Macht Online unglücklich?
Es wurde in den Medien weit berichtet:
- Eine neue Studie gelangte zu dem Ergebnis, dass Ehen, die Online begannen, im Durchschnitt weniger zufrieden werden und instabiler verlaufen.
Was es damit auf sich hat, darauf komme ich gleich zu sprechen.
Es gibt einen weiteren Befund, der sehr interessant ist:
- Personen, die in den ersten drei Monaten ihrer Beziehung weiter entfernt voneinander lebten, schilderten in ihrer Ehe mehr Instabilität, aber eine größere Zufriedenheit.
Wie lässt sich dies alles erklären und was machen wir daraus bei unserer eigenen Partnersuche? In wenigen Sätzen zusammengefasst, können Sie auch hier das Resümee lesen.
Studien-Design
Zunächst eine kurze Zusammenfassung dessen, was die Studie untersucht hat:
Vergleich Online und Offline: Die Studie verglich 455 verheiratete Personen, die ihre Partner:innen Offline kennenlernten, mit 468 verheirateten Personen, die ihre Partner:innen Online kennenlernten.
Beziehungszufriedenheit: Die Befragten beantworteten eine Serie von Fragen zu ihrer Beziehungszufriedenheit, die zu einem Gesamtpunktewert addiert wurden. Es waren Fragen, wie “Wie zufrieden sind Sie allgemein mit ihrer Heirat?
Beziehungsstabilität: Außerdem wurden die Fragen nach der wahrgenommenen Stabilität gefragt, wobei erneut eine Serie von Fragen gestellt wurde, wie “Haben Sie in letzter Zeit daran gedacht, sich zu trennen oder scheiden zu lassen?”.
Räumliche Distanz: Es wurde erhoben, ob die Beziehung im Nahraum oder in weiterer Entfernung voneinander begann. Es waren Fragen, wie “Meine Partner:in lebte nicht in enger geografischer Entfernung zu mir.”
Selbstoffenbarung: Die Teilnehmenden gaben auch an, wie offen sie miteinander während der Anfangsphase ihres Kennenlernens über persönliches Erleben sprachen. Erfragt wurde beispielsweise, wie stark sie während der ersten 3 Dating-Monate über ihre tiefsten Gefühle oder schlimmsten Ängste miteinander sprachen.
Soziale Marginalisierung: Die Teilnehmenden gaben an, ob und wie stark sie sich aufgrund der Art ihres Kennenlernens durch die Gesellschaft marginalisiert oder ausgegrenzt fühlten. Eine Beispielfrage hierfür lautete: ” “Ich glaube, dass die meisten anderen Personen die Art und Weise, wie ich meine Partner:in traf, nicht befürworten würden.
Netzwerk-Zustimmung: Zusätzlich zur allgemeinen Marginalisierung wurde auch konkret gefragt, wie tatsächliche Freunde, Verwandte und Bekannte der Beziehung gegenüberstanden: “In welchem Ausmaß glauben Sie, dass Ihre Familie ihre Ehe befürwortet oder nicht befürwortet? “In welchem Ausmaß glauben Sie, dass Ihre Freunde ihre Ehe befürwortet oder nicht befürworten?”
Hauptergebnisse: Kennenlernen Online versus Offline
Aus der Analyse der Zusammenhänge zwischen diesen vielfältigen Informationen ergaben sich folgende Hauptergebnisse:
- Ehen, die Online begannen, wurden ein Stück weit als weniger glücklich und weniger stabil geschildert als Ehen, die Offline begonnen hatten. Der Effekt war aber nur von moderater Stärke und die Mehrheit der Ehen, die Online begonnen hatten, wurde dennoch als insgesamt positiv bewertet.
- Der Unterschied in der Zufriedenheit und Stabilität der Ehen ließ sich vorrangig mit der erlebten sozialen Marginalisierung erklären. Je stärker die Befragten den Beginn ihrer Ehe Online oder Offline als sozial marginalisiert schätzten, desto unzufriedener wurden sie mit ihrer Ehe und als desto instabiler erlebten sie sie.
Anders formuliert:
- Personen mit Ehen, die Online begannen, fühlten sich gesellschaftlich kritischer bewertet, was ihre Zufriedenheit mit ihren Beziehungen und die erlebte Stabilität minderte.
Der Effekt der sozialen Marginalisierung wurde wiederum vorrangig über das eigene soziale Netzwerk vermittelt:
- Mit wachsender erlebter sozialer Marginalisierung nahm die Unterstützung der Ehe durch das eigene Netzwerk aus Verwandten und Freunden ab.
