Beziehungen in Krisenzeiten
Beziehungen können zu großem Glück, zu Zufriedenheit und Stabilität führen, sie können aber auch mit großem Leid, Unzufriedenheit und Instabilität einhergehen.
Es ist gut etabliert, dass Katastrophen (Kriege und Bürgerkriege, Naturkatastrophen, Epidemien) die seelische Gesundheit beeinträchtigen können.
Es gibt aber auch wichtige Schutzfaktoren, die Menschen davor bewahren können, in Katastrophensituationen seelische Beeinträchtigungen zu entwickeln.
Ein Faktor, der hier eine maßgebliche Rolle spielt, sind partnerschaftliche Beziehungen. Hierauf geht mein heutiger Artikel ein und wird sich auch mit den Implikationen für Partnersuche und Partnerwahl beschäftigen.
COVID, Partnerschaften und seelische Gesundheit
Mittlerweile liegt bereits eine Reihe von Studien vor, die die Zusammenhänge zwischen Partnerschaften und Covid-19-Krise untersuchen.
- sind für die Bewältigung der Covid-19-Krise Partnerschaften hilfreich oder ist dies zu allgemein formuliert?
- was sind mögliche positive oder auch negative Auswirkungen von Partnerschaften? wie wirkt sich umgekehrt die Covid-19-Krise auf Partnerschaften aus?
- wovon hängt es ab, welche Auswirkungen zu beobachten sind?
Eine Befragungsstudie, die im September 2020 im Journal PLOS ONE veröffentlicht wurde, gelangte nun diesen Ergebnissen:
- die seelische Gesundheit von Menschen in der Covid-19-Krise ist am höchsten, wenn die betreffenden in einer partnerschaftlichen Beziehung mit positiver Beziehungsqualität leben.
- die seelische Gesundheit von Menschen in der Covid-19-Krise ist am geringsten, wenn die Betreffenden in einer partnerschaftlichen Beziehung mit negativer Beziehungsqualität leben.
- die seelische Gesundheit von Singles liegt zwischen der seelischen Gesundheit von Verpartnerten mit positiver und negativer Beziehungsqualität.
Hieraus ziehen die Autoren den Schluss, dass eine gute Beziehung ein Schutzfaktor in Krisenzeiten sein kann, aber eine schlechte Beziehung ein Risikofaktor ist.
Nur Beziehungen mit guter Beziehungsqualität fungieren also als Schutzfaktor in Krisenzeiten und können uns davon bewahren, in solchen Zeiten seelischen Schaden zu nehmen.
Demgegenüber verstärkt eine negative Beziehung die stresserzeugende Wirkung der Krise und damit eine mögliche seelische Schädigung. Partnerlosigkeit ist besser als eine schlechte Beziehung.
COVID-assoziierte Belastungen und Beziehungsqualität
Wie aber wirkt sich umgekehrt die COVID-Krise auf unsere Beziehungszufriedenheit aus?
Hierzu hat soeben ein internationales Forscherteam eine umfangreiche Studie vorgelegt, die verpartnerte Personen zu Anfang der COVID-Krise und nachfolgend erneut mehrfach in einem dreimonatigen Verlauf befragte.
Die Studie ist veröffentlicht unter dem das Hauptergebnis bereits sehr gut zusammenfassenden Titel: “Love in the Time of COVID: Perceived Partner Responsiveness Buffers People from Lower Relationship Quality Associated with COVID-Related Stressors” (Liebe in der Zeit von COVID: Wahrgenommene Reaktionsfähigkeit des Partners schützt vor Beeinträchtigung der Beziehungsqualität, die mit COVID-bezogenen Stressoren verbunden ist).
Untersucht wurden die Auswirkungen von drei Arten von COVID-bezogenen Stressoren, nämlich Einsamkeit, finanzielle Probleme und sonstige Stressoren auf die eigene Einschätzung der Beziehungsqualität, das Ausmaß auftretender Konflikte sowie die eigene Bindungsentscheidung.
Ebenfalls untersucht wurde die anfängliche wahrgenommene Reaktionsfähigkeit, unter der das Ausmaß verstanden wird, in dem wahrgenommen wird, dass ein Beziehungspartner echtes Interesse zeigt und versteht.
