Sechs Stile der Liebe nach Lee
In meinem heute veröffentlichten dritten Teil der ▶Video-Serie zur Psychologie der Online-Partnersuche spreche ich über die sechs Stile der Liebe nach dem kanadischen Soziologen Alan Lee:
- Eros – romantische Liebe
- Storge – freundschaftliche Liebe
- Mania – besitzergreifende Liebe
- Pragma – pragmatische Liebe
- Agape – aufopferungsbereite Liebe
- Ludus – spielerische Liebe
Dabei zeige ich in dem Video auf, wie sich diese Stile vielfältige kombinieren und welche Dynamiken entstehen können, wenn sich oppositionelle Stile, wie romantische Liebe und spielerische Liebe, oder besitzergreifende Liebe und freundschaftliche Liebe, miteinander kombinieren – und was die Konsequenzen sind.
Auch auf die Auswirkungen der Liebesstile auf Beziehungszufriedenheit, Beziehungsstabilität, sowie die Bedeutung dieser Liebesstile für die Partnersuche gehe ich ein.
Das ▶Video soll so nicht nur informieren, sondern praktische Hilfe leisten bei der Partnersuche, beim Beziehungsaufbau und bei der Beziehungsarbeit.
Kulturvergleich und Diversität
Mein heutiger Blog-Artikel stellt eine Ergänzung und Vertiefung zu einem der im Video vorgestellten Stile dar – nämlich zur spielerischen Liebe.
Der Schwerpunkt liegt dabei darauf, wie wir von anderen Kulturen – in diesem Fall den Mosuo in Tibet – lernen können, Liebe unter ganz anderer Perspektive zu betrachten und dadurch unseren eigenen Horizont zu erweitern:
- Erkennen wir die Diversität von Liebe erschließen sich uns plötzlich gänzlich neue Gestaltungsmöglichkeiten. Ein solcher Blick auf andere Kulturen ist im Übrigen immer hilfreich. Und je häufiger und intensiver wir diesen Blick werfen, desto stärker wird es uns in allen Bereichen gelingen, uns von Vorurteilen und Voreingenommenheit zu befreien und auch unser eigenes Leben, geistig, seelisch und handlungsbezogen zu erweitern.
Natürlich sollten wir dabei auch keine naive-rosarote Brille aufsetzen. Aber eben auch keine negative Brille, wie wir dies in unseren scheinbar aufgeklärten Teilen so erstaunlich oft tun.
Erweiterung unseres Horizontes
Was können wir von den Mosuo über die Liebe, über Diversität, über soziale Beziehungen lernen?
Die Mosuo sind ein Volk mit ca. 40000 Mitgliedern in Tibet, die eine tibetobirmesische Sprache sprechen und die ein in vieler Hinsicht einzigartiges Modell von Liebe und Sexualität umgesetzt haben:
- Mosuo bleiben immer bei ihrer Herkunftsfamilie bzw. in ihrer Hausgemeinschaft, leben also zusammen mit ihren Müttern, Großeltern, Urgroßeltern, Onkel, Tanten, Neffen, Nichten, Cousinen und Cousins. Die Einheit ist dabei aber weniger die genetische Familie, als das Haus, der Ort, wo sie zusammen leben. So nehmen Mosuo beispielsweise andere Personen in ihr Haus auf, wenn deren Familien für ein eigenes Haus zu klein sind, oder sie adoptieren Kinder von anderen Mosuo. Tritt ein Geschlechterungleichgewicht ein, kommt es ebenfalls vor, dass Männer oder Frauen von anderen Familien in das Haus einziehen – und mit diesem Einzug werden sie zu komplett gleichberechtigten Mitgliedern des Hauses, sind also quasi Familienangehörige.
