Was uns unterhält, langweilt uns?
Gerade habe ich einen Artikel der Psycholog:innen Katy Y. Y. Tam und Michael Inzlicht von der Universität Toronto zur Langeweile beim Betrachten von Videos gelesen. Der Titel lautet: “Fast-Forward to Boredom: „How Switching Behavior on Digital Media Makes People More Bored“.
Sofort wurde mir die Übertragbarkeit auf das Online-Dating deutlich. Deshalb möchte ich die Hauptbefunde dieses Artikels heute gerne hier vorstellen.
Diskutieren werde ich dabei auch die paradoxe Rolle von Langeweile bei den Dating-Apps, welche Rolle die Langeweile beim Gleichklang-Dating spielt und, mit welcher Haltung wir unsere Partnersuche zum Erfolg bringen können.
Ergebnisse von Katy Tam und Michael Inzlicht
Ich fasse mich kurz – dies sind die Hauptergebnisse der Studien-Serie von Katy Tam und Michael Inzlicht:
- Wenn Probanden eine Serie langweiliger Videos vorgegeben wurde, nutzten sie häufiger die Funktion, direkt zum nächsten Video zu switchen, als wenn ihnen eine Serie interessanter Videos gezeigt wurde. Langeweile führt dazu, dass wir schnell zu neuen Inhalten wechseln.
- Wenn Probanden das Szenario einer Betrachtung von Videos geschildert wurde, wo sie innerhalb der Videos vor- und zurückspringen oder zwischen verschiedenen Videos switchen konnten, gaben sie an, eine geringere Langeweile zu erwarten, als wenn es keine Möglichkeit gab, innerhalb oder zwischen den Videos zu wechseln. Wir erwarten durch einen Wechsel innerhalb oder zwischen Inhalten, Langeweile reduzieren zu können.
- Wenn Probanden Videos gleicher Attraktivität vorgegeben wurden, erlebten sie mehr Langeweile, wenn sie zwischen den verschiedenen Videos wechseln konnten, als wenn ein solches Switchen nicht möglich. Wenn wir durch Switchen von einer zur anderen Präsentation gehen, nimmt unsere Langeweile zu.
- Wenn Probanden Videos gleicher Attraktivität vorgegeben wurden, erlebten sie mehr Langeweile, wenn sie innerhalb der Videos vor- und zurückgehen konnten, als wenn ein solches Switchen innerhalb der Videos nicht möglich war. Wenn wir innerhalb einer Präsentation vor und zurückswitchen, nimmt unsere Langeweile zu.
- Wenn Probanden auf YouTube sich nach ihrem eigenen Modus Videos anschauen können (einschließlich Switchen), tritt stärkere Langeweile auf als wenn sie für die gleiche Zeit sich nur ein selbst ausgesuchtes Video vollständig anschauen dürfen. Auch in einem natürlichen Setting führt Switchen zwischen oder innerhalb von Präsentationen zu mehr Langeweile.
Das Langeweile-Paradox
Sicherlich haben Sie bereits gestutzt. Denn die Befunde scheinen paradox:
- Sind wir gelangweilt, switchen wir mehr zwischen und innerhalb Videos, aber wenn wir mehr zwischen und innerhalb von Videos switchen, steigt tatsächlich unsere Langeweile an.
Der Effekt geht also in beide Richtungen:
- Langeweile erzeugt Switchen
- Switchen erzeugt Langeweile
Wie kann das sein?
Impulsives Handeln muss nicht zielführend sein
Zunächst sollten wir uns klarmachen, dass unsere Versuche, Langeweile zu reduzieren, auch sonst im Leben keineswegs unbedingt erfolgreich sein müssen.
Langeweile ist ein aversiver Gefühlszustand, bei dem wir uns Stimulation wünschen, aber die Stimulation, die unsere Langeweile beendet, nicht sofort finden oder umsetzen können.
Befinden wir uns in solch einem Zustand, mag eine Strategie darin bestehen, impulsiv zu handeln:
- Wir wissen nicht, was wir machen sollen, also steigern wir durch impulsives Handeln die Chance, dass wenigstens etwas passiert – in der Hoffnung, dass unsere Langeweile sinkt.
