- und wie wir ihn korrigieren können!
In meinem letzten Blog-Artikel habe ich auch Befunde zu Denkfehlern beim Online-Dating dargestellt. Heute gehe ich auf einen dieser Denkfehler und mit ihm verbundene weitere Denkfehler etwas ausführlicher ein.
Dies hat zwei Gründe:
- es handelt sich hier um den folgenschwersten Denkfehler bei der Online-Partnersuche überhaupt, der sich zu einer dezidierten Kontaktblockade ausweiten kann. Nach nunmehr 17 Jahren Online-Partnervermittlung habe ich keinen Zweifel, dass die Vermittlungschancen und vor allem die Vermittlungsgeschwindigkeit stark ansteigen würden, wenn es gelingen würden, diesen Denkfehler zu korrigieren.
- dieser Denkfehler ermöglicht uns Einsichten in unsere menschlichen Schwierigkeiten bei der Perspektivenübernahme. Setzen wir uns hiermit auseinander, können wir unsere Perspektivenübernahme und damit sogar unsere Beziehungsfähigkeit verbessern.
Der größte Fehler beim Online-Dating
Das ist nun also – zur Erinnerung für alle, die den vorherigen Artikel bereits gelesen haben – der größte Denkfehler beim Online-Dating:
- “Wenn eine andere Person mir nicht schreibt, denke ich, dass sie nicht interessiert ist.”
74 % der Befragten in unserer letzten Umfrage stimmten dieser Aussage zu.
Die Aussage ist objektiv falsch. Denn es kann viele Gründe dafür geben, warum jemand nach dem Anschauen eines Profils keine Nachricht sendet. Es kann tatsächlich mangelndes Interesse sein. Andere mögliche Gründe sind jedoch u.a.:
- ein Mangel an Selbstvertrauen, den ersten Schritt zu tun
- Schwierigkeiten mit der Verfassung von Erstnachrichten
- Wunsch, selbst angeschrieben zu werden (manchmal geschlechtsstereotysch begründet)
- gerade verhindert, erkrankt, keine Zeit
- aufgeschoben und vergessen (manche Menschen schieben auch auf, was sie interessiert!)
- Überzeugung, mit dem Anschauen des Profils bereits ein Signal zur Kontaktaufnahme gegeben zu haben
Die letzte mögliche Erklärung ist besonders interessant und gleichzeitig ein Paradox:
- Immerhin 30 % der Befragten der laufenden Umfrage stimmten dieser Aussage zu: “Wenn ich mir ein Profil anschaue, gebe ich damit der anderen Person ein Signal, mit mir in Kontakt zu treten.”
Widerspruch und Paradox
Nun steht diese Aussage eigentlich im Widerspruch zu der Aussage “Wenn eine andere Person mir nicht schreibt, denke ich, dass sie nicht interessiert ist.”
Wie kann das sein?
Können Menschen gleichzeitig davon ausgehen, dass eine nicht erhaltene Nachricht ein Desinteresse bedeutet, umgekehrt aber das eigene Nicht-Schreiben einer Nachricht ein positives Signal ist?
Sie können es, wie die folgende Auswertung zeigt.
Hier gehen ausschließlich diejenigen ein, die explizit angegeben haben, dass das Anschauen eines Profils OHNE Nachricht ein positives Signal gebe:
- 81 % gaben gleichzeitig an, dass sie es als Desinteresse bewerten, wenn eine andere Person sich ihr Profil anschaue und keine Nachricht sende und dass sie es aber umgekehrt als positives Zeichen bewerten, wenn sie das gleiche tun.
Damit wird das Paradox deutlich:
- Das Verhalten der eigenen Person wird als ein positives Signal bewertet. Das GLEICHE Verhalten einer anderen Person wird aber als negatives Signal gewertet.
Auswirkungen auf die Partnerfindung
Die Folgen können weitreichend sein:
- Die betreffenden Personen laufen Gefahr, durch Nicht-Schreiben immer wieder vermeintliche positive Signal zu setzen, die von den anderen Personen aber als Absagen bewertet werden.
- Die anderen Personen, deren Profil sie anschauten, werden ebenfalls nicht schreiben, da sie das Ausbleiben einer Nachricht ebenfalls als Desinteresse einschätzen.
- Wir müssen hier also leider eine enorme Reduktion der Kommunikation erwarten.
- Theoretisch braucht dies die Erfolgschancen nicht mindern, sondern erhöht nur die Suchzeit – schließlich wird irgendwann eine Person doch schreiben, die passt.