- Bei den Mosuo leisten die Frauen einen Großteil der Erwerbsarbeit. Aber auch die Männer des gleichen Hauses helfen mit und verrichten u.a. die körperlich schweren Arbeiten. Es wird im Regelfall ein Haushaltsoberhaupt bestimmt, meistens sind dies Frauen, es können aber auch Männer sein. Aus der Arbeit aller ergibt sich das Hauhaltseinkommen. Alles Einkommen des Hauses steht dem gesamten Haus zu, die Besitzübertragung ist dabei entsprechend matrilinear, da ja die Väter in einem anderen Haus leben. Es gibt damit keine negativen Scheidungsfolgen, illegitime Erben, Erbauseinandersetzungen, Auseinandersetzungen um Sorgerecht etc., die unsere Gesellschaft jeweils tiefgreifend prägen. Entscheidend ist zudem nicht eine (vermeintliche) Blutlinie, sondern der Lebensort.
- Sexuell und partnerschaftlich haben die Mosuo ein System der „Walking Marriage“ etabliert, was aber tatsächlich mit einer Hochzeit wenig zu tun hat. Frauen können Männer, die ihnen gefallen, über Nacht in ihr Haus einladen, wofür sie auch eigene Zimmer haben. Am Morgen kehren die Männer dann wieder in das Haus ihrer eigenen Familie/Bezugsgruppe zurück. Sie leben dort mit ihren Schwestern, Brüdern, Onkeln, Tanten, Eltern, Großeltern, Neffen, Nichten etc. Es besteht keine Pflicht zur Monogamie, weder für Frauen noch für Männer. Frauen können partnerschaftlich-sexuelle Beziehungen mit mehreren Männern gleichzeitig führen, oder aber auch in serieller Monogamie hintereinander. Gleiches können die Männer tun. Es herrscht hier also eine Parität zwischen Männern und Frauen. Auch eine lebenslange Monogamie ist für diejenigen möglich, dies dies möchten.
- Aus den Beziehungen zwischen Frauen und Männern entstehen auch Kinder, von denen nicht immer bekannt ist, wer die Väter sind. Dies wird aber auch nicht als entscheidend erlebt. Denn die Kinder bleiben im Haus der Mutter und werden dort gemeinschaftlich von der Mutter, ihren Brüdern und Schwestern, Onkeln, Tanten, den Großeltern, Urgroßeltern etc. erzogen. Alle Geschlechter sind an der Erziehung der Kinder beteiligt. Die Väter sind demgegenüber in die Erziehung nicht einbezogen, sondern kümmern sich um die Erziehung der Kinder ihrer Schwestern, Cousinen etc. in ihrem Haus.
- Ist der Vater bekannt und möchte er sich stärker an der Erziehung der Kinder beteiligen, ist dies aber durchaus möglich. Er kann dann Geschenke mitbringen und häufiger zu Besuch kommen. Es besteht jedoch keine Verpflichtung zum Kindesunterhalt, ebenso wenig wie die partnerschaftlichen oder erotischen Beziehungen zwischen Männern und Frauen an irgendwelche Versorgungsleistungen gebunden sind. Das Einkommen erzielen alle beide ausschließlich aus ihrem eigenen Haus. Es gibt keine formale Heirat und entsprechend auch keine Scheidung. Sexuell-partnerschaftliche Beziehungen sind von materiellen Aspekten weitgehend befreit.
- Die meisten Mosuo-Frauen gehen Beziehungen mit mehreren Männern ein, offenbar häufiger hintereinander als gleichzeitig. Wie lange eine Beziehung dauert, entscheiden die Frauen und Männer selbst, wobei es auch viele langjährige und sogar lebenslängliche Beziehungen gibt. Aber auch dann bleiben die sich Liebenden in ihrer Herkunftsfamilie/ihrem Haus verankert. Sie leben nicht als Paar zusammen, es gibt keine Gütergemeinschaft und auch Phänomene, wie Eifersucht, werden nur selten beschrieben. Sexuelle und partnerschaftliche Beziehungen gelten nicht als anstößig und auch die Kinder wachsen mit der Normalität dieses Lebensmodells auf.