Das Problem ist jedoch, dass impulsives Handeln keineswegs immer zum Erfolg führt. Tatsächlich wird es nur dann zum Erfolg führen können, wenn wir uns in einer Struktur bewegen, bei der es durch impulsives Handeln aussichtsreich ist, unsere Langeweile zu beenden:
- Sind wir in einer Gefängniszelle ohne alles, macht es beispielsweise langfristig weniger Sinn, impulsiv gegen die Tür zu schlagen, als es Sinn ergibt, sich in uns selbst zurückzuziehen und zu meditieren.
Kurzfristige und langfristige Konsequenzen
Warum setzen wir ein Verhalten selbst dann fort, wenn es doch in Wirklichkeit unsere Langeweile steigert?
Diese Fragen könnten oder sollten sich Millionen Nutzer:innen von YouTube und anderen Plattformen stellen.
Vermutlich liegt die Erklärung in dem Unterschied zwischen kurzfristigen und langfristigen Effekten:
- Die Autor:innen erfassten Langeweile jeweils nach einem bestimmten Zeitablauf, z. B. nach 10 Minuten. Sie erfassten aber nicht die Schwankungen des aversiven Gefühls der Langeweile in Sekundenintervallen.
- Womöglich wird das Switchen zwischen und innerhalb von Videos sofort belohnt durch eine aufkeimende Hoffnung auf Veränderung, auch wenn diese Hoffnung danach frustriert wird und es nach stundenlangen Videoschauen womöglich für uns heißt „außer Spesen nichts gewesen“.
Warum aber bleiben wir dennoch dabei, auch wenn wir langfristig doch bemerken, dass es uns langweilt?
Gelegentliche Belohnung stabilisiert Verhalten
Wahrscheinlich werden wir gelegentlich, wenn wir unsere Tätigkeit mit gelangweilten Switchen verbringen, doch belohnt durch etwas, was uns fesselt oder interessiert. Solche gelegentlichen Belohnungen führen aber zu einem viel stabileren Verhaltensmuster als kontinuierliche und sicher zu erwartende Belohnungen:
- Wird ein bestimmtes Verhalten immer belohnt, wenn wir es ausführen, brechen wir schnell ab, wenn es nicht mehr belohnt wird. Es wird uns gewissermaßen durch die Veränderung sofort klar, dass das Verhalten nicht mehr mit positiven Konsequenzen verbunden ist.
- Treten Belohnungen aber nur gelegentlich oder gar selten auf, bleiben wir noch lange dabei, selbst wenn das Verhalten tatsächlich jeden Belohnungswert für uns längst verloren hat.
Zwei Faktoren, die uns auf falschem Kurs halten
Es sind also zwei Effekte, die dazu führen, dass wir uns millionenfach und weltweit Verhaltensweisen hingeben, die tatsächlich dazu geeignet sind, unsere Langeweile zu erhöhen:
- Das Switchen wird im Sekundenabstand belohnt durch die blitzschnell aufkeimende Hoffnung auf Veränderung. Zwar wird das Switchen in längeren Zeitintervallen durch Langeweile bestraft, dies aber wirkt sich auf uns weniger aus, weil wir durch schnelle Belohnungen (die wir ja dennoch erhalten) mehr beeinflusst werden, als durch langfristige Bestrafungen.
- Das Switchen wird zwar typischerweise langfristig durch Langeweile bestraft, aber gelegentlich wird es durch Anziehung/Begeisterung etc. auch längerfristig belohnt werden. Diese gelegentlichen Belohnungsreize setzen den Effekt der Bestrafung außer Kraft und lassen uns auch lange Zeiten durchhalten, in denen die Belohnungen in Sekundenabständen nach dem Switchen immer wieder frustriert werden und die Gesamtlangeweile ansteigt.
Im Ergebnis suchen wir uns also für unsere Langeweile eine Therapie, die unsere Langeweile weiter erhöht, aber immer wieder Hoffnungssignale setzt, was wiederum oft zu noch mehr von der gleichen Therapie führt.
Dating-Apps und Langeweile
Ich sehe viele Parallelen zu den Dating-Apps und zu dem, was wir heute unter Online-Dating verstehen und was sogar viele bereits normativ vom Online-Dating erwarten:
Dating-Apps ermöglichen uns, jederzeit zwischen verschiedenen Profile zu switchen und auch innerhalb der Profile geht es ruck zuck weiter, zumal beispielsweise bei Tinder sicherlich aus gutem Grund der freie Text auf 500 Zeichen begrenzt ist.
Die Switch-Ideologie ist beim Online-Dating sogar so weitverbreitet, dass manche dezidiert von längeren Selbstdarstellungen oder Nachrichten abraten, ganz offensichtlich, weil ein Klima entstanden ist, wo jede tiefere Auseinandersetzung mit Informationen bereits als Überforderung bewertet wird.
