Sexualität und Beziehung
Ich rate zu radikaler sexueller Ehrlichkeit bei der Partnersuche, beim Beziehungsaufbau und der Beziehungsgestaltung. Sexuelle Ehrlichkeit ist möglich, trotz der Verbreitung von Verheimlichung, Scham und Lüge. Dieser Artikel erklärt die Grundprinzipien von sexueller Ehrlichkeit und zeigt, wie sie mit sexueller Ehrlichkeit zu einer glücklichen Sexualität und Beziehungsgestaltung gelangen.
das sagen Studien
Eine neuerliche Studie im Journal of Sexual Medicine gelangte zu dem Schluss, dass die offene Kommunikation von Beziehungspartnern über Sexualität die Beziehungszufriedenheit erhöht. Die reine Häufigkeit von Sex war unerheblich, bedeutsam war aber, ob die Beziehungspartner über Sexualität sprachen.
Eine weitere Studie in Sexuality and Culture kam (u. a.) zu dem Ergebnis, dass sexuelle Schamhaftigkeit mit reduzierter sexueller Zufriedenheit zusammenhängt. Aus sexueller Scham suchen Beziehungspartner oft nicht das Gespräch und stellen ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse zurück, wodurch diese unbefriedigt bleiben.
Sexuelle Zufriedenheit ist neueren Forschungsbefunden in der Regel kein vorwiegend “egoistischer Zustand” der Befriedigung nur der eigenen Bedürfnisse. Vielmehr zeigt eine aktuelle wissenschaftliche Auswertung der freien Selbstschilderungen zahlreicher Männer und Frauen, dass sexuelle Zufriedenheit eng verbunden ist mit Beziehungsaspekten der Wechselhaftigkeit, des Gefühlsausdrucks, der erlebter Romantik wie auch des gemeinsamen spielerischen und kreativen Umgangs miteinander bei der Realisierung von sexuellen Wünschen und Fantasien.
Entscheidend ist also, über Sexualität miteinander zu reden, sexuelle Offenheit zu kultivieren und nicht durch Lüge und Verschweigen aneinander vorbei oder sogar gegeneinander zu leben.
Das offene Gespräch über Sexualität ist ein effektives Mittel, um unbegründete Scham zu überwinden, Vertrautheit herzustellen und dadurch die Basis für die Erfüllung sexueller Wünsche und die Zufriedenheit in einer Beziehung im Allgemeinen zu verbessern.
das sind die Ratschläge
Sprechen Sie über alles miteinander, was Sie sexuell bewegt. Fassen Sie den Mut und benutzen Sie direkte Worte, denn direkte Kommunikation ist verständlicher und effektiver als indirekte Kommunikation, die oft missverstanden wird.
Themen können sein:
- wie wichtig ist Ihnen Sexualität?
- wie erfüllt waren und sind Sie sexuell?
- wo liegen Ihre sexuellen Schwierigkeiten?
- was würden Sie sich sexuell wünschen?
- in welchen Bereichen möchten Sie sexuell experimentieren?
- was würde Sie sexuell bei einem Beziehungspartner stören?
- ist Ihre sexuelle Orientierung fest geprägt, oder bemerken Sie bei sich eine Fluidität?
- möchten Sie Sex nur mit einer Person oder würde Sie umgekehrt der Gedanke an eine offene Beziehung stimulieren?
Die Liste ist unvollständig.
Verschlossenheit schadet – Offenheit hilft
Ein Mangel an Ehrlichkeit (Schweigen, Verstellung, Lügen) ist einer der häufigsten Gründe für sexuelle Frustration in einer Beziehung und wirkt sich ebenfalls negativ auf die Beziehung als Ganzes aus.
Die missliche Sachlage ist, dass unzählige Paare über unzählige sexuelle Dinge nicht miteinander sprechen. Unehrlichkeit und Unzufriedenheit beginnt aber bereits beim Schweigen. So entwickeln sich Beziehungspartner auseinander, bleiben einander fremd und können nicht zueinander finden.
Manchmal bleibt nach einem Schock gar ein Scherbenhaufen.
Ich denke assoziativ an die verheirateten US-Amerikanischen Evangelisten und Fernsehprediger, die mit weiblichen oder (meistens sogar) männlichen Prostituierten erwischt wurden.
Plötzlich brach alles zusammen. Die Beziehungspartner hatten nie miteinander offen gesprochen.
Womöglich wäre ihr Leben ganz anders gelaufen, wenn sie offen gewesen wären – es gibt viele Möglichkeiten, wie:
- statt fundamentalistischer Evangelist, mitmenschlicher Seelsorger
- statt Unterdrückung und Lüge, Offenheit und Wahrheit
- statt Ehe, eine innige Freundschaft
- statt Zweierbeziehung, eine Beziehung zu Dritt
- statt offizieller sexueller Treue, offizielle sexuelle Offenheit …
Dies mag als ein Extrembeispiel scheinen, doch zahlreiche Beziehungspartner wissen keineswegs, wie der eigene Beziehungspartner tatsächlich sexuell tickt. Für das Beziehungsglück und die sexuelle Zufriedenheit kann dies nicht gut sein. Sehr viele Menschen sind in ihren sexuellen Beziehungen unzufrieden, nicht selten schläft die Sexualität völlig ein, ohne dass dies von einem oder beiden Seiten tatsächlich gewünscht wird.
