt es Alternativen zu einer aktuellen Beziehung, die wesentlich attraktiver für uns sind, sinkt demnach unsere Beziehungszufriedenheit.
Single-Dasein und Beziehungszufriedenheit
Gleiches gilt übrigens für die Frage, ob wir überhaupt in einer Beziehung sein wollen:
- Geht es uns als Single besser als in einer Beziehung, kann unsere Motivation sinken, uns für die Partnersuche zu engagieren. Trotzdem ist es freilich ratsam, an einem glücklichen Single-Dasein zu arbeiten, weil wir dadurch uns für oder gegen Beziehungen in erlebter Freiheit entscheiden können.
- Sind wir demgegenüber sehr unglücklich mit unserem Single-Dasein, steigt das Risiko, dass wir uns quasi aus der Not heraus binden und dann gegebenenfalls in einer wenig erfüllenden und oftmals ungerechten Beziehung enden.
Investitionen in Beziehungen
Wenngleich wir attraktivere Alternativen haben, muss es keineswegs zu einer Trennung kommen:
- Denn unsere Trennungsentscheidung wird wiederum maßgeblich von unserer eigenen Einschätzung unseres Investments in die Beziehung geprägt. Haben wir viel in die Beziehung investiert, zögern wir demnach, uns aus der Beziehung zu verabschieden.
Die Tatsache, dass etwa 60 % der Profile bei Tinder von Personen stammen, die in einer festen Beziehung sind, bedeutet also noch keineswegs, dass die entsprechenden Personen wegen der vielen attraktiven Bilder bei Tinder ihre Partner:innen verlassen werden.
Ganz unabhängig davon, ob die Bilder überhaupt als Beziehung erreichbar sind (was meistens nicht der Fall ist), haben die Betreffenden in ihrer Beziehung bereits investiert und können daher geneigt sein, in der Beziehung zu bleiben – selbst dann, wenn aus den Tinder-Matches tatsächlich Begegnungen werden.
Fairness und Balance: Die Schlüsselrolle
Gerechtigkeitsansätze von Liebesbeziehungen schließen an diese klassische Austauschanalyse an und ergänzen sie durch das Konzept der Balance. Demnach sind wir in Beziehungen insbesondere dann zufrieden, wenn wir den Eindruck haben, dass das Verhältnis von Einsatz und Ergebnis zwischen den Partner:innen ungefähr gleich verteilt ist.
Balance als Basis für Beziehungszufriedenheit
Es geht also nicht nur darum, unsere erhaltenen Belohnungen zu maximieren und unsere erhaltenen Bestrafungen zu minimieren oder unsere Beziehung so zu gestalten, dass sie uns als attraktiver erscheint als alternative Beziehungen. Vielmehr benötigt unser Beziehungsglück zusätzlich Gerechtigkeit, Fairness im Sinne einer Vergleichbarkeit des wechselseitigen Einsatzes für die Beziehung und der erhaltenen Ergebnisse.
Ist das Verhältnis ausgeglichen, sind wir in Balance und dies bedeutet – jedenfalls nach der Gerechtigkeitstheorie der Liebe – das maximale Glück. Unzufrieden werden wir demgegenüber nach dieser Theorie sowohl, wenn wir im Vergleich zu unseren Partner:innen bevorteilt als auch, wenn wir benachteiligt werden.
Studienergebnisse zu Gerechtigkeit und Zufriedenheit
Tatsächlich zeigen eine große Anzahl an Studien (siehe Überblick im von mir gleich besprochenen Artikel von Kayabol und Sümer, dass wir mit unseren Beziehungen im Durchschnitt wirklich glücklicher sind, wenn wir eine Balance erleben:
- Fühlen wir uns benachteiligt (unser eigener Einsatz ist höher), erleben wir Ärger und Frustration.
- Fühlen wir uns bevorteilt (Partner:innen zeigen einen höheren Einsatz), reagieren wir mit Scham- oder Schuldgefühlen.
Beides tut einer Beziehung nicht gut. Allerdings – hier kommt eben unser gewisser Egozentrismus zum Tragen – sind wir meistens doch noch unglücklicher, wenn wir benachteiligt werden, als wenn wir bevorteilt werden.