Das Problem dabei ist, dass das, was wir erwarten, nicht unbedingt dem entspricht, was die Wirklichkeit uns bietet:
- Probanden erwarten, dass das Switchen Langeweile reduziert, tatsächlich erzeugt es sie.
Beim Online-Dating geschieht so etwas, was mir als geradezu verheerend erscheint:
- Die Profile an sich werden zur Quelle der Langeweile, von der wir uns durch Switchen zum nächsten Profil ablenken, wodurch unsere Langeweile aber nur weiter anwächst. Da jedoch ganz gelegentlich doch etwas mehr geschieht und so die Hoffnung auf Änderung immer bleibt, verbleiben wir in diesem Kreislauf.
Selbst das, was manchmal als „Mehr“ entsteht, braucht uns nicht zum eigentlichen Ziel zu führen:
- In einem vorherigen Blog-Artikel habe ich eine Studie vorgestellt, die zeigt, dass bei den Dating-Apps Profile typischerweise als körperlich attraktiv wahrgenommene Personen besonders oft anderen Personen vorgestellt werden. Die Aussichten auf eine Beziehung mit diesen Personen ist zwar gegen null, aber der Belohnungsreiz der Profile (Betrachtung eines attraktiven Fotos, aufflammende Erregung, Hoffnung …) ist dennoch wirksam.
Moment der Wahrheit bei Tinder
Der Tinder-Gründer verwies selbst darauf, dass er Tinder nach dem Modell der operant konditionierten Taube entwickelt habe, die dazu gebracht wird, endlos weiterzuklicken, selbst wenn ihr Klicken gar nicht mehr mit irgendwelchen substanziellen positiven Folgen verbunden ist oder diese Verbindung höchstens zufällig ist:
- Er habe Tinder analog zu einem Experiment des US-Amerikanischen Psychologen Skinner mit Tauben entwickelt. Manchmal, wenn diese nach rechts pickten, erhielten sie Futter. In Wirklichkeit wurde dies Futter aber nur per Zufall vergeben. Skinner habe Tauben in Spieler:innen verwandelt. Die Taube langweile sich, picke und picke, ohne zu wissen, wann das Futter komme. Vielleicht kommt es, vielleicht auch nicht. Das sei der ganze Swiping-Mechanismus. Sie wischen, vielleicht bekommen Sie einen Treffer, vielleicht nicht. Und dann sind sie ganz aufgeregt, das Spiel zu spielen.
Ghosting und Langeweile
Interessanterweise gelangten die Psycholog:innen Gregory Narr und Anh Luong in einer qualitativen Analyse zu einem Befund, den sie äußerst prägnant bereits in ihrem Titel zusammenfassten „How dating app algorithms couple ghosting behaviors with a mood of boredom (Wie Dating-App-Algorithmen Ghosting-Verhalten mit Langeweile verbinden).
Sie schildern, dass die Nutzer:innen auf einem Weg seien, der meistens nicht zum Ziel führt. Sie scrollen durch Profile, schreiben einander schnelle und sinnfreie Sätze. Es entsteht eine Langeweile, weshalb sie schnell wieder aus Kontakten durch Ghosting aussteigen. Sind sie geghostet oder haben sie geghostet, suchen sie gleich weiter nach einem neuen Profil …
Ich glaube, dass es bei dieser Variante des Datings den Teilnehmenden tatsächlich genau so ergeht, wie den Teilnehmenden in den Experimenten von Katy Y. Y. Tam und Michael Inzlicht:
- Wir wollen unsere Langeweile reduzieren und enden mit Tätigkeiten, die unsere Langeweile erhöhen, die wir wiederum genau deshalb fortsetzen, um unsere Langeweile zu reduzieren …
Unzähligen Nutzer:innen ist dies übrigens mindestens teilweise bewusst. Durch das Löschen ihrer Dating-Apps wollen sie sich befreien, um nicht selten kurze Zeit später ein neues Profil anzulegen.
„When Should You Delete Your Dating Apps? Dating burnout and decision paralysis in the age of dating apps“ (Wann sollten Sie Ihre Dating-Apps löschen? Dating-Burnout und Entscheidungslähmung im Zeitalter der Dating-Apps), heißt ein Artikel in der Psychology Today.