- In der Praxis bedeutet dies jedoch oft den erfolglosen Abbruch der Partnersuche, weil die betreffenden Personen schlichtweg nicht die Geduld haben, dabei zu bleiben, auch weil es so weniger oder keine Kontakte gibt.
- Leider gibt es wenig Grund zur Annahme, dass die meisten der betreffenden Personen nun anderswo fündig werden würden. Sachlage ist nämlich, dass die Single-Raten in den westlichen Gesellschaften stark ansteigen, obwohl sich weiter die überwältigende Mehrheit eine Partnerschaft wünscht.
- Auch der Anteil derjenigen, die dauerhaft Single bleiben steigt an. Es fällt also vielen tatsächlich schwer, eine Partnerschaft zu finden.
- Wenn sich Singles daher aufgrund eines einzigen Denkfehler so viele Chancen nehmen, kann das Ergebnis sogar sein, dass sie dauerhaft Single bleiben!
Was sagt die Psychologie?
Wie lässt es sich psychologisch erklären, dass wir das gleiche Verhalten bei uns selbst als ein positives Signal und bei anderen Menschen als eine Absage bewerten?
- Weil uns der Perspektivenwechsel schwerfällt!
Bei uns selbst das positive Signal
Wir haben direkten Zugriff zu unseren eigenen Gedanken und Gefühlen. Wir wissen grundsätzlich, ob ein Profil ein Interesse bei uns auslöst oder nicht. Wir wissen direkt, ob wir hoffen, dass die andere Person auf uns aufmerksam wird dadurch, dass wir uns ihr Profil anschauen. (Wenn sich jemand ein Profil anschaut, ist dies für die andere Person sichtbar).
Wenn wir also davon ausgehen, mit dem Anschauen eines Profils ohne Nachricht ein positives Signal zu geben, dann setzen wir unsere eigenen direkten Erlebniswelten voraus und glauben, dass die andere Person diese erkennen kann.
Was wir dabei aber übersehen ist, dass die andere Person keinen direkten Zugriff auf unsere Gefühle und unsere Gedanken hat und daher das positive Signal nicht erkennen, oder es sogar als ein negatives Signal bewerten kann.
Bei anderen das negative Signal
Genau so lässt sich erklären, warum die gleiche Person das gleiche Verhalten einer anderen Person nunmehr tatsächlich als ein negatives Signal bewerten kann:
- Wenn ich sehe, dass jemand mein Profil angeschaut, aber mir nicht geschrieben hat, dann denke ich automatisch auch darüber nach, warum diese Person mir nicht geschrieben hat.
- Eine naheliegende Antwort hierfür ist, dass die andere Person kein Interesse habe.
- Diese Antwort erfordert keine komplizierten Prozesse der Perspektivenübernahme, was die andere Person wohl erlebt hat. Diese sind auch ohnehin erschwert, da ja keinerlei Informationen über das Erleben der anderen Person vorliegen.
Falsche Umkehrung
Zudem gilt relativ oft tatsächlich der folgende Schluss:
- Wenn jemand nicht interessiert ist, schreibt er nicht.
Als Menschen neigen wir aber nach vielen Studien dazu, diesen Schluss irrtümlich umzukehren, obwohl dies logisch unzulässig ist, was Sie sofort an diesem Beispiel erkennen können:
- “Wenn ich einen Freund sehe, grüße ich.”
Dies bedeutet eben nicht umgekehrt:
- “Wenn ich grüße, sehe ich einen Freund”.
Trotzdem machen wir solche Umkehrungen sehr oft automatisch, wodurch logische Fehler entstehen.
Und doch wundert es, dass ich gleichzeitig für mich das eine und für die andere Person das Gegenteil denken kann.
Wieso bleibt der Widerspruch unentdeckt?
Ist dies kein Widerspruch, der mir auffalten müsste?
Es ist ein Widerspruch, aber auffalten muss er eben nicht. Der Grund hierfür ist, dass unsere Verarbeitungsweisen oft sehr situationsspezifisch und abschottet voneinander sind, ohne dass wir das ganze Bild zusammenbringen.
Wir haben unsere Schlüsse längst gezogen und handeln danach, bevor wir überhaupt einen systematischen Vergleich durchführen.
Dies bedeutet:
- Wir trennen die beiden Fälle (1. ich schreibe nicht, 2. andere Person schreibt nicht) komplett voneinander und verarbeiten sie daher auch getrennt.
- Da die Verarbeitzung völlig getrennt bleibt, bemerken wir den Widerspruch in unseren Schlussfolgerungen nicht.