Subjektive Wahrnehmung von Gerechtigkeit
Die Wahrnehmung von Gerechtigkeit ist nun wiederum (wie Belohnungen und Bestrafungen) in hohem Ausmaß subjektiv an das Erleben der Beteiligten geknüpft:
- So zeigen Kayabol und Sümer beispielsweise, dass die Wahrnehmung von Dankbarkeit und Wertschätzung von Partner:innen bei türkischen Paaren die wahrgenommene Gerechtigkeit erhöht. Es muss also keineswegs Gleiches mit Gleichem vergolten werden. Erleben wir Wertschätzung für das, was wir tun, steigt unser Gefühl von Balance, auch wenn unser Einsatz hoch ist.
Interessanterweise gehört die Facette der Dankbarkeit auch zu den 33 Komponenten, die die Psychologen Victor Karandashev und Stuart Clapp in ihrem psychologischen Modell von Liebe auf der Basis sprachlicher und psychologisch-statistischer Analysen herausgearbeitet haben – mehr hierzu können Sie in meinem vorherigen Artikel nachlesen „Leidenschaft oder Kameradschaft – was zählt in der Liebe?“
Ein Klientenerlebnis: Balance und Gerechtigkeit
Die Bedeutung erlebter Gerechtigkeit und ihre starke/sofortige Abhängigkeit von unseren aktuellen subjektiven Bewertungen wird in dem Erleben meines Klienten plastisch deutlich:
- Die Sachlage der (offen und transparenten) polyamoren Lebensweise seiner Partnerin kontrastierte damit, dass mein Klient selbst keine polyamoren Kontakte pflegte. So kam mehr oder weniger bewusst die Frage auf, ob sich hieraus ein Ungleichgewicht ergebe. Ein möglicher Weg, dies Ungleichgewicht auszugleichen, hätte für meinen Klienten sein können, selbst ebenfalls polyamore Kontakte zu pflegen.
- Das Ungleichgewicht löste sich jedoch ganz anders und sofort dadurch auf, dass mein Klient zu dem Ergebnis gelangte, dass er (anders die Partnerin) dies gar nicht wollte. Die Partnerin wollte es und tat es, er wollte es nicht und tat es nicht. Beide handelten nach ihrem jeweiligen Willen, die Balance war also wiederhergestellt.
Wann entstehen Ungleichgewichte?
In Ungleichgewicht geraten Beziehungen also nicht, weil Partner:innen verschiedene Bedürfnisse haben und diese umsetzen.
Ein Ungleichgewicht entsteht vielmehr erst dann, wenn eine Seite ihre Bedürfnisse in der Beziehung erfüllen kann und die andere nicht. Das war jedoch hier gar nicht der Fall, sodass die Befürchtung eines Ungleichgewichts aufgegeben werden konnte und dadurch wurde die Beziehung als fair und gerecht erlebt.
Das ist nicht in allen Beziehungen der Fall. Im Gegenteil ist Unfairness weitverbreitet und ein wichtiger Grund für Unzufriedenheit:
- Unfair wäre die Beziehung beispielsweise gewesen, wenn die polyamore Partnerin meinen Klienten zu polyamoren Kontakten hätte zwingen wollen, obwohl Polyamorie nur ihrem, nicht aber seinem Bedürfnis entsprach. Solche Erfahrungen werden beschrieben und werden typischerweise als belastend erlebt.
- Ebenso unfair wäre es gewesen, wenn die polyamore Partnerin meinem Klienten eigene polyamore Kontakte verboten hätte, wenn er sie doch gewollt hätte. Das wäre ein offensichtliches Ungleichgewicht, wobei übrigens gerade in offiziell monogamen Beziehungen fremdgehende Personen von ihren Partner:innen trotzdem sexuelle Treuer erwarten.
- Gleichfalls wäre es unfair gewesen, wenn mein Klient versucht hätte, der Partnerin polyamore Kontakte zu verbieten, obgleich dies in ihrem Interesse lag. Es ergibt keinen Sinn, von Partner:innen zu erwarten, ihre Bedürfnisse aufzugeben, zumal Polyamorie oftmals in einer tiefen polypartnersexuellen Orientierung verankert ist – mehr hierzu können Sie sich in meinem Video anschauen „Sexuelle Orientierung verstehen – Psychologie der Monogamie und Polygamie“.