Normalitäts-Erwartungen beim Online-Dating
Früher kauften wir uns eine Zeitung, lasen die Rubrik „Kontaktanzeigen“ durch und waren niemals wütend auf die Zeitung, wenn keine passende Anzeige dabei war. Wir kauften die Zeitung einfach erneut und setzen dies fort, bis im besten Fall doch unsere Partnersuche ein glückliches Ende gefunden hatte.
Niemand erwartete etwas anderes und die Zeitungen wurden nicht zum Hassobjekt der unfreiwilligen Singles.
Diese Situation hat sich grundlegend geändert. Dies sehe ich auch an den Hassbotschaften, die mich gelegentlich erreichen. „Abzocker“, „Betrüger“ etc. gehören dabei zu den Botschaften, die noch nicht unter der Gürtellinie liegen, anders als etwa Anreden, wie „Ihr dreckigen Hurensöhne“.
Forschen wir nach den Motiven, lassen sich oft Normalitäts-Erwartungen erkennen, die direkt von den Dating-Apps kommen und nunmehr ultimativ eingefordert werden:
- Für viele Menschen bedeutet Online-Dating das schnelle Scrollen in Profilen und vor allem die ständige Verfügbarkeit neuer Vorschläge.
Erfüllen wir solche Normalitäts-Erwartungen nicht, müssen wir uns auf negative Reaktionen unserer Umgebung einstellen. Alles, was vom Normalen abweicht, erzeugt potenziell Aversion. Und so müssen wir uns auch bei Gleichklang immer wieder mit der Forderung von manchen auseinandersetzen, dass wir genau das zu tun hätten, was die Dating-Apps tun und dass wir „Abzocker“, „Betrüger“ etc. seien, wenn wir uns dieser Forderung nicht beugen.
Die Teilnehmenden der Studie von Katy Y. Y. Tam und Michael Inzlicht erkannten das eigentliche Problem hinter ihrem Switchen beim Video-Betrachten nicht. Ich denke, so ähnlich ergeht es vielen, deren Frustration tatsächlich aus den falschen Erwartungen einer algorithmisch manipulierten Dating-Realität stammt.
Gleichklang und die Langeweile
Ich habe häufiger geschrieben, dass Gleichklang langweilig sei, die Dating-Apps aber unterhaltsam.
Diese Darstellung bedarf vor dem Hintergrund der zitierten Befunde der Erweiterung:
- Dating-Apps vermitteln eine Illusion der Unterhaltung, die Langeweile reduzieren soll, sie aber tatsächlich erzeugt. Der Erfolg beruht darauf, dass die Illusion so gut verpackt ist, dass sie als Realität erscheint und die Realität als Illusion. Das ist übrigens nicht viel mehr als die umgangssprachliche Übersetzung dessen, was der Tinder-Gründer selbst gesagt hat.
Die ganze Konstruktion von Gleichklang und unser Vorgehen sind ausschließlich darauf ausgerichtet, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ein Mitglied eines Tages einem anderen Mitglied begegnet, mit dem eine Beziehung entsteht.
Es gibt bei uns keine anderen Belohnungsreize, die vom eigentlichen Ziel ablenken.
Ein anderer Weg des Online-Dating
Bleiben Mitglieder dabei und nehmen Sie aktiv den Kontakt zu offerierten Vorschlägen auf, sollte irgendwann – ganz egal, wie viele und wie oft Vorschläge offeriert werden – der Moment der Partner-Findung eintreten.
Das wäre selbst dann der Fall, wenn wir nicht knapp 20000, sondern nur 100 Mitglieder hätten. Dennoch wäre die Aussicht da, dass eine Beziehung besteht, solange gelegentlich neue Mitglieder vorbeikommen.
Das haben wir sogar ganz konkret bei Gleichklang sehen können, da die Erfolgschancen seit unserem Beginn 2006 mit einer damals quasi leeren Datei sich bis heute bei wachsender Mitglieder-Anzahl de facto nicht verändert haben!
Was ich mit „Gleichklang ist langweilig“ meine ist, dass die ständigen Möglichkeiten für schnelle Belohnung und Hoffnung fehlen. Das Einloggen wird meistens nicht durch X-Vorschläge oder Nachrichten belohnt und wir versenden auch keine besonders attraktiven Profile als Belohnungsreize herum. Ebenso wenig gibt es bei uns Chat-Moderator:innen, die mit den Mitgliedern in Kontakt treten, die es in erschreckend vielen Dating-Seiten laut AGB gibt.