- Wir können dadurch problemlos das Gegenteil gleichzeitig denken, ohne dass uns bewusst wird, dass wir uns im Widerspruch befinden.
- Auf der Verhaltensebene kann so beim Online-Dating eine Kontaktblockade entstehen.
Sicherlich fragen wir uns nun auch, woher diese Kontaktblockade kommt. Erneut orientieren wir uns aber lieber an schnellen, einfachen Lösungen, die keine komplizierten Vergleiche und keine Perspektivenübernahme beinhalten. Denn diese verbrauchen weniger Energie und fallen uns leichter.
Solche typischen Antworten sind daher z.B.:
- die Leute auf dieser Plattform sind alle nicht echt an Beziehungen interessiert
- die Plattform ist für mich nicht geeignet
- es sind Fake-Profile, die eine Aktivität nur vortäuschen
Bei manchen kommt es leider auch zu die eigene Person infrage stellenden Schlussfolgerungen, wie:
- ich bin nicht attraktiv
- niemand mag mich
Perspektivenübernahme ist komplexer
Alle diese Antworten benötigen nicht viel geistige Energie, um sie zu erzeugen. Deshalb greifen wir zu ihnen eher als zu einer komplizierten Analyse, wo wir erkennen würden, dass wir einen Denkfehler machen. Um dies zu erkennen, müssen wir nämlich recht kompliziert um alle Ecken denken:
- Hm, warum schreibt die Person mir nicht?
- Vielleicht ist sie nicht interessiert, oder könnte es ein anderer Grund sein?
- Oh, ich selbst schreibe manchmal auch nicht und hoffe doch, dass die andere Person dies tut.
- Warum tue ich dies? Ich denke, mit dem Anschauen des Profils habe ich bereits ein positives Signal gegeben.
- Ah, vielleicht ist es bei der anderen Person genauso. Vielleicht wollte sie mir durch das Anschauen des Profils ein Signal geben, damit ich mich melde.
- Dann schreibe ich ihr jetzt einmal!
Natürlich gibt es keine eindeutig richtige oder falsche Antwort, wir kennen die Antwort im einzelnen Fall nicht.
Aber warum sofort das Negative annehmen, wenn das Positive ebenfalls möglich ist?
Wir sind alle ziemlich komplex als Menschen und es gibt oft viele Gründe für das gleiche Verhalten, die sich von Fall zu Fall unterscheiden können.
Ein Grund für eine nicht erhaltene Nachricht von jemanden, der sich Ihr Profil anschaut, kann tatsächlich sein, dass diese Person auf Sie wartet, weil sie glaubt, Ihnen bereits ein positives Signal gegeben zu haben. Handeln Sie jetzt nicht, indem Sie den Kontakt aufnehmen, wird der Kontakt verloren gehen.
Eine einfache Lösung!
Oder ist es doch möglich, herauszufinden, was in der anderen Person vorgeht?
Es ist möglich:
- Indem wir selbst eine Erstnachricht schreiben und schauen, wie die andere Person reagiert.
Genau aus diesem Prozess heraus entstehen letztlich die Beziehungen, die wir Online finden.
Beziehungszufriedenheit wächst
Das Training von Perspektivenübernahme beim Online-Dating kann uns nicht nur helfen, unsere Partnersuche zum Erfolg zu bringen, sondern es kann ebenfalls die Voraussetzungen für eine auch tatsächlich glückliche Beziehung verbessern:
- Eine Studie bat verpartnerte Personen, zurückliegende Konflikte zu schildern, wobei das Ausmaß an Ärger und Perspektivenübernahme in ihren Schilderungen erfasst wurde. Es zeigte sich, dass mehr Ärger mit einer höheren Beziehungsaggression einherging, während mehr Perspektivenübernahme die Beziehungsaggression senkte.
- In einer Meta-Analyse zeigte sich, dass eine erhöhte Neigung zur Perspektivenübernahme bei Personen in romantischen Beziehungen mit einer höheren Beziehungszufriedenheit einherging.
Perspektivenübernahme kann also unseren Erfolg bei der Partnersuche verbessern und gleichzeitig auch die Zufriedentheit mit unseren Beziehungen erhöhen.
Voraussetzung hierfür ist, dass wir aus unseren automatisierten Denkfehlern und Vorurteilen herauskommen und in die Reflexion hineinkommen.
Genau dies ist das Motto, mit dem wir bei Gleichklang unsere Beziehungsvermittlung angehen. Dieser Artikel sollte meine Leser:innen motivieren, dabei zu sein!