Es zeigten sich folgende Ergebnisse:
- COVID-assoziierte Einsamkeit minderte die Beziehungszufriedenheit und die Bindungsfestigkeit und erhöhte Konflikte in einer Beziehung.
- COVID-assoziierte finanzielle Probleme und COVID-assoziierter Stress allgemein minderten zu Anfang und im dreimonatigen Verlauf die Beziehungszufriedenheit und erhöhten Konflikte in Partnerschaften, wirkten sich aber nicht auf die Bindungsfestigkeit aus.
- bei weitem stärker als COVID-assoziierte Belastungsfaktoren war aber der Effekt der anfänglich wahrgenommenen Reaktionsfähigkeit einer*s Partner*in auf die Beziehungszufriedenheit, die Bindungssicherheit und die Konflikte in einer Beziehung. Je stärker die Befragten Beziehungspartner zu Anfang als reaktionsfähig erlebten, desto positiver war im gesamten Verlauf die Beziehungszufriedenheit, desto sicherer die Bindungsentscheidung und desto weniger Konflikte gab es.
- tatsächlich ist der Einfluss der wahrgenommenen Reaktionsfähigkeit des*r Partner*in im Vergleich zu den COVID-assoziierten Belastungsfaktoren geradezu riesenhaft.
Wirkt sich aber womöglich die wahrgenommene Reaktionsfähigkeit eines Beziehungspartners darauf aus, ob oder wie sehr COVID-assoziierte Belastungen eine Beziehung beeinträchtigen?
Hier ergaben sich folgende Beobachtungen:
- Beziehungszufriedenheit: Bei geringer wahrgenommener Reaktionsfähigkeit wirkte sich COVID-assoziierte Einsamkeit, finanzielle Probleme und allgemeiner Stress negativ aus. Bei hoher wahrgenommener Reaktionsfähigkeit wirkten sich COVID-assoziierte Einsamkeit, finanzielle Probleme und allgemeiner Stress aber nicht oder höchstens trivial aus.
- Konflikte: Bei geringer wahrgenommener Reaktionsfähigkeit wirkte sich COVID-assoziierte Einsamkeit, finanzielle Probleme und allgemeiner Stress tatsächlich negativ aus. Bei hoher wahrgenommener Reaktionsfähigkeit wirkten sich zwar Einsamkeit und allgemeiner Stress weiterhin negativ aus, aber sehr viel geringer. Finanzielle Probleme wirkten sich gar nicht mehr aus.
- Bindungssicherheit: Lediglich COVID-assoziierte Einsamkeit wirkte sich unabhängig von der wahrgenommenen Reaktionsfähigkeit (geringgradig) negativ aus. Für finanzielle Probleme und allgemeinen Stress gab es weiterhin gar keine Auswirkungen.
Was sagen uns diese Befunde?
Die Befunde zeigen, dass COVID-assoziierte Belastungen sich tatsächlich ungünstig auf partnerschaftliche Beziehungen auswirken können.
Allerdings zeigen uns die Befunde ebenfalls, dass wir uns vor Übertreibungen hüten sollten:
- bei weitem stärker als der Einfluss COVID-assoziierter Belastungen ist das Ausmaß, in dem Partner sich als reaktionsfähig wahrnehmen. Je stärker Partner*innen aufeinander eingehen, sich verstehen und Resonanz zeigen, desto zufriedener sind sie mit ihrer Beziehung, desto weniger Konflikte haben sie und desto höher ist die Bindungssicherheit.
- zwar haben auch COVID-assoziierte Belastungen einen gewissen Einfluss auf einige dieser Faktoren, die Bedeutung der Reaktionsfähigkeit ist aber eindeutig dominierend.
- bei hoher wahrgenommener Reaktionsfähigkeit üben COVID-assoziierte Belastungen keinen, nahezu keinen oder einen nur dezidiert geringen Einfluss auf Bindungssicherheit, Beziehungszufriedenheit oder Konflikte aus.
Für die Verbesserung der Beziehungszufriedenheit, der Bindungssicherheit und die Reduktion von Konflikten sollten Paare vor diesem Hintergrund hauptsächlich an der Erhöhung ihrer wechselseitig wahrgenommenen Reaktionsfähigkeit arbeiten. Gelingt dies, gelingt in der aller Regel auch die Bewältigung COVID-assoziierter Belastungen.