Der Erfolg der Partnersuche bei Gleichklang bedarf also letztlich einer ähnlichen Haltung, wie die der Zeitungsleser:innen vergangener Zeiten:
- Ist eine passende Kontaktanzeige dabei, schreibe ich sie an, ist dies nicht der Fall, warte ich auf die nächste Ausgabe.
Diese Haltung steht jedoch dem entgegen, was uns unsere Erfahrungen mit den Dating-Apps sagen. Genau dieser Dating-Apps bestimmen aber, weil sie so verbreitet sind, das, was für uns normal ist und was wir daher erwarten.
Die Dating-Apps können ihre Angebote als Mittel gegen die Langeweile verkaufen, die gleichzeitig niemals ausgeht, weil sie die Langeweile ihrer Nutzer:innen im Durchschnitt erhöhen.
Das ist in unserer freien Marktwirtschaft ein geradezu perfektes und anerkanntes Geschäftsmodell. Vermutlich werden genau deshalb mit den Dating-Apps Milliarden umgesetzt.
Motivation für Nachhaltigkeit
Bei Gleichklang müssen wir demgegenüber Menschen zu etwas motivieren, was im Durchschnitt zunächst einmal ihre Langeweile nicht reduziert, sie aber glücklicherweise eben genau deshalb im Verlauf auch nicht erhöht und sie sogar letztlich mithilfe einer Beziehung irgendwann nachhaltig reduzieren kann.
Was keine schnellen Belohnungen bringt, bleibt zunächst einmal liegen und verursacht dadurch auch keinen Schaden. Sollte es langfristig doch eine Belohnung bringen, ist der Gesamtnutzen positiv. Maximal kann uns demgegenüber schaden, was uns schnell Belohnungen (z. B. Unterhaltung), aber langfristig Schaden (z. B. sinkende Bindungsbereitschaft) bringt.
Die Haltung, die ich Gleichklang-Mitgliedern und Interessent:innen daher gerne vermitteln möchte, ist die Folgende:
- Sehen Sie Gleichklang an als eine stille Option im Hintergrund, die sich nicht auswirkt auf Ihre Alltagsabläufe. Als stille Option kann Gleichklang keine Langeweile erzeugen, auch dann nicht, wenn sich nichts tut.
- Der entscheidende Punkt, der Sie bei Gleichklang zur Beziehung führt, besteht nun darin, die stille Option einfach laufen zu lassen und immer dann und möglichst rasch aktiv zu werden, wenn sich durch einen Vorschlag oder eine Nachricht andeutet, dass aus der stillen Option ein echtes Leben entstehen kann.
- Erwarten Sie aber schnelle Belohnungen, wie bei den Dating-Apps, werden Sie Gleichklang tatsächlich als langweilig erleben. Leider wird ihre Langeweile dann aber, wenn Sie zu den Dating-Apps (zurück)gehen, meistens nicht abnehmen, sondern weiter zunehmen.
Wenn wir die Wirklichkeit verkennen
Manchmal ist es so, dass das, was wir für normal und damit richtig halten, tatsächlich falsch ist. Dies Phänomen sehen wir nicht nur bei der Partnersuche, sondern in allen Bereichen unseres eigenen Verhaltens sowie in der Gesellschaft:
- In welcher aus Außenbetrachtung geradezu irren Art und Weise Gesellschaft und Politik aktuell auf den Anschlag von Solingen reagieren, macht deutlich, welche dramatischen Folgen solche menschlichen Irrtümer haben können – und mit welcher Vehemenz sie dennoch vertreten werden können. Alle rationalen Grundsätze der Kriminologie – und mit ihnen die der Humanität – werden derzeit in Deutschland aufgrund eines Attentates über Bord geworfen, weil sofortiges Handeln erwartet wird. Solch ein Aktionismus tendiert dazu, sich allein durch den Eindruck, etwas zu tun, von selbst zu verstärken. Dieser Illusion steht die Wirklichkeit gegenüber, dass mit dieser gesellschaftlichen Reaktion die Wahrscheinlichkeit islamistisch motivierter Attentate nicht gesenkt, sondern nur erhöht werden kann. (Soeben hat eine Deutsche ohne Migrationshintergrund – so lese ich im Guardian – sechs Menschen mit einem Messer verletzt, drei ringen mit ihrem Leben, ein paar Wochen vorher hatte ein Deutscher auf zwei Muslime eingestochen, was ich nur als Randnotiz fand. Die gleichen, die derzeit mit offensichtlichem Elan ein Attentat nutzen, um gegen syrische und afghanische Menschen als bequeme Sündenböcke vorzugehen, werden daraus keine besondere Gefährlichkeit Deutscher ableiten wollen, wobei aber Rufe nach kriminologisch kontraproduktiven Strafverschärfungen sicherlich ohnehin lauter werden).
