Drei Komponenten der Liebe
Nach der Theorie des Psychologen Sternberg sind es drei Komponenten, die Liebesbeziehungen prägen:
- Leidenschaft: Emotionale Aufwallung, die als unwiderstehlich erlebte Anziehung, ob körperlich oder emotional, ein intensiv erlebter Drang, unbedingt mit dem geliebten Menschen zusammen sein zu wollen. Leidenschaft ist das Gegenteil von Langeweile. Leidenschaft lässt alles als interessant, aufregend und spannend erscheinen. Leidenschaft entsteht nicht aus rationaler Analyse, sondern kann auch dort entstehen, wo der Verstand nein sagt – ob der Freund der besten Freundin oder die Ehefrau des Vorgesetzten.
- Vertrautheit: innere Nähe, Verbundenheit, Seelenverwandtschaft, Gemeinschaft. Vertrautheit zwischen Beziehungspartnern ergibt sich daraus, dass sie sich ganz genau kennen, gegenüber einander authentisch auftreten, sich zu zeigen, wie sie sind, über alles reden können. So entsteht eine besondere Intimität und das Gefühl, einander geistig und emotional zu verstehen.
- Bindung: Bindung ist die Entscheidung, miteinander eine dauerhafte Beziehung zu führen, die Planung für eine gemeinsame Zukunft, das Überwinden von Hindernissen, ohne die Beziehung aufzugeben oder infrage zu stellen. Indem eine Bindungsentscheidung getroffen wird, hängt die Stabilität einer Beziehung nicht mehr von Tagesschwankungen oder Befindlichkeiten ab, sondern kann auch schweren Zeiten bestehen bleiben und sich als tragfähig zeigen.
Sehnsucht nach Leidenschaft
Vieles in unserem beziehungsbezogenen und sexuellen Streben dreht sich um Leidenschaft. Viele Menschen vermissen Leidenschaft schmerzlich in ihrem Leben. Alles mag da sein, aber die Leidenschaft fehlt.
So wundert es nicht, dass die Suche nach Partnerschaft oft auch als eine Suche nach Leidenschaft verstanden wird – oder dass Leidenschaft zum Kriterien gemacht wird, ob eine Partnerschaft entstehen kann oder nicht:
- Schmetterlinge im Bauch, verliebt sein, große Gefühle, jede Sekunde mit dem geliebten Menschen verbringen wollen, auf Wolke sieben sein – so stellen sich nicht wenige eine erfolgreiche Partnersuche vor. Tritt dies nicht ein, kommt für manche höchstens noch eine Freundschaft infrage.
Das Motto lautet also:
- Keine Leidenschaft = keine Beziehung
Leidenschaft notwendig für das Beziehungsglück?
Empirische Studien zeigen Folgendes:
- Je stärker die Leidenschaft beim Beziehungs-Beginn, desto schneller und stärker nimmt im Durchschnitt die gezeigte Zuneigung im Beziehungsverlauf ab.
Theoretisch lässt sich dies gut mit dem Modell der Desillusionierung erklären:
- Leidenschaft schärft nicht unbedingt unsere Sinne, sondern mag den Verstand außer Kraft setzen oder ihnen mindestens schwächen.
- So mag uns Leidenschaft den Blick verstellen auf so manche andere unseres werdenden Beziehungspartners, über die wir eigentlich nicht glücklich wären.
- Aber nicht nur mögen wir bestimmte Seiten nicht wahrnehmen, sondern Leidenschaft mag uns dazu verleiten, uns nicht vollständig zu zeigen und unsere Schwächen zu verbergen.
- Denn sind wir einem Menschen in großer Leidenschaft verbunden, liegt die höchste Priorität darauf, diesen Menschen und diese Leidenschaft zu erhalten. Da liegt es nahe, einiges lieber unerwähnt zu lassen, was aber eben nicht so bedeutet, dass sich eines Tages nicht doch die Wirklichkeit zeigen würde.
Kurzum sagt das Modell der Desillusionierung also, dass Leidenschaft zu Idealisierung und übermäßig günstiger Selbstdarstellung führt:
- Nichts soll der Leidenschaft im Weg stehen, warum also darauf hinweisen, dass man bereits verheiratet ist, demnächst auswandert, ein Gefängnisaufenthalt bevorsteht?
Dies sind natürlich Extrembeispiele, in der Realität sind es meistens weniger schwerwiegende, aber dennoch ins Gewicht fallende Einzelaspekte, die zur Desillusionierung führen können.
Sind beide frei, kann die Leidenschaft zu einer schnellen Beziehung-Entscheidung münden. Warum keine Beziehung miteinander eingehen, wenn doch beide voneinander fasziniert und beide die Zeit miteinander als überwältigend erleben?
Leider verbleiben nur wenige dieser Beziehung im Wolkenkuckucksheim, sondern die Desillusionierung holt sie auf die Erde zurück. Denn initiale Begeisterung und Idealisierung verblassen in der Alltagsroutine, in der andere Eigenschaften und Merkmale stärker zum Ausdruck kommen.
