Eine andere Ostergeschichte
Neulich las ich im Spiegel, Klimaschutz gehe auch ohne Masochismus. Übersetzt, Klimaschutz gehe also auch ohne die Lust an Demütigung, Schmerz oder Qual.
Der Autor plädiert gegen alle Verbote, gegen Kostensteigerungen für klimaschädliche Produkte. Positive Anreize seien genug, um das Klima zu schützen.
In einigen Ländern Südostasiens herrscht dieser Tage ein Notstand aufgrund einer akut gesundheitsbedrohlichen Luftqualität. Die Empfehlungen an die Bevölkerung sind, möglichst zu Hause zu bleiben, die Fenster zu schließen, keinen Sport zu machen und draußen Masken zu tragen.
Ein maßgeblicher Grund für den Notstand ist das Anzünden von Feldern und sind Brandrodungen in großem Stil.
- Wie gut Verbote wirken können, ist in Ländern zu sehen, wo solche Brandrodungen verboten sind.
In der Realität wäre natürlich die Kombination aus Verboten für klimaschädliche Produkte, wo immer es geht, Kostensteigerungen für die übrigbleibenden schädlichen Produkte und Kostensenkungen für klimafreundliche Produkte am wirksamsten.
Aber ein solcher Ansatz ist derzeit jenseits der Realität und der Artikel im Spiegel macht deutlich, woran es liegt:
- Unsere Überproduktion- und Überkonsumgesellschaft sieht nach wie vor jede Einschränkung von Produktion und Konsum als Ausdruck höchster Schmerzen an.
- Die kürzliche Ablehnung der Referendums für ein klimaneutrales Berlin durch Nicht-Teilnahme oder Nein zeigt, wie sehr die Mehrheit der Gesellschaft dem Spiegel-Ansatz folgt. Sie wünschen sich auch ein gutes Klima, aber tun wollen sie dafür nichts oder wenig.
Während in Afrika nach OXFAM 9 Millionen Menschen aufgrund der Klimaveränderungen bereits jetzt vom Hungertod bedroht sind und in Somalia eine akute Hungernot herrscht, während in Pakistan 30 % der Landes neulich überflutet wurden, während ganze Inselstaaten versinken, extreme Wetterphänomen zunehmen und immer mehr Menschen sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Länder zu Hitzekammern werden, gilt “Verzicht” noch immer als schmerzhaft.
Was hat das mit Ostern zu tun und was mit unserer Partnersuche?
Ich denke, sehr viel:
- Ostern ist vor allem eine Konsumschlacht.
Denken wir nur daran, wie viele Kaninchen, Karpfen, Lämmer und Hühner für dies Fest sterben.
Die meisten Menschen haben aber andere Sorgen. Ich las jedenfalls in einer Umfrage, dass sich die Mehrheit der Menschen ein Ostern ohne Eier nicht einmal vorstellen könne.
Hühner gehören zu den am meisten gequälten, ausgebeuteten und nach kürzester Lebenszeit ausrangierten Tieren dieser Erde. Gleichzeitig grassiert die Vogelgrippe, die nun immer mehr auf Säugetiere überspringt. Jeden Tag werden irgendwo auf der Welt zehntausende, hunderttausende oder gar Millionen Hühner, Enten, Gänse allein zur Eindämmung der Vogelgrippe durch brutale Massenkeulungen vernichtet.
Nichts davon wäre notwendig, denn Eier brauchen wir weder zu Ostern noch zu anderen Zeiten:
- So zeigte eine Studie aus dem Fachjournal Environmental Science, dass vegane Ersatzprodukte mindestens vier bis zehnmal weniger Emissionen verursachen als tierische Produkte.
- Eine weitere, im Fachjournal Natur Food veröffentlichte Studie gelangte zu dem Ergebnis, dass Tierprodukte nur 18 % der weltweiten Kalorien liefern, aber für mindestens 58 % der Treibhausgasemissionen der menschlichen Ernährung verantwortlich sind.
- Eine in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America veröffentlichte Studie gelangte zu dem Ergebnis, dass die weltweite Ernährungssicherheit dramatisch ansteigen würde, wenn die Menschheit zu einer veganen Ernährung wechseln würde.
Das verwundert nicht, schließlich sind 70 % aller landwirtschaftlichen Flächen dadurch besetzt, dass dort Nutztiere grasen oder aber, dass wir Futter für die Nutztiere anbauen und weltweit exportieren. Über Fleisch, Eier und Milch bekommen wir dann ca. 10 % der Kalorienmenge, die wir pflanzlich anbauten und verfütterten, zurück. Was für eine Verschwendung.
