Mein letzter Artikel zum Thema emotionaler Missbrauch und toxische Beziehungen ist auf sehr viel Resonanz gestoßen. Ich werde das Thema daher demnächst noch einmal vertiefen.
Heute möchte ich mich aber quasi zum Ausgleich der Frage widmen, wie Liebe entsteht und bestehen bleibt – und zwar diesmal einmal nicht aus Sicht eines Problemlöse-Ansatzes.
So wichtig und notwendig das Erkennen von Problemen und ihrer Lösungs- oder Bewältigungsmöglichkeiten in Beziehungen ist, so bedeutet dies nicht, dass wir uns immer und nur mit Problemen, Konflikten, Verirrungen und deren Auflösung beschäftigen müssten.
Manchmal ist es ebenso möglich, direkt Positives zu schaffen, anstatt uns über die Analyse und Lösung von Problemen hin zum Ziel voran zuarbeiten.
Eine solche Möglichkeit greife ich heute auf.
Lebenslange Liebe
Forscher der Universität Brook in den USA haben eine repräsentative Untersuchung zur Intensität der Liebe in partnerschaftlichen Beziehungen unterschiedlicher Dauer durchgeführt.
Die einfache Frage lautete:
- Wie sehr lieben Sie Ihren Beziehungspartner?
Die Beantwortung erfolgte auf einer siebenstufigen Skala von überhaupt nicht bis hin zu sehr intensiver Liebe.
Das durchaus bemerkenswerte Ergebnis war, dass 49 % der Männer und 46 % der Frauen von einer sehr intensiven Liebe sprachen.
Bei einer Partnerschaftsdauer von 30 Jahren gaben weiterhin 40 % der Frauen und 35 % der Männer eine sehr intensive Liebe an.
Die positive Botschaft zum Mitnehmen lautet also:
- Liebe kann in hoher Intensität lebenslang bestehen bleiben.
Wie bleibt Liebe bestehen?
In einer im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichten Studie gehen die Autoren von der Hypothese aus, dass die anfänglich in partnerschaftlichen Beziehungen oft zu beobachtende Begeisterung mit der Neuheit und Aufregung in der Phase der Beziehungsgründung zusammenhänge.
Diese Neuheit der Gründungssituation nehme jedoch mit der Fortdauer einer Beziehung unweigerlich ab.
Jedoch könnten Paare dennoch eine hohe Beziehungsqualität erhalten, wenn sie gemeinsam in ihrer Beziehung immer wieder neuartige und aufregende Aktivitäten durchführten. Dadurch assoziierten diese positiven Erfahrungen mit der Beziehung und erhielten die Beziehungsqualität aufrecht.
In einer Serie von Befragungen und Experimenten haben die Autoren Belege zusammengetragen, die in der Tat für einen positiven Einfluss neuer und aufregender gemeinsamer Aktivitäten auf die Beziehungsqualität sprechen:
- in einer schriftlichen Fragebogenstudie und in einer Haustür-Befragung zeigte sich, dass die Benennung aufregender gemeinsamer Aktivitäten durch Paare mit einer erhöhten Beziehungszufriedenheit einherging. Dabei zeigte sich spezifisch, dass gemeinsame aufregende Aktivitäten die Langeweile reduzierten, wodurch die Beziehungszufriedenheit stieg.
- in zwei nachfolgenden Experimenten führten Paare miteinander Bewegungsaufgaben durch, die entweder durch viele neue Elemente gekennzeichnet waren oder eher aus Routineelementen bestanden. Paare, die die Aufgabe mit den neuen Elementen durchführten berichteten anschließend von einer höheren Beziehungsqualität als Paare, die eine durch Routineelemente gekennzeichnete Bewegungsaufgabe durchführten.
- in einem abschließenden Experiment wurde die Beziehungsqualität nicht nur direkt erfragt, sondern es erfolgen vor und nach der Aktivität Video-Diskussionen der Paare miteinander. In der Auswertung dieser Video-Diskussionen zeigte sich, dass nach der gemeinsamen anregenden Aktivität mehr positive Bezüge zur Beziehungsqualität in den Diskussionen erkennbar waren als nach der Routineaktivität.
Zusammenfassend, legen die Untersuchungen nahe, dass die gemeinsame Durchführung von neuen Aktivitäten die Beziehungsqualität steigern kann. Das gemeinsame Erleben anregender, abwechslungsreicher Aktivitäten führt also offenbar dazu, dass die Beziehung ebenfalls als abwechslungsreich und anregend erlebt wird.
Auswirkungen im Alltag
Die Psychologen Kimberley Coulter and John M. Malouff haben in einer im Fachjournal Couple and Family Psychology: Research and Practice veröffentlichten Studie gezeigt, dass die Theorie neuer Aktivitäten nicht nur in Fragebogenstudien und Experimente, sondern auch Alltag von Paaren funktioniert:
- Paare wurden per Zufall einem Online-Programm zum Aufbau gemeinsamer anregender/aufregender Aktivitäten zugewiesen oder einer Wartegruppe. In der Aktivitätengruppe wurden die Paare angeregt, mindestens 90 Minuten in einer Woche an gemeinsamen als aufregend erlebten Aktivitäten teilzunehmen.
- die Paare wurden dabei instruiert, eine Liste mit 10 spannenden Aktivitäten zusammenzustellen, wobei ihnen Ideen gegeben wurden, wie sie solche Aktivitäten identifizieren können mit den Attributen abenteuerlich, leidenschaftlich, sexuell, aufregend, interessant, spielerisch, romantisch und spontan.
- nach der Intervention wies die Aktivitäten-Gruppe ein höheres positives Spannungserleben in ihrer Beziehung, eine höhere Beziehungszufriedenheit und insgesamt ein höheres emotionales Wohlbefinden auf als die Wartegruppe, wobei diese positiven Effekte auch bei der Nachuntersuchung nach vier Monaten nach wie vor vorhanden waren.