Spielerische Liebe
Bringen wir dies nun mit dem Modell der Liebesstile nach Lee zusammen, dann erkennen wir sofort, dass ganz besonders Ludus, also der spielerische Liebesstil durch diese Struktur gefördert wird.
Die spielerische Liebe ist eine leichte Form der Liebe, die sich bei Affären und erotischen Kontakten zeigt, wo es nicht um die Herstellung einer verbindlichen Beziehung geht. Die Beziehung zueinander, die Zärtlichkeit und der Sex, werden genossen, aber endet die Liebe sind die Betreffenden meistens nicht sehr traurig oder belastet.
Interessanterweise zeigen Studien zum spielerischen Liebesstil, dass dieser jedenfalls unter unseren kulturellen Voraussetzungen durchschnittlich eher mit negativen Beziehungsfolgen einhergeht:
- Die spielerische Liebe korreliert mit einer geringen Beziehungszufriedenheit, kürzeren Beziehungen, wenig Einsatz für die Beziehung, ungünstigem Konfliktverhalten. Sie wird auch also eine vermeidende Form der Bindung verstanden, da alles unverbindlich bleiben soll.
Typischerweise sind es bei uns tatsächlich eher Affären, Fremdgehen, Urlaubsbekanntschaften, One-Night-Stands bis hin zu transaktionalem Sex, wo eine oder alle beteiligten Personen eine spielerische Liebe erleben.
Kontext ist entscheidend
Würden wir nur spielerisch lieben, würden viele von uns vermutlich in unserer Sozialstruktur einsam werden.
Denn in unseren Gesellschaften gibt es keine stabilisierende Sozialstruktur, die die spielerische Liebe mit Sicherheit, Geborgenheit, Versorgung etc. verbindet. Sie wird sogar in unseren Breiten nicht selten heimlich ausgeübt – im Sinne einer Doppelgleisigkeit. Es gibt feste Partner:innen, mit denen andere Liebesstile praktiziert werden. Diese ahnen nichts davon, dass es da noch andere Personen gibt, mit denen der geliebte Mensch eine spielerische Liebe auslebt.
Da typischerweise eine Vereinbarung zur Monogamie gilt, führt das Aufdecken solcher Strukturen oft zu großen seelischen Schmerzen, Konflikten, Verwerfungen, Trennungen – eben weil die spielerische Liebe mit der anderen Person als Vertrauensbruch erlebt wird.
Trennen sich Paare, werden gerade im mittleren und höheren Lebensalter so manche Personen einsam, wenn es ihnen nicht gelingt, eine neue Beziehung zu finden.
Die spielerische Liebe ist also meistens in unserer gesellschaftlichen Struktur eher destabilisierend. Sie führt selten zu verbindlichen Beziehungen, geht schneller auseinander, und erhöht sogar das Trennungsrisiko in der Kernbeziehung, wenn sie im Sinne von Fremdgehen auffliegt.
So wundern die dargestellten Forschungsbefunde nicht und es erstaunt auch nicht, dass Ludus als Liebesstil gesellschaftlich eher negativ bewertet wird.
Jeder Stil hat seine Berechtigung
Lee aber hat in seiner Theorie ein anderes Konzept:
- Alle Stile der Liebe haben ihren eigenen Wert, wie auch jede Farbe ihre eigene Berechtigung hat. Der Titel seines 1976 veröffentlichten revidierten Buches (enorm lesenswert!) lautet insofern auch „Colours of love“.
Lee geht es darum, Liebe nicht normativ als gut oder schlecht zu bewerten, sondern die Diversität der menschlichen Möglichkeiten zu Liebe und Liebesgestaltung zu ergründen und dabei allen Ausformungen Akzeptanz und Wertschätzung zuzuweisen – in meinem Video vertiefe ich diesen Punkt.