Vor diesem Hintergrund wirkt es nicht als übertrieben, wenn der Umweltwissenschaftler Joseph Poore von der Universität Oxford sagt, dass der Wechsel zur veganen Lebensweise der größte Beitrag zum Umweltschutz sei, den ein einzelner Mensch überhaupt durch seinen Lebensstil leisten könne.
Warum steigen wir aus diesem Wahnsinn nicht aus?
Ein Grund wurde im Spiegel-Artikel ungewollt und doch klar benannt:
- Weil unsere künstlich konditionierten Konsum-Wünsche, Bedürfnisse, Begierden und Präferenzen uns so bestimmen, dass sie jeden Bezug zur uns umgebenden Natur und zur Realität dessen, was wir als Menschen tatsächlich brauchen, verloren haben.
- Wir glauben wirklich, dass wir Eier brauchen, um an Ostern glücklich sein zu können, um ein Beispiel zu nennen.
In der Realität brauchen wir eine gesunde Umwelt und ein gesundes Klima.
Mehr als 90 % der uns umgebenden Konsumgüter, einschließlich der sogenannten Lebensmittel, die wir täglich verschlingen, brauchen wir nicht, um als Menschen glücklich zu sein.
Das gleiche gilt für einen großen Teil unserer Bekleidung und ebenso für die meisten Unterhaltungsveranstaltungen, sowieso für jeden sogenannten Luxus, den wir meinen, der Einfachheit und der Natur vorziehen zu müssen.
Die aktuelle Ideologie lautet, dass wir den Klimawandel und die ganze restliche Umweltzerstörung allein durch technologische Maßnahmen in den Griff bekommen. China baut regelrechte Meere aus Solaranlagen. Das ist gut und richtig, aber nach allem, was wir wissen, reicht es nicht.
Was wir wirklich brauchen, ist Verzicht auf den Unsinn, den wir ständig nutzlos produzieren und konsumieren. Denn Klimawandel und Umweltzerstörung schreiten so schnell voran, dass die zunächst auftretenden negativen Umwelt-Folgewirkungen der Produktion und Installation der neuen Anlagen einen Stopp des Klimawandels unmöglich machen.
Es dauert, bis die neuen Technologie ihre Umweltkosten wettgemacht haben und dann tatsächlich hilfreich sind.
Diese Zeit haben wir aber nicht, ganz zu schweigen davon, dass die neuen Technologien viel zu langsam kommen, u.a. weil wir immer wieder Krisen und Gründe finden, warum wir gerade jetzt erst einmal doch wieder auf fossile Energien setzen müssen. Natürlich nur zum Übergang, aber genau dafür ist es längst zu spät.
Derweil zeigt eine Studie aus dem Fachjournal PLOS Climate, dass allein die weltweite Umstellung der Ernährung auf vegan durch die schnelle Eliminierung von Methan 68 % der klimaschädlichen Auswirkungen der bereits emittierten Treibhausgase bis an das Ende des Jahrhunderts aufschieben könnte.
Die Ideologie des “weiter so” mit neuen Technologien bedarf der Ergänzung um den Verzicht der Produktion und des Konsums schädlicher Produkte. Dieser Verzicht ist tatsächlich psychologisch kein Schmerz und Leid, sondern eine Befreiung:
- Wir befreien uns von dem, was uns in Wirklichkeit keine Lebensfreude gibt, sondern unsere Lebensfreude durch Konsum-Begierden ersetzt.
Wie wenig die Gesellschaft aber nach wie vor bereit ist, in diesen Verzicht, der ein Gewinn ist, hineinzugehen, sehen wir leider selbst in unserer Gleichklang-Community:
- Das Suchkriterium nach einer “minimalistischen, also von Ballast und Konsum befreiten Lebensweise, gehört zu den seltensten Kriterien, die von unseren Mitgliedern mit einer +2 angekreuzt werden.
Wenn aber bereits eine tatsächlich im Durchschnitt (wie wir aus unseren Umfragen wissen) ökologisch und sozial hochgradig sensitive Community so wenig aufgeschlossen ist für eine konsumarme Lebensweise – wie sieht es dann wohl erst in der Mehrheitsgesellschaft aus?
Manche finden es übrigens arrogant oder überheblich, wenn zum Verzicht aufgerufen wird. Schließlich gebe es zahlreiche Menschen in Not, die mehr Konsum brauchten.
Die, die Verzicht überheblich finden, konsumieren meistens selbst viel und meinen nun (oder tun so), dass sie damit irgendwie denen helfen würden, denen es am Notwengisten fehlt. In Wirklichkeit beruhigen sie höchstens ihr Gewissen.
