Liebe als Geschichten
In wenigen Tagen wird in meinem ▶ YouTube-Kanal mein neues Video zu den “Stories auf Love” erscheinen.
Der Story-Ansatz zur Untersuchung von Liebesbeziehungen stammt von dem bekannten Psychologen Robert Sternberg. Den Ansatz hat er in seinem Buch „▶Love is a Story: A New Theory of Relationships“umfassend dargelegt. Ergänzungen und neuere Befunde werden verteilt über mehrere Kapitel in seinem aktuellen Buch „▶The New Psychology of Love“ vorgestellt und diskutiert.
Der Ansatz ermöglicht es uns, besser zu verstehen, warum manche Beziehungen halten, andere auseinandergehen, manche glücklich, andere aber unglücklich werden – aber auch, warum manche glückliche Beziehungen auseinandergehen, und wiederum andere unglückliche Beziehungen halten!
Unsere eigenen Stories
Jeder Mensch hat seine eigene Liebesgeschichte. Dabei ist jede Story verbunden mit Einstellungen, Erwartungen, bewussten und automatischen Handlungen.
Ob wir es wollen oder nicht, ob wir es wissen oder nicht:
- Wir tragen unser Story an andere Menschen und neue Beziehungen heran,
Seit der Kindheit erwerben wir unsere Liebesgeschichten. Dies beginnt mit den Beziehungen der Eltern und endet nicht.
Der heutige Artikel ist eine kurze Vorbereitung auf mein in zwei bis drei Tagen kommendes Video. Die Botschaft der “Stories of Love” wird aber auch durch den Artikel allein vermittelt. Es fehlen nur unzählige Stories, die im Video erzählt werden.
Vereinbare und unvereinbare Stories
Was ich in diesem Artikel vorab verdeutlichen möchte, ist vorwiegend eines:
- Es ist wichtig, dass wir unser eigene “Story of Love” kennen, uns mit ihr aktiv auseinandersetzen und sie entsprechend reflektiert in unsere Beziehungen einbringen.
Die Stories sollten gemeinsam expliziert werden. Sonst wird die gemeinsame Beziehung ein Blindflug. Leider scheitern jedoch die meisten Blindflüge.
Das passt zu dem, was wir bei Partnerschaften sehen:
- Die Mehrheit der Ehen wird geschieden und 70 % der neuen, nicht verheirateten Beziehungen trennen sich laut Studien bereits im ersten Jahr.
Nehmen wir einmal an, jemand hat eine “House und Home Story” der Liebe. Bei der Liebe geht es also darum, ein gemeinsames Zuhause aufzubauen. Das kann wortwörtlich das Haus sein, es kann aber auch ein anderes gemeinsames Lebensumfeld sein. In dieser Story werden materielle und örtliche Aspekte eines Zuhauses verwoben und sie kombinieren sich mit dem Lebensplan und einer gemeinsamen Absicherung.
Eine andere Person hat nun aber die Story “Liebe als anarchisches Zusammensein“. Zu jeder Zeit können Liebende tun und alles, was wir wollen. Denn die Liebe lebt nach dieser Story im Moment und das, was gemeinsam entsteht (oder auch nicht), entsteht in spontaner Selbstorganisation.
Kommen diese beiden Personen jedoch zusammen, wird ihre Liebe womöglich nicht glücklich werden. Denn die “House und Home-Story” benötigt Planung, Vereinbarungen und Verbindlichkeit. Genau dies möchten diejenigen aber nicht, deren Story of Love die Geschichte der “Liebe als anarchische Freiheit” ist.
Beide Stories können funktionieren, die “House und Home-Story” ebenso wie die Story der “Liebe als Anarchie“. Funktionierten können sie jedoch nur, wenn solche Beteiligten aufeinander treffen oder sich so zueinander entwickeln, dass ihre Stories vereinbar sind.
Identisch brauchen die Stories aber nicht zu sein:
- So kann die Projekt-Story “Liebe erfindet sich jeden Tag neu” durchaus zur Story der “Liebe als anarchisches Zusammensein” passen. Die “House und Home-Story” kann passen zu einer “Garten-Story“, bei der die Liebe wie ein Garten ist, der gehegt und gepflegt wird.
Es gibt die “Fortpflanzungs-Story der Liebe“, die leibliche Kinder braucht. Und es gibt die “Story der Antinatalist:innen“, die leibliche Kinder ausschließt. Beide Stories passen nicht zueinander.
Jedoch können beide Stories durchaus zu einer Story der “Liebe als Familiengründung” passen, weil eine solche über leibliche Kinder (Fortpflanzungs-Story) und auch über Adoptiv-Kinder (antinatalistische Story) möglich ist.
Warum bleiben manche Menschen zusammen, die ständig nur Kämpfe miteinander austragen?
Ein Grund kann sein, dass sie die Story der “Liebe als Terror und Krieg” haben. Es gibt diese Story wirklich und genau deshalb denken manche Paare gar nicht daran, sich zu trennen – egal, was das Umfeld denkt.