Glücklicherweise stehen solche schwerwiegenden Folgen beim Online-Dating nicht auf dem Spiel. Aber auch hier muss für impulsives Handeln ein Preis gezahlt werden, den viele nicht erkennen:
- Der aktionistische Sprung zum nächsten Profil erhöht nicht, sondern senkt im Durchschnitt die Aussicht, dass eine Partnerfindung gelingen wird.
Resümee
Wir neigen dazu, durch schnelle und impulsive Wechsel und Veränderungen Langeweile reduzieren zu wollen. Oft gelingt uns dies jedoch nur kurzfristig, während langfristig sogar ein Mehr an Langeweile die Konsequenz sein kann.
Leben wir mit schnellen Belohnungen unseren Alltag, kann der Moment kommen, wo wir bemerken, dass der Sinn verloren ging. Denn momentanes Glückserleben und Sinn können sich in die gegenläufige Richtung bewegen. Am Ende bestimmt jedoch nicht das momentane Glückserleben, sondern der Sinn unser echtes Glück:
Video: Glück und Sinn im Leben
Auch beim Online-Dating sind kurzfristige und nachhaltige Effekte oft einander entgegengerichtet:
- Die Dating-Apps bieten das kurzfristige Glück, sich immer wieder von Langeweile durch ein neues Profil ablenken und Hoffnung aufflammen lassen zu können. Langfristig führen sie aber selten zu Beziehungen und das Ziel der Partnerfindung kann verloren gehen. Die Langeweile steigt so an.
- Da die Apps auf schnelle Effekte und nicht auf Partnerfindung optimiert sind, sprechen sie unsere Beeinflussbarkeit durch schnelle Belohnungen an. Dies erklärt den Erfolg der Dating-Apps, der wiederum dazu führt, dass längst Normalitäts-Erwartungen entstanden sind, die von allen Dating-Angeboten verlangen, so zu sein wie die Apps – jederzeit verfügbare Vorschläge, maximal vereinfachte Nutzung, Förderung sprunghafter und intensiver Nutzung. Jedes Einloggen soll belohnt werden.
Angebote, die auf Partnerfindung optimiert sind, kommen dem Wunsch nach schnellen Belohnungen nicht entgegen:
- Dadurch wirken sie auf den ersten Blick im Vergleich zu den dominanten Apps langweilig und leer. Auf den zweiten Blick ermöglichen sie aber mehr Sinn, da die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass eines Tages eine Beziehung mit einem passenden Menschen gelingt.
Bei Gleichklang möchten wir ohne schnelle Belohnungsreize gemeinsam mit unseren Mitgliedern den Weg zu Beziehung und Sinn gehen. Nach meiner Überzeugung ist dieser Verzicht der eigentliche Gewinn:
- Wenn Sie zu uns kommen, sollten Sie uns daher nicht als Unterhaltungsmaschine betrachten, sondern als stille Option, die im Hintergrund für Sie ständig aktiv ist und für die Sie jeweils nur dann selbst aktiv zu werden brauchen, wenn sich durch einen Vorschlag oder eine Nachricht die Möglichkeit ergibt, die Partnersuche zum Ziel zu bringen.
Wichtig ist aber auch, Beziehungsoffenheit auszustrahlen:
- Nach dem Tod meines Vaters blieb meine Mutter für 3 weitere Jahrzehnte partnerlos, was durchaus nicht ihrem Wunsch entsprach. Als ein freundlicher Herr im Mövenpick in Hannover-City fragte, ob er sich zu ihr setzen dürfe, lautete ihre Antwort, sie könne es ihm nicht verbieten. Zu ihrem Bedauern nahm der Herr – verständlicherweise – sodann von dieser Möglichkeit Abstand.
Für den Erfolg unserer Partnersuche ist es zentral, mit offenen Augen und Beziehungsbereitschaft durch die Welt gehen und dies auch auszustrahlen.
Wenn Sie diesen Weg gemeinsam mit uns gehen wollen, unterstützen wir Sie gerne mit unseren besten Möglichkeiten und Kräften:
Wie denken Sie selbst zu diesem Thema, was sind Ihre Erfahrungen? Schreiben Sie uns diese gerne unten in die Kommentare.