Offenheit als Grundlage für Fairness
Eine weitere wichtige Voraussetzung für Fairness war dabei in der Beziehung meines Klienten, dass die Beteiligten vollkommen offen, und zwar von vornherein über ihre wechselseitigen Bedürfnisse gesprochen hatten:
- Schließlich hätte es sein können, dass mein Klient zu denen gehört, die auf polyamore Kontakte von Partner:innen mit quälender Eifersucht und Leid reagieren. Oder er hätte zu denen gehören können, deren Wertesystem mit einer polyamoren Lebensweise nicht vereinbar ist. Wäre dies so gewesen, wäre es sein Bedürfnis gewesen, eine Beziehung mit einem polyamoren Menschen gar nicht erst zu beginnen, um sich solches Leid zu ersparen.
Die Bedeutung von Offenheit bei der Partnersuche
Wir sehen, dass die Theorien der Gerechtigkeit der Liebe bereits bei der Partnersuche eine wichtige Rolle spielen. Beginnen wir Beziehungen unter falschen Voraussetzungen, wächst die Gefahr, dass eine Beziehung auf der Basis eines Ungleichgewichts entsteht und so die Beziehung unglücklich wird.
Balance in herausfordernden Kontexten
Nach der reinen Gerechtigkeitstheorie können übrigens auch Beziehungen glücklich sein, in denen sich beide für die Beziehung nicht einsetzen und beide keine positiven oder sogar beide negative Beziehungsresultate erhalten. Beide lügen, beide tun nichts für die Beziehung etc.
Schließlich besteht auch so, jedenfalls auf den ersten Blick, eine Balance. Auch wenn es zunächst absurd scheint, ist der Gedanke gar nicht so falsch:
- Ärgern wir uns über das destruktive Verhalten von Partner:innen, sinkt unser Ärger womöglich, wenn wir erkennen, dass wir uns ebenso destruktiv verhalten. Sind beide in materieller Not, werden wir mit einer Beziehung glücklicher sein, als wenn unsere Partner:innen zur gleichen Zeit in Saus und Braus leben. Leben wir in Saus und Braus und unsere Partner:innen in Not, werden bei den meisten von uns mindestens gewisse Schuldgefühle auftreten.
Fairness und Balance: Unterschiede
Damit will ich freilich nicht für Beziehungen plädieren, in denen etwa beide sich destruktiv verhalten, und ich möchte auch gemeinsame materielle Not nicht romantisieren. Vergleichbare Beziehungsanstrengungen sind schließlich nur ein Aspekt des Beziehungsglücks.
Auch wenn der Einsatz gleich, aber gering ist, werden wir im Durchschnitt unzufriedener in einer Beziehung sein, als wenn beide etwas für die Beziehung tun. Wechselseitigkeit im Positiven ist der Wechselseitigkeit im Negativen vorzuziehen.
Vielleicht sollten wir auch besser noch einmal zwischen Fairness und Balance differenzieren:
- Fairness/Gerechtigkeit sind für eine Beziehung wichtig, aber auch wenn eine Beziehung in diesem Sinne fair und gerecht ist, muss sie noch nicht in Balance sein. In echter Balance ist eine Beziehung vielmehr erst, wenn es den Beteiligten in einer fairen/gerechten Beziehung möglich ist, wechselseitig ihre grundlegenden beziehungsbezogenen Bedürfnisse umzusetzen, egal, ob diese Bedürfnisse gleich oder verschieden sind.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Beziehungen benötigen Gerechtigkeit:
- Wir fühlen uns wohler in Beziehungen, wenn wir den Eindruck haben, dass die beteiligten Seiten sich in vergleichbarem Ausmaß für die Beziehung engagieren. Haben wir demgegenüber den Eindruck, wir tun mehr als die andere Person, reagieren wir mit Ärger und Frustration. Wird uns deutlich, dass die andere Person mehr tut als wir, resultieren Gefühle von Scham und Schuld.