Soziale Marginalisierung des Online-Kennenlernens führt demnach zu einer geringeren Unterstützung der Ehe durch das soziale Netzwerk, was die Zufriedenheit und Stabilität der Ehe reduziert.
Warum aber sollte dies so sein?
Mögliche Erklärungen
Verschiedene Online-Wege
Ich nehme an, es liegt in Wirklichkeit nicht am Online-Kennenlernen, sondern an der Art des Online-Kennenlernens:
- Mehr als 30 % der Paare, die sich Online kennenlernten, hatten sich über Tinder getroffen. Aber auch andere Dating-Apps, wie Hinge oder Bumble, spielten eine Rolle. Nur ungefähr 15 % der Befragten, die sich Online kennenlernten, hatten sich demgegenüber bei einer expliziten Matching-Seite getroffen, wie Match.com und eHharmonie.
Dating-Apps mit ihren 80 % Männer-Anteilen, dem weitgehenden Fehlen von mittlerer und älterer Generation und der extrem heterogenen Motivbasis ihrer Nutzer:innen dürften in der Tat nicht immer im besten Ruf stehen, jedenfalls als Instrument einer Eheanbahnung. Dies wiederum kann die wahrgenommene soziale Marginalisierung verstärken und die Netzwerkunterstützung reduzieren.
Bei reinen Matching-Plattformen würde ich solch einen Effekt demgegenüber eher nicht erwarten.
Einen Hinweis darauf, dass diese Erklärung stimmt, finde ich in einer Fußnote der Autor:innen:
- Dort wird angemerkt, dass innerhalb der verschiedenen Online-Wege eine signifikante negative Korrelation zwischen den Dating-Apps und der Beziehungsstabilität bestehe. Das bedeutet, dass Dating-Apps jedenfalls in dieser Studie mit einer geringeren Beziehungsstabilität einhergingen als Matching-Plattformen.
- Allerdings bestand dieser Effekt nach der Fußnote nicht für die Beziehungszufriedenheit. In Wirklichkeit zeigte er sich aber dort ebenso, nur dass er eben haarscharf die statistische Signifikanz verfehlte. Ehen, die über eine Dating-App entstanden, wiesen also deskriptiv eine geringere Beziehungszufriedenheit auf als Ehen, die über eine Matching-Plattform entstanden.
Ich vermute von daher, dass der gesamte negative Effekt für das Online-Kennenlernen auf die Beziehungsstabilität und die Beziehungszufriedenheit in Wirklichkeit in sich zusammenfällt, wenn wir die Analyse auf die Matching-Plattformen beschränken würden.
Die Studie zeigt so letztlich nicht, dass Online unzufriedener oder instabiler macht, sondern sie zeigt lediglich, dass Dating-Apps offenbar mit einer geringeren Beziehungszufriedenheit und Beziehungsstabilität einhergehen.
Was bedeuten Marginalisierung und Netzwerk-Unterstützung innerpsychisch?
Liegt der negative Effekt der Dating-Apps tatsächlich an der sozialen Marginalisierung, die sich wiederum negativ auf das soziale Netzwerk auswirkt?
Mich überzeugt die Argumentation der Autor:innen nicht ganz:
- Was bedeutet es nämlich, wenn die Befragten ihr Kennenlernen als sozial marginalisiert wahrnehmen?
Ich denke, es bedeutet, dass die Befragten tatsächlich selbst negative Aspekte bei den Dating-Apps und womöglich auch bereits bei ihrem Date wahrgenommen hatten. Dies könnte zu Zweifeln an der Beziehung geführt haben. Diese (begründeten) eigenen Zweifel mögen dann dazu geführt haben, dass auch der eigene Freundes- und Verwandtenkreis die Beziehung weniger unterstützte.
Vielleicht ist es nicht die Dating-App an sich, sondern einfach, dass die Passung bei den Dating-Apps tatsächlich geringer ist.
Auf keinen Fall sollten wir die Studie auf alle Möglichkeiten des Online-Kennenlernens generalisieren:
Match.com und eHarmonie unterscheiden sich maßgeblich von Dating-Apps. Gleichklang unterscheidet sich noch mehr – weil sich hier insbesondere Menschen treffen, deren ökologische und soziale Werte am Herzen liegen.
Was für Tinder gilt, braucht noch lange nicht für andere Formen des Online-Datings zu gelten.