Weitere Links:
Ich hatte Ihnen ja vor kurzem geschrieben,Herr Gebauer, dass ich kaum Angebote bekomme für eine gleichgeschlechtliche PartnerInnenwahl und wenn doch, diese fast immer einen ” Haken” haben ( schon vergeben, Männer haben Vorrang, etc.). Deshalb empfehle ich Ihnen nochmals, in Zeitschriften wie EMMA etc.Werbung auch speziell für diese Art von PartnerInnenwahl zu machen.
Mit freundlichen Grüßen, Ingrid D.( realistische Romsntijerin)
Das mit dem “Haken” ist schade. Grundsätzlich ist es so, dass ca 1/3 der Mitglieder aktuell insofern auf Erfolgskurs ist, dass sich ein Kontakt vertieft. Bei denen, wo der Kontakt nicht zu einer Beziehung führt, kann später ggf. wieder eine Offenheit entstehen. Ich habe mir Deine Suchkriterien angeschaut und sehe nur bei der regionalen Suche noch eine Stellschraube. Ich würde Dir aber ggf. auch raten, noch einmal jeden der 57 erhaltenen Partnervorschläge anzuschauen, ob sich womöglich nicht doch etwas ergeben kann. Sehr gut finde ich, dass Du aktiv bist und auch schreibst. Ich glaube, dass trotz der immer noch gelegentlichen Vorschläge so auch bei Dir eine Beziehung entstehen kann. Insofern passt das Bild der “stillen Option” gut zu Deiner Suche. Ja, wir werden wieder eine Anzeige in der Emma schalten (hatten wir früher schon), wobei das aber nur zu einem kleinen weiteren Zustrom führen wird.
Bezüglich des von Dir angesprochenen Ergebnis “Mann geht vor” handelt es sich wohl um Ambivalenzen bei Mitgliedern, die sich über ihre sexuelle Orientierung nicht ganz Klaren sind. Oder sie haben erst vor Kürzerem gleichgeschlechtliche Interessen entdeckt, aber passen noch nicht ausreichend ihre Profiltexte an. Manche sind auch nur theoretisch, aber nicht praktisch für eine Beziehung mit einer Frau offen.
Ich analysiere gerade Konfigurationen “sexueller Orientierungen” aus einer unserer letzten Umfrage. Dabei ergibt sich statistisch eine Unterteilung in drei Cluster:
– prototypisch Heterosexuelle
– nonkonforme Heterosexuelle
– queeres Spetrum
Während bei dem queeren Spektrum das Interesse an gleichgeschlechtlichen Verbindungen klar vorhanden ist, sheen wir die Gruppe der nonkonformen Heterosexuellen, wo ebenfalls Offenheiten bestehen, die aber letztlich typischerweise hinter der heterosexuellen Orientierung zurückstehen. Vermutlich sind die von Dir beschriebenen Fälle entsprechend gelagert.
“die stille Option”
Es scheint für mich auch gravierende Nachteile zu bringen. Die GK-Mitglieder verfallen in eine starke Passivität und Inaktivität. Die Mehrzahl bricht ja nach der Mindestsuchdauer (1 Jahr) erfolglos ab. Mit den Vorschlägen wird sich nicht wirklich beschäftigt, sondern oberflächlich aussortiert und besonders alte Vorschläge werden sich nicht nochmal angesehen. Ich meine 50 % meiner Vorschläge hat sich bis heute nicht mein Profil angesehen. Dabei sagst du ja selbst, dass der passende Partner oft schon lange vorgeschlagen wurde.
Ich glaube ein gesundes Maß an Unterhaltung wäre schon merklich erfolgsfördernd.
Weiterhin habe ich diese Woche eine Studie von Elite Partner gelesen. In der Studie ging es darum, dass 2/3 der Befragten angibt, dass sie einen aktiven bzw. zu aktiven Lebenswandel bei potentiellen Partner als negativ bewerten. Mir geht es selber so bei Gleichklangvorschlägen, dass Frauen mit einem zu aktiven Lebenswandel auf mich abschreckend wirken. Ich frage mich, warum man das nicht als wichtige Kategorie einfügt? Wie aktiv der Lebenswandel einer Person ist, ist doch ein sehr wichtiges Passungskriterium.