Es geht aber keineswegs vorwiegend um objektive Verhaltensweisen oder gar den Austausch materieller Dinge. Dankbarkeit und Wertschätzung sind zentrale Aspekte, die das Gefühl von Gerechtigkeit schaffen und damit das Beziehungsglück stärken können.
Gerechtigkeit beginnt bereits bei der Partnerfindung, und eine entscheidende Voraussetzung ist, dass wir einander die Chance geben, uns so kennenzulernen, wie wir wirklich sind. Starten wir demgegenüber eine Beziehung unter falschen Voraussetzungen, erleben wir dies als ungerecht und die Beziehungszufriedenheit sinkt.
Schritte zur Partnerfindung
Aus diesen Überlegungen lassen sich nun eine Reihe von Empfehlungen für die Partnerfindung ableiten:
- Offenheit über die wechselseitigen Strebungen, Motive und Möglichkeiten sollte vom ersten Tag an das Kennenlernen prägen – und zwar bereits auf der Online-Ebene. Jede Verstellung erhöht nämlich das Risiko, dass weder Fairness noch eine darüber hinausgehende positive Balance, den Dating-Prozess oder eine mögliche spätere Beziehung kennzeichnen werden.
Ein drastisches Negativbeispiel ist, wenn jemand vorgibt, eine feste Beziehung zu suchen, obwohl die betreffende Person nur Sex will, und nunmehr auf jemanden stößt, der sich im Glauben an eine Beziehungsentstehung sexuell einlässt. Das ist weder fair noch balanciert.
Unfair ist es aber auch, wenn wir nur stückchenweise mit etwas herausrücken, von dem wir genau wissen, dass es für die Beziehungsentstehung oder Beziehungsgestaltung wichtig ist. Denn so verbauen wir der anderen Person die Möglichkeit, sich rechtzeitig abzugrenzen, wenn dies notwendig ist.
Falls Sie jetzt eine Angst vor der Offenheit empfinden, gibt es Korrekturbedarf in Ihrem Modell der Partnersuche und Beziehungsfindung:
- Offenheit braucht uns genau keine Angst zu machen, sondern sie nimmt uns den ganzen Druck! Wir brauchen uns nicht gut darzustellen, brauchen keine Angst zu haben, abgelehnt zu werden oder selbst ablehnen zu müssen.
Wir sind in keiner Bewerbung, sondern wir haben beide das gemeinsame Interesse und Ziel, miteinander in völliger Authentizität und Ergebnisoffenheit eine Antwort auf die Frage zu geben:
- Können wir in einer Liebesbeziehung miteinander glücklich werden?
Unser gemeinsames Interesse ist es, dass alle Beteiligten auf der Grundlage transparenter Informationen zu der für sie richtigen Antwort gelangen. Ist dies bei allen ein „Ja“, kann der Beziehungseinstieg beginnen. Ist dies mindestens ein „Vielleicht“, aber kein „Nein“, besteht weiterer Klärungs- oder Erprobungsbedarf. Sagt mindestens eine Person „Nein“, sollten wir unsere Aufmerksamkeit beziehungsbezogen auf andere Personen richten.
Es gehört zur Fairness und Gerechtigkeit, dass wir uns wechselseitig die Chance geben, eine korrekte Antwort zu finden. Wir sollten keine Angst vor der Antwort haben, weil es in unser aller Interesse liegt, lieber keine als eine unglückliche Beziehung miteinander zu beginnen!
Leider lassen sich Partnersuche und Partnerfindung nicht mit einer Garantie auf Schmerzfreiheit gestalten. Ist die Offenheit aber von Anfang an da, sinkt das Risiko für seelische Schmerzen, da uns zu solch einem frühen Zeitpunkt eine notwendige Abgrenzung noch leichter fällt.
Außerdem erkennen wir durch Offenheit ja nicht nur eine mögliche Inkompatibilität besser, sondern wir nehmen auch leichter wahr, wenn es tatsächlich passt oder wenn wir gemeinsam Kompatibilität herstellen können.