Je mehr Mangel anderswo herrscht, desto mehr eigener Verzicht ist notwendig.
Verzicht auf Luxus, Verschwendung, Brutalität und Umweltzerstörung wohlgemerkt, nicht Verzicht auf das Leben:
- Es geht nicht darum, auf die notwendigen Kalorien zu verzichten, die wir zum Leben brauchen. Es geht nicht um Verzicht auf körperliche Bewegung, wetter-angemessene Bekleidung, physische und seelische Sicherheit, Wissenserwerb, Liebe und Geborgenheit.
Ganz im Gegenteil:
- Es geht darum, dass alle in der Welt alle diese echten Bedürfnisse umsetzen können. Dafür müssen die, die die Welt derzeit durch Überproduktion und Überkonsum zerstören, nicht auf diese echten Bedürfnisse, sondern auf ihre artifiziell konditionierten Konsumbedürfnisse verzichten.
Damit mache ich aber auch bereits den Bogen zu Partnersuche und Liebe:
- In einer belgischen Studie, ich zitierte sie schon öfter, fanden 12 % der Befragten nach teilweise jahrelanger Nutzung von Dating-Apps mindestens zeitweise eine Beziehung. Da wir aus anderen Untersuchungen wissen, dass 70 % der neuen, nicht verheirateten Beziehungen im ersten Jahr scheitern, zeigt dies eine doch erschütternd geringe Effektivität der Dating-Apps an, jedenfalls was die Liebe betrifft.
Bei uns findet jede dritte Person eine Beziehung, wenn sie mindestens ein Jahr lang nicht aufgibt. Mehr als zwei von drei Personen finden eine Beziehung, wenn wir das Kriterium auf mindestens zwei Jahre anheben. Bei weiteren Verlängerungen der Mindestsuchzeit, steigen die Vermittlungsraten weiter an (hier zur Auswertung der Erfolgsraten bei Gleichklang).
Warum aber schadet ihre Erfolglosigkeit dem weltweitem Siegeszug der Dating-Apps nicht? Warum machen sie Milliardenumsätze?
Ich denke, die Erklärung liegt erneut in artifiziellen konditionierten Konsumbedürfnissen:
- Der Erfolg der Dating-Apps kommt nicht durch ihre (geringen) Vermittlungsraten, sondern allein durch hohe Geschwindigkeit aller Prozesse, permanente Kontaktvorschläge, virtuelle Chats und die ständige Befeuerung von Fantasien und Suchtverhalten.
- Die enormen Werbeetats tun ihr weiteres.
Was heute Benutzerfreundlichkeit im Internet heißt, ist in Wirklichkeit schneller Konsum von winzigen Teilzielen (ein belohnendes Geräusch für einen Klick, ein netter Effekt), die dann die eigentlichen Beziehungsziele immer mehr komplett ersetzen.
Deutlich wird hier ein weiteres Problem unserer Überproduktion und Überkonsumgesellschaft:
- Eine konditionierte Ungeduld verlangt, dass der Konsum sofort stattfindet. Dadurch aber werden unsere Ziele nur noch auf das gelenkt, was sofort möglich ist. Nette Klickgeräusche und andere Effekte können sofort erzielt werden, Beziehungen aber nicht.
- Das haben die Dating-Apps aufgegriffen und produzieren super benutzerfreundliche Systeme, die ihre Nutzer:innen konsequent von der Partnersuche durch Nebenkonsum ablenken. Ein Ergebnis ist, dass die Singleraten immer mehr ansteigen, obwohl über 90 % der Erwachsenen sich eine feste Beziehung wünschen.
Das ist bei den Dating-Apps also so ähnlich wie bei Fleischkonsum und anderen schädlichen Konsummustern:
- Der Fleischkonsum wird kurzfristig als befriedigend erlebt, langfristig zerstört er unsere Umwelt und auch unser Mitgefühl. Von unseren echten Bedürfnissen lenkt er uns nur ab. Wir verzehren oftmals zu viele Kalorien und zu wenig Ballaststoffe und pflanzliche Lebensmittel.
Die Dating-Apps verschaffen uns kurzfristige Effekte, Chat-Erlebnisse, positive Gefühle und Hoffnungen. Von unserem Streben nach echter Liebe entfernen sie uns aber immer mehr. So bleiben wir Single und nutzen die Dating-Apps weiter.
Der reflektierte und bewusste Verzicht wird übrigens bei den Dating-Apps und beim Fleisch oft ähnlich erlebt; nämlich als Befreiung. Bisher gehen noch wenige diesen Weg, aber es werden mehr.
In diesem Sinne wünsche ich allen Leser:innen angenehme Tage!