Die Mosuo machen uns vor, dass Lee jedenfalls bezüglich der spielerischen Liebe recht hat:
- Die vielen in der Literatur beschriebenen negativen Auswirkungen der spielerischen Liebe, entstammen nicht der spielerischen Liebe, sondern der sie umgebenden Kultur. Sie sind Ergebnis einer gesellschaftlichen Struktur, welche die spielerische Liebe nicht schätzt, sie höchstens auf bestimmte Entwicklungsstufen beschränken will und ihr im Rahmen des normativen Modells der monogamen Zweierbeziehung zahlreiche Hindernissen entgegenstellt. Wer ihr trotzdem nachgeht, über den wird die Nase gerümpft. Die betreffenden Personen können aber auch tatsächlich unglücklich werden, nämlich dann, wenn an ihrer spielerischen Liebe ihre anderen Beziehungen scheitern. Auch können sie sich einsam fühlen, wenn eine spielerische Konstellation auseinandergeht. Zudem führen Verdeckung und Doppelleben immer zu Anspannung und Stress und genau dies steht wiederum der Leichtigkeit der spielerischen Liebe entgegen. Das ist sicherlich ein weiterer Grund dafür, warum viele Geliebten-Verhältnisse und Affären ungut enden.
Die gleichen Verhaltensmuster in der Mosuo-Gemeinschaft führen aber zu gänzlich anderen Konsequenzen:
- Die Beteiligten genießen ihre Liebesbeziehungen und gestehen sich dabei wechselseitig ihre romantischen und sexuellen Erlebensbedürfnisse zu. Sie normalisieren die spielerische Liebe, die durch die Akzeptanz der Nicht-Monogamie ihr volles Potenzial entfalten kann, ohne dass sie mit Verdeckung und Heimlichkeit einhergeht. Die Beteiligten genießen einander und ihre Beziehung, ohne den Stress von Eifersucht und Besitzanspruch, die Angst vor Verlassenwerden und Einsamkeit, die Sorge um Trennungs- und Scheidungsauseinandersetzungen, die Streit über die Erziehung der Kinder oder die Gefahr materieller Verarmung.
Faktoren der sozialen Stabilität
Was aber ermöglicht es den Mosuo, die spielerische Liebe auf solch ein hohes Niveau zu bringen?
Neben der Akzeptanz ihrer Lebensweise durch die sie umgebende Gesellschaft ist dies vor allem die Sicherheit, Fürsorge und Solidarität, die sie von ihrer Geburt bis zum Tod im gemeinsamen Haus begleiten und gegen alle möglichen Verwerfungen der Lebens und der Liebe absichern.
Sie brauchen keine Beziehung aus Einsamkeit und sie müssen keine Einsamkeit fürchten, weil sie ihre Liebe spielerisch leben.
Alle Altersstufen und Geschlechter kommen in den Genuss dieser uneingeschränkter Sicherheit. Und wenn Sicherheit herrscht, wenn Menschen geborgen sind, dann gehen Angst und Eifersucht zurück und sie können in größerer Freiheit entscheiden, wie sie ihr Liebesleben gestalten wollen.
Dies macht bei den Mosuo den Weg frei für die spielerische Form der Liebe.
Dabei wäre es allerdings eine Vereinfachung, wenn wir nun für alle Mosuo-Beziehungen ausschließlich den spielerischen Liebesstil unterstellen würden. Liebesstile können sich sehr vielfältig kombinieren. Kulturen können Kombinationen fördern oder abschwächen, dennoch zeigen sich letztlich in allen Kulturen grundsätzlich alle möglichen menschlichen Erlebensweisen.
Dies gilt für Liebe und Sexualität, ebenso wie für alle anderen Dinge. Es wäre also sicherlich eine rosarote Brille, hier nun das Bild eines allein spielerischen Liebes-Paradies der Mosuo zu zeichnen. Die Grundtendenz ist so, in der Individualität treten aber auch bei den Mosuo alle Liebesstile auf.