Effekt der räumlichen Distanz
Damit komme ich zu weiteren interessanten Befunden:
- Ehen, die in direkter räumlicher Nähe entstanden, verliefen (nach Kontrolle für andere Faktoren, wie Kennenlern-Modalität, Geschlecht, Alter etc.) weniger glücklich, wurden aber von denen Teilnehmenden als stabiler erlebt.
Weitere initiale Entfernung macht demnach Ehen glücklicher. Warum?
Wie die initiale Entfernung unsere Beziehungen beeinflussen kann
Die positive Auswirkung der weiteren Entfernung auf die Zufriedenheit ließ sich statistisch in der Studie mit dem Ausmaß der Selbstoffenbarung erklären:
- Je weiter die späteren Eheleute anfangs entfernt voneinander lebten, desto mehr tauschten sie sich über ihr eigenes inneres Erleben aus und genau dies verbesserte ihre Beziehungszufriedenheit.
Ich halte die Erklärung der Autor:innen für teilweise überzeugend:
- Gerade, wenn wir entfernter voneinander leben, kann die Motivation steigen, uns nicht ausschließlich in der Routine des Alltages zu verlieren (ins Kino gehen, ein Eis essen etc.), sondern wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen.
Geschieht dies, steigt aber die erlebte Nähe, die wiederum ein zentraler Aspekt unserer Beziehungszufriedenheit ist.
Aber auch hier können die tatsächlichen Triebkräfte andere gewesen sein:
- Womöglich haben sich die Betreffenden auf die Entstehung ihrer Beziehung als Fernbeziehung nur deshalb eingelassen, weil sie von Anfang an eine besonders gute Passung bemerkten und genau dadurch die Möglichkeit und Motivation zur Selbstoffenbarung anstieg.
- Ebenso könnte es sein, dass Personen, die bereit sind, sich auf eine Distanz einzulassen, weniger bereit sind, sich auf eine geringere Passung im Nahbereich einzulassen, sodass ihre Partnerwahlen besser werden.
Oder es ist umgekehrt:
- Personen, die im Nahbereich suchen, nehmen dafür eine geringere Passung in Kauf.
All diese Erklärungen sind plausibel, lassen sich anhand der Daten aber nicht voneinander unterscheiden. Vielleicht sind sie alle richtig.
Wieso aber sollte der gleiche Faktor (initiale Entfernung) die Beziehungszufriedenheit steigern, aber die Beziehungsstabilität mindern, obgleich beide in der Regel miteinander korreliert sind?
- Meistens sind wir nämlich mit den Beziehungen eher zufrieden, die stabil sind, und mit den Beziehungen eher unzufrieden, die instabil sind.
Auch hier wäre es interessant, die Unterschiede zwischen Dating-Apps und Matching-Plattformen zu kennen, wofür aber keine Hinweise in dem Artikel gegeben werden. Letztlich lässt sich nur spekulieren:
- Vielleicht haben sich die Paare, die weiter entfernt lebten, aufgrund ihrer hohen Beziehungszufriedenheit und Selbstoffenbarung schneller auf eine Heirat eingelassen und dabei destabilisierende Faktoren in ihrer Beziehung übersehen. Oder sie haben sie nicht übersehen, sondern haben sie wegen der hohen Zufriedenheit im Sinne einer Güterabwägung bewusst in Kauf genommen.
Ebenso ist es aber denkbar, dass die destabilisierenden Faktoren gar nicht echt destabilisierend sind:
- Wir können trotz hoher Zufriedenheit aufgrund irgendwelcher anderen Aspekte über eine Trennung nachdenken, ohne diese aber jemals ernsthaft zu erwägen oder gar zu vollziehen.
Letztlich scheint mir insofern die direkte Abfrage der erlebten Zufriedenheit das wichtigere und innerpsychisch relevantere Maß zu sein, an dem wir uns stärker orientierten sollten als an irgendwelchen mehr oder weniger sporadisch und spielerisch auftauchenden Trennungsgedanken. Am Ende geht es schließlich darum, wie glücklich wir wirklich in einer Beziehung sind oder werden.
Resümee
Die Studie liefert Hinweise dafür, dass Beziehungen, die mit Dating-Apps beginnen, häufiger unter einem schlechteren Stern starten. Denn trafen sich die später verheirateten Befragten ursprünglich bei Dating-Apps, wurden ihre Beziehungen im Durchschnitt unglücklicher und instabiler.