So können wir durch Offenheit im Dating-Prozess nicht nur unpassende Beziehungen leichter vermeiden, sondern ebenso passende Beziehungen leichter finden. Vertieft setzt sich mit Offenheit und ihren Voraussetzungen mein vorheriger Artikel auseinander „Ist radikale Ehrlichkeit möglich?“
Von enormer Bedeutsamkeit ist es zudem, wenn wir nicht mit einer fixierten Schablone, sondern mit Reflexion und Selbstreflexion an das Kennenlernen herangehen:
- Denn der Grad zwischen Gleichgewicht und Ungleichgewicht ist oft schmal, da diese eng mit unseren eigenen Bewertungen und Sichtweisen verbunden sind, die wiederum schwanken und sich ändern können.
Als Daumenregel gilt, dass Verschiedenartigkeit uns nicht grundsätzlich zu stören braucht. Das Gleichgewicht in einer Beziehung kann nämlich auch nicht in der Gleichheit, sondern in der Wechselseitigkeit der Erfüllung unserer verschiedenen Bedürfnisse liegen. Dadurch ergibt sich ein weiterer Gestaltungsraum von Beziehungen, der glückliches Beziehungserleben selbst dann möglich macht, wenn auf den ersten Blick die Verschiedenartigkeit überwiegt. Allerdings stellen solche Beziehungen fraglos erhöhte Anforderungen an die gemeinsame Bereitschaft und Fähigkeit, aus Verschiedenartigkeit eine tragfähige Beziehungsbasis zu gestalten.
Kompatibilität kann sich aus einer großen Ähnlichkeit in wichtigen Erlebensbedürfnissen ergeben. Sie kann sich aber in dem Fall auch aus einer Verschiedenartigkeit ergeben, wenn die Beteiligten bereit und in der Lage sind, eine Beziehung so zu gestalten, dass die Bedürfnisse von niemandem zurückstehen müssen.
Ein letzter wichtiger Punkt:
Begnügen Sie sich nicht damit, zu glauben, dass die andere Person die Dinge so erlebt, wie Sie sie erleben, oder sie so versteht, wie Sie sie meinen. Manchmal können wir glauben, einander zu verstehen, wenn wir uns tatsächlich missverstehen. Es kann enorm hilfreich sein, Dinge direkt anzusprechen:
- Der große Vorteil direkter sprachlicher Kommunikation liegt in ihrem Vermögen, das Ungewisse klarer zu machen, den Nebel aufzulösen. Sprechen Sie also bei der Partnerfindung an, was für Sie bedeutsam ist, schildern Sie Ihre eigenen Wahrnehmungen und fragen Sie die andere Person lieber explizit, als dass Sie auf der Basis von Vermutungen oder Missverständnissen falsche Entscheidungen treffen.
Vermittlung und Initiative
Wir bemühen uns, mit unserem Vermittlungssystem bei Gleichklang, zentrale Kompatibilitäten zu erheben und diese bei der Vermittlung zugrunde zu legen. Wirksam im beziehungsstiftenden Sinn wird der Algorithmus aber erst in dem, was unsere Mitglieder daraus machen. Voraussetzung ist ein authentisches Profil, das in Kontakt treten mit anderen Menschen und sodann ein offenes und ehrliches Ausloten, ob eine gemeinsame Zukunft möglich ist.
Vielleicht erscheint dies nun alles theoretisch und schwer. Lassen Sie sich daher ermutigen durch die täglichen Meldungen von Mitgliedern, die bei uns die Liebe finden, wie:
- Hallo liebes Team von Gleichklang, ich habe letzten Monat bei Ihnen meinen Herzensmenschen gefunden. Ich bin sehr dankbar für Ihren Einsatz, dass sich Menschen so finden können. Ich bin sehr glücklich und überhaupt das erste Mal in meinem Leben verliebt. Das ist unglaublich. Somit möchte ich mein Abo kündigen und bitte Sie, mir noch zu schreiben, falls Sie noch etwas von mir benötigen. Herzliche Grüße
Hierhin möchten wir Sie gerne begleiten:
- Was sind Ihre eigenen Erfahrungen mit Gerechtigkeit in Beziehungen? Bitte teilen Sie sie mit den Leser:innen, indem Sie sie unten in die Kommentare schreiben – vielen Dank!