Implikationen für Single-Dasein und Partnersuche
Alle Singles befinden sich derzeit immerhin in der zweitbesten Situation:
- das Single-Dasein ist in einer Krisensituation allemal besser als sich in einer instabilen, unglücklichen, dysfunktionalen oder gar ausbeuterisch-gewalttätigen Beziehung zu befinden.
- Sachlage ist, dass sich unzählige Menschen in genau solchen Beziehungen befinden und es sind solche Beziehungen, die sich in Krisenzeiten noch weiter verschlechtern.
Das macht auch die Zunahme von partnerschaftlicher Gewalt in COVID-Zeiten psychologisch erklärbar:
- COVID-assoziierte Stressoren führen typischerweise zu keiner partnerschaftlichen Gewalt. Bei bereits dysfunktionalen, latent oder manifest gewalttätigen Beziehungen können Dysfunktionalität und Gewalt bei einer noch hinzukommenden Krisensituation weiter zunehmen.
Für viele Singles wird in der derzeitigen COVID-Situation die Sehnsucht nach einer Partnerschaft besonders bewusst. Partnersuche ist so eine konstruktive Bewältigungs- und Lösungsstrategie:
- überhaupt etwas zu tun, lässt Hilflosigkeit abnehmen. Die Aussicht auf eine Beziehung in der Zukunft reduziert die Belastung durch Einsamkeit in der Gegenwart. Der Zukunftsbezug hilft, nicht in depressives Grübeln oder Tatenlosigkeit zu verfallen.
Nicht hilfreich ist aber eine Beziehung um jeden Preis, denn in einer unglücklichen Beziehung werden Sie unglücklicher werden als Sie es als Single sind – und dies gilt in einer Krisensituation noch einmal vermehrt.
In einer bestehenden Beziehung lässt sich wechselseitige Reaktionsfähigkeit gemeinsam erarbeiten und verbessern, es sei denn die Beziehung ist so dysfunktional, dass die einzige Rettung in der Trennung liegt.
Als Single haben Sie in gewisser Weise das Glück, dass Sie auf die für eine Beziehung so essentielle wechselseitige Reaktionsfähigkeit bereits bei der Partnerwahl achten können.
Günstige Voraussetzungen für wechselseitige Reaktionsfähigkeit ergeben sich aus einer Übereinstimmung der Werthaltungen, Partnerschafts- und Lebensmodelle.
Denn wenn diese Übereinstimmung gegeben ist, dann entsteht wechselseitiges Verständnis bei wichtigen Themen und in wichtigen Situationen von alleine. Eine passende Partnerwahl kann hier also eine ganz wichtige Bahnung sein, die die Chance bedeutend erhöht, wechselseitige Reaktionsfähigkeit zu erreichen und eine glückliche Beziehung zu führen, die an Krisen nicht zerbricht, sondern an ihnen sogar wächst.
Ob sich Reaktionsfähigkeit entwickelt, können Sie bereits Online wahrnehmen. Die Klarheit wird wachsen, wenn sie weitere Medien hinzuziehen, wie Telefon oder Video-Chat:
- nehmen Sie hier eine Reaktionsfähigkeit wahr, wird sich diese aller Wahrscheinlichkeit später bei Offline-Begegnungen fortsetzen. Ein Grund zur Eile für das erste Date besteht nicht.
- hilfreich ist ebenfalls, sich der Möglichkeit und Notwendigkeit von Reaktionsfähigkeit in einer Beziehung bewusst zu werden. Der Ratschlag lautet, miteinander zu reden, offen miteinander umzugehen und nichts zu verbergen.
- Reaktionsfähigkeit mag sich schrittweise entwickeln und vertiefen. Missverständnisse dürfen auftreten. Überhöhte Erwartungen sind hier schädlich.
- stellen Sie aber fest, dass ein Gegenüber mit Ihren Gedanken und Gefühlen nichts anzufangen weiß, dass sie andauernd und wiederholt aneinander vorbeireden, dass sich dies im Verlauf nicht ändert, dann ist dies Grund genug, die Reißleine zu ziehen und auf einen Beziehungsaufbau zu verzichten.