Viele ihrer Beziehungen sind der Mosuo sind fraglos betont spielerisch. Aber auch leidenschaftliche Romantik, freundschaftliche Vertrautheit, Einsatz für die Person der geliebten Person (der hier aber eher subtiler und beratender ist, da die soziale Struktur die gesamte Fürsorge übernimmt), pragmatische Vereinbarungen, können in den Beziehungen im unterschiedlichen Ausmaß wie bei uns eine Rolle spielen.
Was die Sozialstruktur der Mosuo zudem besonders erleichtert ist, dass selbst spielerische Beziehungen dauerhaft bestehen bleiben können, was bei uns eine Ausnahme ist.
Liebe ist gesellschaftlich geprägt
Wir alle sind von der uns umgebenden Gesellschaft geprägt, bis hin zu internalisierten Geboten und Verboten, wie wir unsere Liebesbeziehungen zu pflegen haben.
Aber in der aktuellen Struktur, in der wir für unsere Liebe jedenfalls nicht mit Verfolgung, Bestrafung oder gar Tod bedroht werden, können wir es uns leisten, individuell zu reflektieren, was unsere Bedürfnisse tatsächlich sind, überkommende Vorstellungen in Frage stellen, internalisierte Gebote und Verbote verändern und neue Handlungs- und Erlebenspotenziale für uns erschließen.
Das Beispiel der Mosuo kann uns hierfür Anregung und Anreiz geben, auch wenn wir individuell zu unterschiedlichen und anderen Ergebnissen gelangen mögen.
Veränderungen bei den Mosuo
Übrigens hat auch die Mosuo-Gesellchaft sehr wohl ihre Probleme. Leider ist es nicht einmal ausgeschlossen, dass wir es jetzt mit den letzten Generationen dieses Lebens- und Liebesmodells zu tun haben.
Durch die Erwerbsarbeit in Fabriken ziehen die Menschen aus ihrer Hausgemeinschaft aus, dadurch geht die Verbundenheit verloren, und es bilden sich Zweierbeziehungen in den Städten, die den Verlust dieser Verbundenheit ausgleichen sollen.
Immer mehr Mosuo beginnen, sich aus ihren Bezügen zu lösen und sich dem Modell der monogamen Zweierbeziehung anzupassen. Das Ende ist offen.
Natürlich gilt auch hier, dass Menschen verschiedenartig sind und manche eben, auch wenn sie aus einer polyamoren und spielerischen Erfahrungswelt kommen, die monogame Zweierbeziehung präferieren.
Das ist völlig in Ordnung und kann für diese Menschen ein Gewinn und eine Erweiterung ihres Liebeshorizontes sein – auch wenn die damit womöglich einhergehende Erodierung des solidarischen Bezugssystems der Hausgemeinschaft sicherlich letztlich für die meisten doch ein Verlust sein wird.
Unsere Gesellschaft der Vereinzelung zeigt dies deutlich.
Umgekehrt, können aber natürlich auch wir, die wir aus einer Tradition der monogamen Zweierbeziehung kommen, wo die spielerische Liebe oftmals eher betrügerisch-egozentrisch eingebettet ist, von der Tradition der Mosuo profitieren:
- Durch Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der anderen können wir eigene Potenziale entdecken und gelangen womöglich zu veränderten und neuen Formen, wie wir unsere Liebesbeziehungen gestalten.
Die Feministin und Anwältin aus Singapur Choo Waihon verbringt einen großen ihres Alltages mit den Mosuo, deren Sprache sie lernte. Sie hat es sich zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, mindestens für die Nachwelt zu dokumentieren, dass eine andere Form von Liebe, Partnerschaft und Kindererziehung in einer stark durch eine Parität von Mann und Frau geprägten Gesellschaft möglich ist.
Andere aber stellen sich, wie der Ethnologe Tao Li, in Verkennung ihrer eigenen kulturellen Arroganz und ihrer unberechtigten Überlegenheitsansprüche über die Mosuo und dozieren, dass es sich um eine primitives Gesellschaftssystem handele und moderne Gesellschaften monogam seien.