Bei Gleichklang begleiten wir Sie gerne bei Ihrer Beziehungssuche:
Weitere Links:
Mich würde mal interessieren, wie sich die Aktivität bei Gleichklang über die Jahre entwickelt hat.
Gibt es hier zu Daten?
Sind die Mitglieder heute aktivier, passivier oder gleich wie früher?
Erstnachrichten und Antwortraten sind nach einem initialen Hochstand, als wir nur ein paar Hundert Mitglieder hatten, die alle paar Monate einen Vorschlag erhielten, im Wesentlichen gleichbleibend. Am Anfang kamen nur hochgradig motivierte Mitglieder, für die bereits ein Vorschlag eine Sensation war. Nach diesem initialen Hochstand hat sich das nicht mehr wesentlich verändert. Wir sehen eigentlich immer die gleichen Aspekte. Die Erfahrungen von Mitgliedern sind in den vergangenen 12 Jahren also im Wesentlichen gleich. Ich las gerade (wegen Deines Kommentares) den ersten Artikel in diesem Blog 2012. Alles, was da steht, gilt nach wie vor!
Gestern hat jemand unter diesem Youtube-Video den folgenden Kommentar geschrieben:
“Vielen Dank für diese ausführlichen Informationen. Sie erlauben mir eine neue Sichtweise auf das Erlebte. Ich kann jedem nur empfehlen, zuerst dieses Video anzuschauen und erst dann mit der Suche zu beginnen.”
Tatsächlich würde ich mir wünschen, dass mehr Mitglieder und Interessent:innen das Video sehen, um Dinge besser einordnen zu können. Ich werde daher noch einmal eine komprimierte Fassung machen, in der ich auch schneller spreche. Denn in unseren Zeiten sind 45 Minuten wirklich bereits eine Hürde, die wenige nehmen.
Ich glaube im Übrigen, dass sich das Dating durch AI grundlegend ändern wird. Es werden ja bereits Entwicklungen zu erotischen und emotionalen Robotern vorgenommen. Sobald diese so weit sind, dass sie den Menschen die „optimale Befriedigung“ emotional und sexuell geben können, glaube ich, dass der Bedarf für echtes Dating stark abnehmen wird. Aber ich denke, bis dahin ist es noch 20 Jahre Zeit.
Über die Bedeutung von Gerechtigkeit und Balance in Beziehungen zu reflektieren, hat mich inspiriert und rückblickend manch schwierige Beziehungssituation erklärt – danke für diesen Artikel! Aus meiner Beziehungserfahrung heraus würde ich vermuten, dass hier Bindungstypen eine wesentliche Rolle spielen und dass die Balance in Beziehungen sehr viel einfacher herzustellen ist, wenn beide Partner entweder dem selben Bindungstyp angehören oder offen über ihre diesbezügliche Verschiedenheit sprechen und sich in den jeweils anderen Beziehungstyp soweit einfühlen können, dass sie eine Balance herstellen können. Was meinen Sie dazu, Herr Gebauer?
Die Frage eines Matching der Bindungsstile und deren Auswirkungen ist erstaunlicherweise bisher wenig definitiv untersucht worden, und Ergebnisse sind teilweise widersprüchlich. In dieser Studie werden diejenigen Ehefrauen und Ehemänner am glücklichsten, bei denen sie selbst und die Partner:innen eine sichere Bindung aufweisen. Allerdings werden diejenigen Ehefrauen demnach am unglücklichsten, die selbst einen vermeidenden Stil haben und die Ehemänner auch. Demgegenüber werden diejenigen Ehemänner am unglücklichsten, bei denen ein vermeidender Stil auf einen ängstlichen Stil trifft. Demgegenüber bestätigt diese Studie, dass sicher-sicher mit der höchsten Zufriedenheit einhergeht, während Unähnlichkeiten in Bindungsunsicherheit (also z.B. ängstlich versus vermeidend) mit einer niedrigeren Zufriedenheit einhergeht. Diese Studie wiederum untersucht zwei Angst bezogene Phänomene, nämlich die Angst in einer Beziehung, sich selbst oder die andere Person zu verlieren. Die Beziehungszufriedenheit ist demnach höher, wenn die Angst, sich selbst zu verlieren, ähnlich ausgeprägt ist, während eine Ähnlichkeit darin, die andere Person zu verlieren, keine Rolle spielt für die Beziehungszufriedenheit. Unglücklich scheinen Beziehungen aber zu sein, wenn eine hohe Angst, sich selbst zu verlieren bei einer Person, auf eine hohe Angst, die andere Person zu verlieren, bei Partner:innen trifft. Eine weitere Studie findet Belege für positive Effekte von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit.