- ich möchte dies mit zwei ganz verschiedenen Beispielen veranschaulichen:
Hochsensibilität
- Sie sind hochsensibel (Selbstprüfung durch den HSP-Test)? Sie kennzeichnen sich entsprechend durch eine besonders ausgeprägte und detailreiche Wahrnehmung, eine deutliche Tendenz zum intuitiven Denken, ein oft sehr intensives Erleben von Musik oder Kunst, eine erhöhte Begeisterungsfähigkeit und eine besonders komplexe Fantasietätigkeit. Sie weisen womöglich auch eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit und eine leichtere Beeinflussbarkeit durch Stimmungen und Verhalten anderer Menschen auf und mögen verletzlicher sein. Wahrscheinlich mögen sie keinen Trubel, keine Massenveranstaltungen, keinen derben Humor und legen Wert auf einen empfindsamen und empathischen Umgang miteinander.
Reaktionsfähige Beziehungspartner werden Ihr Erleben nachvollziehen und verstehen können. Sie werden nicht mit Spott und Hohn darauf reagieren und Sie nicht als überempfindlich oder neurotisch bezeichnen. Sie werden Ihre Sensitivität akzeptieren und annehmen können und im Regelfall sogar wertschätzen. Sie werden mit Ihnen einen gemeinsamen Alltag aufbauen wollen, der Ihrer Sensitivität entgegenkommt und in dem gemeinsamen positiven Erleben möglich ist (z.B. Aufenthalte in der Natur statt Ballermann).
Stellen Sie aber in der Phase der Partnersuche fest, dass diese Resonanz nicht entsteht, dass Ihr Gegenüber mit Unverständnis reagiert und dabei in sensitiv oder gar rücksichtslos wirkt, ist der Zeitpunkt gekommen, aus dieser Beziehungsentstehung rechtzeitig auszusteigen.
Übrigens muss ein Beziehungspartner*in nicht unbedingt ebenfalls hochsensibel sein, wenn Sie hochsensibel sind – obwohl durchaus unsere eigenen Umfragen zeigen, dass beidseitige Hochsensibilität oftmals als besonders positiv erlebt wird. Voraussetzung ist aber, dass eine Akzeptanz für Ihre Hochsensibilität besteht und ein echtes Interesse, einander zu verstehen und miteinander achtsam und rücksichtsvoll umzugehen.
Wunsch nach offener Beziehung
Die große Mehrheit aller Partnersuchenden wünscht sich eine Beziehung mit sexueller Treue. Dies ist auch bei Gleichklang der Fall.
Aber ebenso gibt es Partnersuchende, die ein anderes Lebens- und Beziehungsmodell mit sexueller Freiheit, gemeinsamer oder getrennter Sexualität mit anderen oder eine polyamoröse wechselseitige Liebe mit mehr als zwei Personen anstreben.
Wird das Modell einer offenen oder polyamorösen Beziehung miteinander geteilt, können tiefgreifende, stabile und erlebnisintensive Beziehungen entstehen.
Trifft aber das Modell einer Zweierbeziehung mit sexueller Treue auf das Modell einer offenen oder polyamorösen Beziehung, werden Unverständnis, Eifersucht, Konflikt und wechselseitige Frustration die Folgen sein.
Dies soll nicht nahelegen, dass wir uns bei der Partnersuche auf alle Details festlegen müssen oder überhaupt für exakt ein Modell entscheiden müssen.
Nehmen wir eine Offenheit für verschiedene Modelle bei uns wahr, kann diese Offenheit das Such- und Erlebnisspektrum erhöhen. Wichtig ist aber, dass diese Offenheit – wenn wir sie angeben – auch tatsächlich geistig und emotional besteht, da nur dann Beziehungszufriedenheit eintreten wird. Gerne können Sie hierzu auch meinen vorherigen Artikel “Sexuelle Ehrlichkeit ist möglich“ lesen.
Resümee
Zurückkommend auf die Beobachtung, dass eine positive Beziehung unsere seelische Gesundheit fördert, aber keine Beziehung besser ist als eine unglückliche Beziehung, möchte ich noch einmal zu Gelassenheit bei der Partnersuche raten:
- Torschlusspanik ist unangebracht. In jedem Alter kann eine Beziehung entstehen. Partnerlosigkeit ist zudem keine Katastrophe. Wir dürfen uns mit der Partnersuche Zeit nehmen und können diese Zeit daher auch mit Gelassenheit angehen.