Bleibt die Liebe der Mosuo bestehen?
Die Versuchungen der modernen Konsumgesellschaft, die aktuell dabei ist, unsere natürlichen Lebensgrundlagen durch ihre Nicht-Nachhaltigkeit zu zerstören, gehen an den Mosuo tatsächlich nicht vorbei.
Traditionell verfügten die Mosuo über sehr wenig Geld, aber sie kannten auch keinen Hunger und kein Elend, und sie waren sich ihrer Versorgung lebenslang gewiss.
Es ist möglich, dass die Lockkraft der Überproduktions- und Konsumgesellschaft die Kultur der Mosuo mit ihrer einzigartige Liebesform unter der durch sie weltweit erzeugten Gier und Mülllawine dereinst begraben wird.
Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen:
- Stefania Renda und Hatsumi Kanenawa haben sich in ausführlichen Feldstudien mit den Mosuo und auch mit den Einflüssen des modernen Tourismus auf diese auseinandergesetz. Sie schildern eine zunehmende Kommerzialisierung der Mosuo-Kultur durch den Tourismus, was bis hin zu einer Kommerzialisierung der „Walking Marriage“ geht. Andererseits halten andere Mosuo unter veränderten Bedingungen – und stärker entfernt von den touristischen Einflüssen – in einem authentischen Sinne an ihrem Lebensmodell und Liebesmodell fest, woraus sich für sie viele Vorteile ergeben, einschließlich des Sachverhaltes, dass sich bei den Mosuo Trennungen nicht traumatisch auf die Kinder auswirken.
(Demgegenüber spielt sich bei uns in den familienrechtlichen Grabenkämpfen die Unterordnung der Kinder unter die Interessen besitzergreifend agierender Eltern ab – paradoxerweise immer vorgeblich zum Wohle der Kinder. Die Folgen sind beträchtlich und halten für so manche Scheidungskinder lebenslang an.)
Reflexion und Erweiterung
Schließlich besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass die Lebensweise der Mosuo auf die Mitglieder anderer Kulturen ausstrahlt, wenn diese erfahren, dass alternative Modelle der Liebe möglich und tragfähig sind. AUch anderswo können Haus- und Lebensgemeinschaften wie bei den Mosuo gebildet werden.
Im Grunde ging es mir in diesem Artikel vorwiegend darum, aufzuzeigen, wie vielfältig und divers das menschliche Liebeslieben tatsächlich ist – und dass scheinbare „Naturgesetze“ tatsächlich nichts als kulturelle Anpassungen sind, die nicht von jeder Kultur geteilt werden und die wir als Individuen zudem reflektieren und verändern können.
Das Modell der sechs Liebesstile von Alan Lee eignet sich dabei in hohem Ausmaß, um besser zu verstehen, was Liebe ist oder sein kann.
So können wir für uns selbst Variationsmöglichkeiten entdecken, Erfahrungen sammeln und auf dieser Basis lernen, die eigenen Beziehungen in Balance zu gestalten, sodass das Glück alle beteiligten Personen maximiert wird.
Dies ist auch unser Programm bei Gleichklang, mit dem wir uns dafür einsetzen, die Liebe für unsere Mitglieder zur Realität werden zu lassen.
Mehr zu dem Thema der sechs Liebesstile erfahren Leser:innen in meinem ▶aktuellen Video. Gerne können Sie mir dort auch Ihre eigenen Gedanken und Erfahrungten in die Kommentare schreiben. Alle Kommentare werden von mir gelesen und beantwortet.
Die Liebe – in ihren vielen verschiedenen Formen – können Sie bei Gleichklang finden – vor allem dann, wenn Sie sich anregen lassen, gleichzeitig in sich und aus sich heraus zu gehen. Wir unterstützen Sie dabei!