Routine durchbrechen
Es gibt Dinge, die wir gerne immer wieder tun. Aber wenn der Alltag immer der gleiche ist, dann wir es doch für die meisten langweilig.
Wie stark wir für unsere Zufriedenheit Veränderung und Auseinandersetzung mit Neuem bedürfen, unterscheidet sich zwischen Menschen.
Wenn der Alltag aber zu eintönig wird, tritt für fast alle ab einem bestimmten Punkt Langeweile ein.
Wird gemeinsam Langeweile erlebt, assoziiert diese Langeweile mit der Beziehung und die Intensität der Gefühle füreinander und die Beziehungszufriedenheit sinken.
Ganz am Anfang einer Beziehung ist dies nur seltener der Fall. Denn die Beziehung an sich ist neu und dadurch entsteht meistens ein erhöhtes Ausmaß an Spannung, welches mit dem Beziehungspartner assoziiert wird und so das Entstehen leidenschaftlicher Gefühle und einer hohen Liebes-Intensität ermöglicht.
Oft ändert sich dies jedoch im Verlauf von Beziehungen, Routine zieht ein, der Alltag wird eintönig, wir leben eher nebeneinander als miteinander.
All dies muss aber nicht der Fall sein. Beziehungen können auch langjährig glücklich bleiben und Langeweile braucht den Beziehungsalltag nicht zu prägen.
Anregende und aufregende Aktivitäten sind in vielen Bereichen möglich – es können kleinere oder größere Veränderungen sein, die den gemeinsamen Alltag spannend und interessant machen:
- Sexualität und Lust
- Sport und Bewegung
- Natur und Tierwelt
- Musik und Kunst
- Reisen und räumliche Veränderung
- Gemeinsames Engagement und Projekte
- Lernen und Horizont erweitern
- Lebensziele planen …
Mit entstehender Liebe beginnen
Je früher, desto besser. Sie brauchen nicht zu warten, bis Langeweile eingetreten ist.
Vom ersten Moment des Kennenlernens – ja sogar bereits Online – haben es Beziehungspartner in der Hand, Spannung und gemeinsames positives Erleben in den Alltag zu bringen:
- sprechen Sie über Ihre Interessen, Wünsche, Sehnsüchte, Hoffnungen und Träume.
- identifizieren Sie Möglichkeiten für gemeinsames Erleben, welches über die Alltagsroutine hinausgeht.
- seien Sie offen für Veränderungen und Neues, wenn es grundsätzlich anziehend oder spannend wirkt.
- erlauben Sie sich Spontanität und verlangen Sie nicht, dass alles ganz genau nach Plan laufen muss.
- suchen Sie sich Projekte, die sinnerfüllend sind und immer wieder mit neuen Anforderungen und Herausforderungen einhergehen werden.
- fragen Sie sich gemeinsam immer wieder, wo Sie womöglich zu neuen Ufern aufbrechen können.
- schieben Sie neue Aktivitäten, Projekte, Veränderung und Neues nicht unendlich auf, sondern gehen Sie sie an.
So mag sogar Liebe entstehen, die Sie anfangs nicht sofort wahrgenommen oder erlebt haben.
Manche Menschen mögen trotz Sympathie nicht zusammenkommen, weil Spannung, Aufregung und Leidenschaft vermisst werden.
Dies können Sie aber ändern, wenn Sie gemeinsam Aktivitäten und Erlebnisse planen, die über den Tellerrand Ihres bisherigen Alltags hinausgehen und Ihnen Erfahrungen ermöglichen, die auf die Beziehung generalisieren und die Intensität der Gefühle erhöhen können.
Resümee
Spannung und Aufregung sind sicherlich nicht alles, was eine Beziehung erhält, aber sie sind eine Komponente, die sich positiv auf die Beziehungs-Qualität auswirken kann.
Der psychologische Hintergrund ist, dass wir uns als Menschen immer wieder erweitern wollen. Es besteht ein Streben, unser Selbst auszudehnen, zu wachsen und neue Inhalte in unser Selbst zu integrieren.
Eine neue Beziehung ist wahrscheinlich auch deshalb oft so spannend, weil sie einen besonders starken Anlass zu solch einer Selbstausweitung geben kann.
Nach Ausweitung und Wachstum kommt die Integration. Bei einer ausgeglichenen Beziehung werden sich beide Beziehungspartner wechselseitig in ihr Selbstmodell integrieren.
Verharren sie jedoch nachfolgend in einem unveränderten Alltag mit immer der gleichen unerbittlichen Routine, wird eine weiteres Wachstum blockiert und Langeweile tritt auf.
Durch gemeinsame neue und herausfordernde Aktivitäten und Akzente kann jedoch ein weiteres gemeinsames Wachstum ermöglicht werden.
Aufregende Aktivitäten können wichtige weitere Beziehungsfaktoren (Offenheit und Authentizität, gegenseitige Unterstützung, ein gemeinsamer Alltag, Klärung und Bewältigung von Konflikten und Problemen) ergänzen und damit eine positive Spannung hinzufügen, welches das Glückerleben in der Beziehung und die Gefühle füreinander fördert, erhält und intensiviert.
Wer rastet, der rostet – dies gilt nicht nur für unsere körperliche Beweglichkeit, sondern ebenso für unsere geistige Beweglichkeit und unsere Beziehungs-Fertigkeiten.
Warten Sie daher nicht bis größere Reparaturen erforderlich sind, sondern achten Sie von Anfang an darauf, dass Ihre Begegnungen beweglich bleiben und immer wieder in ihrer Intensität und Tiefe von neuen Anregungen und Erfahrungen profitieren können.