Grob gesprochen findet ungefähr ein Drittel eine Beziehung, ein weiteres Drittel bleibt dabei und ein Drittel verlässt uns leider ohne Partner:innen gefunden haben. Es schauen sich viele Mitglieder nicht alle Vorschläge an. Manche nur, wenn sie das Bild besonders interessant finden, andere, wenn vielleicht gerade der Wohnort sehr nahe ist, viele spätestens dann, wenn sie eine Erstnachricht erhalten. Fußstapfen sind da weniger wirksam, aber in Kombination mit der Erstnachricht haben sie auch eine Wirkung. Insofern ist 50 % Profil anschauen (Glas halbvoll finde ich besser als halb leer) eine gute Rate.
Mit der “stillen Option” möchte ich nicht zu Tatenlosigkeit auffordern, denn sobald die Option wieder ein Signal gibt, sollte ja eine Aktivität erfolgen.
Studien finden keinen Zusammenhang zwischen Beziehungszufriedenheit und Unterschieden in der Extraversion, was mit einem aktiven Lebenswandel korreliert. Was wir aber erfassen, ob Partner:innen eher Dinge gemeinsam oder getrennt tun wollen.
Ich weiß Elite Partner ist eure Konkurrenz aber warum geben dann so viele an, dass sie eine Abneigung gegen sehr aktive Partner haben?
https://www.elitepartner.de/studien/partnerwahl-einstellungen-lifestyle/
Die Menschen mögen aktive Personen nicht, wenn sie auf der Suche sind, aber in einer Beziehung hat es keinen Einfluss auf die Zufriedenheit?
Sowie Körpergröße, Alter und Wohnort?
Daraus folgt aber nicht, dass die entsprechenden Paare wirklich glücklicher oder unglücklicher werden würden. Die Befunde für Extraversion sprechen für das Gegenteil. Es zeigen sich keine Unterschiede in der Zufriedenheit in Abhängigkeit von Übereinstimmung oder Gegensätzlichkeit. Körpergröße und Wohnort spielen keine Rolle für die Beziehungszufriedenheit. Bei hohen Altersdifferenzen gibt es Studien, dass diese eher schädlich sind, auch wenn dies sicherlich nicht für alle gilt. Wenn es nach uns ginge, würden wir Fragen zu Körpergröße, Wohnort etc. entfernen, aber ich denke, dann laufen uns die Mitglieder weg …
Danke für diesen Beitrag über die Langeweile. Das beschriebene Muster erscheint mir tatsächlich auf viele Lebenssituationen übertragbar. Dies im Alltag im Blick zu behalten ist alles andere als langweilig.
Eine großartige Haltung für Eure Gleichklang-Plattform ist damit gewiss.
Einen besonderen Gruß nach Inspirationen durch Eure Artikel und Videos von
Petra
Freue mich sehr, dass unsere Artikel/Videos inspirierend sind und sende den herzlichen Gruß an Dich zurück!
Das Verhalten bei der Suche nach einem Partner spiegelt nach meinem Empfinden die Gesellschaft. Fazit des Artikels ist doch, dass viel zu viele Menschen sehr oberflächlich durchs Leben gehen und hoffen, im Außen ihr Glück zu finden. Ablenkungen aller Art, auch viele negative Reize, werden ungefiltert aufgesaugt anstelle zu reflektieren, was man wirklich braucht für sein eigenes Glück. Wer mit sich viel Gutes anfangen kann, sich gut beschäftigen kann, einer sinnvollen Arbeit nachgeht und bewusst und reflektiert lebt, wird auch den richtigen Partner bzw. die passenden Menschen für das eigene Lebensumfeld finden.
Jeder Mensch kann es schaffen, tiefer, also intensiv zu leben, sich zb durch Natur und Kunst und gute Gespräche berühren zu lassen und selbst auch zu inspirieren. Wer alles mit viel Herz tut, ist schon ein grundglücklicher Mensch.
Mit Ghosting durch Überforderung hatte ich schon öfter zu tun und ich glaube auch da, dass Menschen nicht mehr in der Lage sind, sich wirklich auseinanderzusetzen und sich echt und tief zu verbinden. Sie haben oft falsche Verhaltensmuster, die nicht zum Erfolg führen. Und was ist Erfolg überhaupt?
Danke für die Anregung und die zigfache Wiederholung des Sachverhaltes!
Viele Grüße
Danuta
Das hast Du wirklich exzellent zusammengefasst. Es ist nach meiner Ansicht wirklich genau so, wie Du schreibst.