Je höher die Initiale Begeisterung, desto tiefer der Fall. Nun scheint der Beziehungspartner ein anderer zu sein als gedacht. Desillusionierung führt zur Ent-Täuschung. Die Wirklichkeit tritt zutage. Für manches Paar lautet das Ergebnis leider: mit sinkender Leidenschaft nimmt auch die Zuneigung ab.
Ist Leidenschaft schädlich?
Nein, dies wäre eine bei weitem übertriebene Interpretation der vorliegenden empirischen Befunde.
Tatsächlich tritt nicht nur in besonders leidenschaftlichen Beziehungen, sondern in den meisten Beziehungen im Verlauf eine gewisse Desillusionierung ein. Bei leidenschaftlichen Beziehungen ist lediglich der Fall tiefer, der Kontrast fällt insofern stärker auf.
Leidenschaft hat durchaus – abgesehen von dem schönen Gefühl – ihren Nutzen. Mindestens bedeutet Leidenschaft, dass Beziehungspartner beieinander etwas wahrnehmen, welches ein positives gemeinsames Erleben möglich macht und zu Anziehung führt.
Leidenschaft ist ohne Zweifel eine positive und aktivierende Erfahrung, für eine langfristige Beziehung ist dies jedoch nicht genug.
Ein Urlaubsflirt oder ein erotisches Abenteuer bedingen nicht unbedingt die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Partner-Glück, so leidenschaftlich sie auch gewesen sein mögen.
Leidenschaft kann jedoch eine gute Basis darstellen, um einander kennenzulernen. Nur sollten wir uns dafür hüten, den Kennenlernprozess durch Leidenschaft zu ersetzen.
Wie kann aus Leidenschaft Liebe werden?
Aus Leidenschaft wird Liebe, wenn Vertrautheit hinzutritt. Die Liebe wird dauerhaft (oder vorsichtiger ausgedrückt: kann es werden), wenn eine Bindungsentscheidung getroffen und eine gemeinsame Zukunft geplant wird.
Gerade wenn Sie eine leidenschaftliche Verbindung erleben und an eine Beziehung denken, sollte dies daher der Anlass sein, sich um Vertrautheit zu bemühen:
- Dies bedeutet, sich wechselseitig so zu zeigen, wie man ist, dass Innere nach Außen zu bringen, einander kennenzulernen, einander authentisch zu berichten über die wechselseitigen Lebensgeschichten, die Werte, Erfahrungen, Ziele, Erfolge und Misserfolge, Probleme, Schwierigkeiten und Hoffnungen, sowie sich darüber auszutauschen, ob und wie eine gemeinsame Zukunft denkbar und wünschenswert ist.
Die Herstellung von Vertrautheit kann vor der Desillusionierung schützen oder sie mindestens deutlich abbremsen. Desillusionierung tritt nämlich umso stärker ein, je mehr Illussionen es zuvor gab.
Lassen wir das Entstehen von Illusionen nicht zu, sondern nutzen wir die Leidenschaft, um Vertrautheit aufzubauen, fallen wir nicht in das Muster trügerischer Idealisierung. Wir sehen den Menschen rasch so, wie er tatsächlich ist.
Wir dürfen uns also über Leidenschaft freuen und diese genießen, sollten aber dennoch genau hinschauen und einander die Möglichkeit geben, uns auf einer aufrichtigen Basis zu begegnen.
Muss Leidenschaft am Anfang stehen?
Das, was eine partnerschaftliche Beziehung letztendlich erhält, ist Vertrautheit und die wechselseitige Entscheidung, miteinander durchs Leben zu gehen und für einander einzustehen.
Die Aufwallung der Gefühle und der Drang, beieinander zu sein, mag die Attraktivität einer Beziehung erhöhen und insofern förderlich sein, notwendig sind sie jedoch nicht.
Eine partnerschaftliche Beziehung kann ebenso tief, glücklich und dauerhaft sein, wenn die Leidenschaft fehlt. Insofern ist das Sternberg-Modell zu normativ, weil es Liebe nur als vollständig betrachtet, wenn alle drei Komponenten gegeben sind.
Im Durchschnitt nimmt die Leidenschaftlichkeit übrigens in Beziehungen mit zunehmenden Lebensalter ab. Dies liegt sowohl an der Entwicklung der Beziehung als auch an den einzelnen Menschen. Mag der jugendliche Mensch ganz auf die Leidenschaft schauen, hat der gleiche Mensch einige Jahrzehnte später eine andere Perspektive, wenn erneut die Suche nach einer Beziehung ansteht.
Aber dies sind nur Durchschnittswerte und individuelle Verläufe mögen hiervon abweichen.