Dieser kritische Befund zu den Dating-Apps lässt sich jedoch anhand der erhobenen Daten nicht – anders, als es leider in der Medien-Berichterstattung getan wird – auf andere Formen des Online-Kennenlernens übertragen. Im Gegenteil liefert der Artikel Hinweise dafür, dass ein Kennenlernen über Matching-Plattformen die Stabilität und – aller Wahrscheinlichkeit nach – auch die Zufriedenheit mit einer Beziehung im Vergleich zu den Dating-Apps positiv beeinflusst.
Vermutlich nehmen die Betreffenden, die Dating-Apps nutzen, selbst wahr, dass gewisse unterschwellige Probleme mit dem Kennenlernen bzw. der Passung bestehen, weshalb sie ihre Beziehung als sozial marginalisiert erleben und sich auch ihr eigener Freundes- und Verwandtenkreis weniger unterstützend verhält.
Keine Angst brauchen wir demgegenüber vor dem Beginn einer Beziehung in weiterer räumlicher Distanz zu haben:
- Die Distanz an sich scheint sich eher positiv auf die Beziehungszufriedenheit auszuwirken. Womöglich liegt es tatsächlich – wie die Autor:innen vermuten – an der mit wachsender Distanz stärker werdenden Selbstoffenbarung. Vielleicht merken die Betreffenden aber auch einfach eine besonderes gute Passung und lassen sich deshalb auf die Distanz ein. Ebenso könnte es sein, dass Personen, die bereit sind, sich auf eine Distanz einzulassen, weniger bereit sind, sich auf eine geringere Passung im Nahbereich einzulassen. Wer für eine größere Distanz bereit ist, macht bei anderen, inhaltlichen Faktoren womöglich seltener schlechte Kompromisse. Es kann auch umgekehrt sein: Personen, die im Nahbereich suchen, nehmen – um jemanden zu finden – eine geringere Passung in Kauf.
Solche Abwägungen müssen wiederum keineswegs explizit-bewusst zu sein, sie können uns selbst verborgen bleiben und dennoch unser Verhalten prägen.
Alle diese Erklärungen sind plausibel, lassen sich anhand der Daten aber nicht voneinander unterscheiden. Ich halte es aus der Befragung von Gleichklang-Paaren für wahrscheinlich, dass sie dennoch alle stimmen:
- Eine weitere Distanz fördert Selbstoffenbarung und Beziehungsarbeit, sodass die Basis für eine gute Zufriedenheit steigt. Auf solch eine Distanz lassen wir uns aber von vornherein nur ein, wenn wir merken, dass die Passung positiv ist und wir gut miteinander ins Gespräch kommen. Wohnt die Person um die Ecke, setzen wir die Ansprüche etwas niedriger und womöglich beginnen wir so sogar eine Beziehung im Nahbereich, die wir im Fernbereich nie begonnen hätten.
Was können wir von alledem mitnehmen:
- Keine Angst vor dem Online-Kennenlernen, aber Vorsicht bei den Dating-Apps ist begründet.
- Auf Passung achten: Anzeichen für Passung und Unpassung ernst nehmen und diese mithilfe von Selbstoffenbarung explorieren, damit wir die richtigen Beziehungsentscheidungen treffen.
- Suchraum erweitern: Erweitern wir den geografischen Suchbereich – denn echte Liebe überwindet alle Entfernungen. Dadurch verbessern wir womöglich implizit unsere Passungskriterien und erhöhen die Chance, dass unsere Beziehungen zufrieden werden. Wer partout nur im Nahbereich eine Beziehung finden möchte, läuft Gefahr – ohne dies zu merken – sich auf schlechtere Partnerschaften einzulassen.
Die sinnvollste Einstellung bei der Partnersuche ist nach meiner sowohl psychologisch wie romantisch geprägten Überzeugung über die Liebe die weltweite Suche:
- Begegnen sich zwei Menschen, die wirklich wechselseitig gut miteinander ticken, kann und wird ihre Liebe alle Hindernisse der Distanz überwinden.
Womöglich führt die Dynamik zu einer gewissen Instabilität, aber die Zufriedenheit mit der Beziehung als der letztlich entscheidender Faktor wird im Durchschnitt wachsen:
- „Wir haben 1000 Kilometer überwunden und unsere Liebe ist daran gewachsen“, so ähnlich lauten oftmals die Liebesgeschichten, die die Beteiligten ihrer Nachwelt überlassen.
Je mehr Sie diese Überlegungen für sich nachvollziehen können, desto besser sind Ihre Aussichten, bei Gleichklang diejenige romantische Liebe zu finden, mit der Sie glücklich werden:
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