Wer die Story der “Liebe als Terror und Krieg” hat, zu dem passt aber niemand mit der Story der “Liebe als Harmonie“:
- Beide Stories sind möglich und in beiden Stories können Beziehungen halten. Treffen aber beide Stories aufeinander, wird es kein gutes Ende nehmen.
Gar nicht zueinander passen die Story des “Liebe als Abhängigkeit” und die Gegenstory der “Liebe als Unabhängigkeit“:
- Begegnen sie einander, wird die Beziehung für die eine Person ständige Verlustangst und Zurücksetzung sein, für die andere Person permanente Einengung und Freiheitsberaubung.
Manchmal ist es die gleiche Story mit gegensätzlichen Rollen, die verbindet. Die Story des BDSM der “Liebe als spielerische Dominanz und Unterwerfung” ist hierfür ein Beispiel:
- Die Story sollte gleich sein, aber die Rollen gegensätzlich.
Übrigens kann diese Story durchaus zur Story der “Liebe als symmetrische Macht” passen:
Denn die Machtasymmetrie beim BDSM ist nur spielerisch und beruht auf einer Vereinbarung, die symmetrisch getroffen wird.
Umgekehrt, wird jemand mit einer Story der “Liebe als symmetrischen Macht” wohl nicht glücklich werden mit jemanden, der eine Story der “Liebe als asymmetrisches Patriarchat” hat.
Liebende mit einer Story der “Liebe als Reise” oder einer Story der “Liebe als gemeinsamer Einsatz für eine bessere Welt“, können eine Basis miteinander finden. Es kann aber auch passieren, dass die eine Person in dieser Beziehung letztlich den Eindruck gewinnt, ihre Ideale nicht umsetzen zu können – und die andere sich unter Druck gesetzt fühlt, sich mehr gesellschaftlich zu engagieren.
Probleme werden sicherlich auftreten, wenn die eine Person eine Story der “Liebe als Situationship” hat, die andere aber eine Story der “Liebe bis der Tod uns scheidet“. Ist für die eine Person die Beziehung temporär und kontextuell (z.B. “Studium-Partnerschaft”), wird die andere unter einer Trennung enorm leiden.
Ich könnte unzählige weitere Stories aufzählen, aber dazu können Sie sich ja bald mein Video anschauen!
Vier zentrale Implikationen
Vier Aspekte möchte ich noch ansprechen:
- Wir verstehen viele Beziehungen nicht, weil wir die Stories der Beteiligten nicht kennen. So wissen wir nicht, was tatsächlich zwischen den Betreffenden vorgeht. Das gilt oft sogar für uns selbst.
- Wir haben in der Regel nicht eine, sondern mehrere Stories, deren Bedeutsamkeit sich unterscheiden kann. Das ist auch eine Chance, denn so können wir durch einen Wechsel des Fokus mit unterschiedlichen Personen glücklich werden.
- Stories der Liebe kennzeichnen sich durch relative Stabilität und gleichzeitig durch relative Instabilität. Einerseits neigen wir dazu, unsere Stories zu wiederholen. Andererseits lernen wir dazu. Neue Erfahrungen, Selbstreflexion und bewusste Entscheidungen können zur Änderung unserer Stories führen.
- Partnerfindung ist die Kunst, sich für die Person zu entscheiden, mit der keine inkompatiblen, sondern kompatible Stories der Liebe bestehen oder aber sich entwickeln lassen.
Gleichklang und “Stories of Love”
Wir erheben bei Gleichklang in unserem Fragebogen übrigens bereits jetzt vielfältige Stories der Liebe. Bereits jetzt bringen wir Menschen zusammen, deren Stories zueinander passen. Den Story-Ansatz wollen wir aber künftig ganz in den Vordergrund unserer Vermittlung stellen.
Dazu werden wir demnächst einen sehr langen Fragebogen Online stellen und würden uns freuen, wenn möglichst viele Mitglieder und Interessent:innen den Bogen ausfüllen. Es wird auch eine Rückmeldung geben.
Aus den Ergebnissen werden sich die zentrale Stories unserer Mitglieder und Interessent:innen herauskristallisieren. Und wir wollen dann diejenigen Stories bei unserer Vermittlung ergänzen, die wir bisher noch nicht ausreichend berücksichtigten.
Befunde und Erkenntnisse ändern sich ständig. Deshalb ist auch Partnervermittlung – wie das gesamte Leben – nicht statisch. Künftig wird es bei uns jedenfalls mehr um die “Stories of Love” gehen.
Das kommende Video (schauen Sie in 2-3 Tagen noch einmal in meinen ▶ YouTube-Kanal) wird Ihnen einen guten Einblick in diese bisher noch eher kleine “Schule der Beziehungspsychologie” geben. Und hoffentlich auch ein Stück weit einen Einblick in sich selbst.