Sicher ist, dass es keine feste Reihenfolge gibt und die einzelnen Komponenten können im Beziehungsverlauf schwanken. Leidenschaft muss nicht am Anfang der Beziehung stehen, sondern kann ebenso in ihrem Verlauf oder gar an ihrem Ende entstehen:
- Steht das Ende einer langen Beziehung bevor (ob wegen einer Trennungsentscheidung oder dem absehbaren Tod) kann die Leidenschaft noch einmal oder sogar zum ersten Mal entflammen.
Zudem kann Leidenschaft auch als Folge von Vertrautheit entstehen:
- Vertrautheit kann zu einem tiefen Gefühl der Zusammengehörigkeit führen und dadurch einen emotionalen Drang aktivieren, mit dem geliebten Menschen zusammen sein zu wollen – psychisch und körperlich.
Wir sollten Leidenschaft insofern weder überbewerten noch unterbewerten:
- Wo heute Leidenschaft ist, mag diese morgen erlöschen, wo heute Vertrautheit ist, mag morgen Leidenschaft entstehen.
Zusammenfassende Betrachtung und Erläuterung
Aus dem oben Dargestellten ergeben sich insbesondere folgende Aspekte:
- Leidenschaft allein ist eine nur schmale Beziehungsbasis. Wir sollten daher Leidenschaft zum Anlass nehmen, um die Möglichkeit einer Beziehung miteinander auszuloten, einander kennenzulernen und Vertrautheit zu entwickeln.
- Aus fehlender Leidenschaft sollten wir nicht sogleich schließen, dass eine Partnerschaft perspektivlos ist. Denn wo Vertrautheit vorliegt, kann Zuneigung entstehen, die oftmals dauerhaft ist, auch wenn sie nicht als leidenschaftlich erlebt wird.
- Wir können wir einiges tun, um in eine vertraute Liebesbeziehung die Leidenschaft hineinzubringen oder sie zu reaktivieren. Gemeinsam Neues erleben, Spannung in den Alltag bringen, offen sein für erotische Fantasien, Krisen gemeinsam und engagiert bewältigen – all dies ist nicht nur geeignet, um Beziehungszufriedenheit zu erhöhen, sondern kann ebenfalls Leidenschaft begründen.
- Eine Beziehung, die nur aus Leidenschaft besteht – ohne Vertrautheit und ohne Bindung – ist nichts als ein kurzes Abenteuer, welches eines Tages vergeht. Wollen wir die Beziehung erhalten, müssen wir an Vertrautheit arbeiten, damit echte Zuneigung und Bindung entstehen kann.
- Bindung ohne Vertrautheit nur aufgrund von Leidenschaft ist nicht zu empfehlen. Meistens tritt Desillusionierung ein und die Bindungsentscheidung wird bereut oder Beziehungspartner werden unzufrieden.
- Eine Beziehung, die nur aus Vertrautheit besteht, beinhaltet eine hohe Chance, dass Bindung entstehen und die Partnerschaft langfristig aufrechterhalten kann. Ohne eine Bindungsentscheidung wird sich jedoch eher eine Freundschaft statt einer Partnerschaft ergeben.
- Wir sollten nicht erwarten, dass die Leidenschaft immer in gleicher Intensität bestehen bleibt. Leidenschaft ist im Grunde vorallem ein angenehmer Zusatzfaktor in einer Beziehung, nicht aber der Faktor, der die Partnerschaft erhält.
- Beenden wir eine Beziehung wegen mangelnder Leidenschaft, wird dies vermutlich nicht die letzte Beziehung sein, die wir beenden.
- Leer ist eine Beziehung, wenn es nur Bindung, aber keine Vertrautheit und keine Leidenschaft gibt. Arrangierte Beziehungen oder Beziehungen, die nur aus Angst vor Trennung aufrechterhalten werden, sind hierfür Beispiele. In solchen Fällen ist zu raten, entweder am Aufbau von Vertrautheit zu arbeiten oder auszusteigen.
Mehrere Wege zum Partnerglück
In Wirklichkeit gibt es mehrere Wege zum Partnerglück und wir brauchen uns nicht auf einen einzigen einzuengen.
Leidenschaft mag Anlass geben, einander kennenzulernen, Vertrautheit aufzubauen und sich für eine Bindung zu entscheiden.
Vertrautheit kann auch ganz allein am Anfang einer Partnerschaft stehen und zu einer tiefen Zuneigung führen, die in Bindung resultiert. Eine erfüllende Partnerschaft ist auch ohne Leidenschaft möglich.
Leidenschaft kann in einer Beziehung auch später entstehen, wenn sie am Anfang nicht vorhanden war. Ebenso mag es Phasen mit und ohne oder mit mehr oder weniger Leidenschaft geben.
Die Passung von wichtigen Werten und Lebenseinstellung ist übrigens einer der stärksten Faktoren für das Entstehen von Vertrautheit und die Erleichterung einer dauerhaften Bindung. Der Rat lautet, hierauf das Hauptaugenmerk zu richten.