Insgesamt scheint mir die Befundlage unklar, zumal Studien fehlen, die das Ganze im Längsschnitt mit Kausalanalysen untersuchen. Aus diesen Gründen konzentrieren wir uns bei Gleichklang derzeit eher auf die Erhebung von Lebensstil- und Verhaltenskomponenten, die Gemeinsamkeit ermöglichen oder erschweren.
Grundsätzlich glaube ich, dass es so ist, dass ein bindungssicherer Partner:in sich günstig bei ängstlicher Bindung auswirken kann, wenn dies – wie Du auch schreibst – reflektiert wird, so dass es der bindungssicheren Person nicht schadet und der bindungsängstlichen Person hilft. Ich glaube, dass die Konstellation vermeidend- vermeidend hilfreich sein könnte, wenn die Beteiligten sich kennen und gemeinsam daran arbeiten, dass sie dennoch sich in der Sehnsucht nach Nähe bestärken, ohne sich zu überfordern. Andernfalls könnte auch einfach die Folge sein, dass sie sich immer weiter entfernen.
Auf jeden Fall dürfte es hilfreich sein, wenn Partner:innen einander im Bindungsleben verstehen. Denn, was wir verstehen, können wir oft besser bewältigen und bei wechselseitigem Verständnis können wir Wege finden.
Um Gerechtigkeit und Balance in einer Beziehung erreichen zu können, egal in welcher Form einer Beziehung auch immer, braucht es eine gute Reflektiertheit. Man muss bei sich selbst beginnen, denn wer sich selbst nicht lieben kann kann es bei anderen dadurch schwerer.
Das gleiche gilt für Geduld und Toleranz und ganz wichtig auch der Ehrlichkeit.
Es muss ein Geben und Nehmen sein das im Gleichgewicht ist.
Dazu muss der Partner auch bereit sein.
Leider ist es wohl unmöglich solch einen Partner zu finden.
Ich bin auch ohne einen Lebensgefährten glücklich. Es ist gut so wie es ist. Und ich nutze die Zeit um an meiner Beziehung zu mir selbst zu arbeiten.
Grundsätzlich würde ich Deine Ansicht unterstreichen, dass wir auch ohne Partner:innen glücklich werden können, wenn wir uns ein sinnerfülltes und auch in soziale Bezüge eingebettetes Leben aufbauen. Übrigens unterstützen wir dies bei Gleichklang ebenfalls durch die Freundschaftssuche und durch die Kontaktlisten, etwa die Liste “Projekte und Gemeinschaften”. Der Einfluss auf die Partnerfindung ist sicherlich komplex: Einerseits kann natürlich durch ein glückliches Leben als Single die Motivation sinken, sich eine Beziehung zu suchen oder in sie zu investieren. Andererseits wird die Partnersuche so freier und wir können uns ohne Leidensdruck, nicht aus der Verzweiflung heraus für eine Beziehung entscheiden. Das ist insgesamt wohl eine günstigere Startbasis.
Deine Schlussfolgerung, ein solcher Partner sei nicht findbar, erscheint mir aber unnötig resignativ und generalisiert. Die Sachlage ist nun einmal, dass solche Beziehungen immer wieder entstehen. Das hören wir auch bei Gleichklang, und zwar auf täglicher Basis. Wenn Du zu so einer Überzeugung gelangt bist, besteht die Gefahr, dass sie wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirkt. In dem Fall würdest Du selbst durch eigene bewusste oder unbewusste Reaktionen dazu beitragen, dass niemand für eine Beziehung auf der Basis von Balance geeignet scheint oder gefunden werden kann.