Auch bei diesen Paaren wäre es womöglich ganz anders gekommen, wenn die Beziehungspartner ehrlich zueinander gewesen wären:
- gemeinsames Experimentieren, statt sexueller Langeweile
- Abenteuer erlauben, statt Besitzergreifung und Kontrolle
- sexuelle Fluidität, statt monosexueller Orientierung
- offene Sprache, statt Verklemmtheit
- freilassen und akzeptieren, statt verbieten und einsperren
- gelebte Realität, statt unterdrückte Fantasien
- gemeinsames Leben, statt Doppelleben …
Ob mehr oder weniger, ob auf diese oder jene Weise, ob mit dem oder derjenigen – über alles kann gesprochen werden und für fast alles können gemeinsame Lösungen und Umgangsformen gefunden werden, die für beide Beziehungspartner förderlich sind.
Sexuellen Erlebens-Test nutzen
Mit unserem Sexualitäts-Erlebens-Test (SET) können Sie viele Komponenten Ihres sexuellen Erlebens und ihrer sexuellen Wünsche und Sehnsüchte verbalisierbar, sichtbar und damit auch direkt kommunizierbar machen.
Der Test erfasst 10 Komponenten des sexuellen Erlebens:
- Sexuelle Zufriedenheit: Ausmaß an Zufriedenheit und Glück in der Sexualität.
- Sexueller Liebesbezug: Einbettung von Sexualität in Liebe und Beziehung.
- Sexuelle Selbsterfahrung: Wahrnehmung von Sexualität als Selbsterfahrung und Weiterentwicklung
- Sexuelle Hemmungen: Sexualitätsbezogene Ängste, Hemmungen und Schamgefühle.
- Sexuelle Probleme: Sexuelle Funktionsstörungen, wie Schwierigkeiten beim Orgasmus, Erektionsstörungen, mangelndes Empfinden, Verspannungen oder Schmerzen.
- Instrumentelle Sexualität: Instrumenteller Einsatz von Sexualität für den Aufbau von sozialen Kontakten, Abbau von Konflikten, Überwindung von Einsamkeit, sozialen Einfluss und materielle Vorteile.
- Sexuelle Fluidität: Offenheit versus Stabilität der Ausrichtung auf Merkmale des Geschlechts von Beziehungs-Partnern.
- Suchthaftes sexuelles Erleben: Übersteigertes, suchthaft erlebtes sexuelles Verlangen.
- Asexuelles Erleben: Sexualität wird als uninteressant und unwichtig erlebt.
- BDSM-Neigungen: Spielerisches Interesse an Formen von Dominanz und Unterwerfung, Fesselspielen etc.
Ab dem Moment in der Partnersuche, wo es beiden Seiten als angemessen und wünchenswert erscheint, über Sexualität zu sprechen, gilt mein Rat, den Test gemeinsam durchzuführen, während der Bearbeitung die Antworten zu verbalisieren und über die Ergebnisse zu sprechen.
Sind zwei Rechner oder Mobil-Telefone zur Hand, kann dies ganz leicht gemeinsam Frage für Frage erfolgen. Wichtig ist eine Haltung der Offenheit, wo die Antwort so gegeben wird, wie sie wirklich erlebt wird.
Während der Testbearbeitung und durch Betrachtung der Ergebnisse werden Sie viel erfahren über die wechselseitigen sexuellen Erlebensweisen und Einstellungen.
Mit diesem Vorgehen mögen zwei Menschen innerhalb von 1,5 Stunden bezüglich ihrer Sexualität mehr über einander erfahren als viele Paare nach jahrzehntelanger Beziehung.
So lassen sich auch mögliche Blockaden oder Schwierigkeiten schnell identifizieren und oftmals ändern:
- sexuelle Hemmungen oder Funktionsstörungen stellen beispielsweise kein unüberwindliches Hindernis für sexuelle Zufriedenheit dar, wenn über sie offen gesprochen wird. Wenn Schauspielern und verdeckte Ängste wegfallen, lösen sie sich manchmal sogar in Luft aus.
Treten Unterschiede auf, muss dies keineswegs das Beziehungs-Aus bedeuten. Es muss auch nicht bedeuten, dass eine Seite zurückstecken oder nachgeben muss, sondern oftmals lassen sich – wenn man miteinander sprechen kann – Möglichkeiten und Lebensmodelle finden, die allen Seiten gerecht werden.
Zeigen sich aber tatsächliche Gegensätze, die man nicht miteinander managen möchte, ist auch dies eine wichtige Information, die Ihnen bei der Partnerwahl nur helfen kann.
Was wäre wohl aus den Fernsehprediger-Paaren (und vielen anderen Paaren) geworden, hätten Sie bereits zu Beziehungsbeginn zu diesem einfachen, aber durchaus anspruchsvollen Mittel der Herstellung von Offenheit und Vertrautheit in der sexuellen Kommunikation gegriffen?
Mehr Informationen zur Interpretation der Testergebnisse finden Sie übrigens in diesem vorherigen Blog-Artikel.
der richtige Zeitpunkt
Gespräche über Sexualität schaffen eine Atmosphäre der Offenheit, des Vertrauens und der Ehrlichkeit, die die Basis einer jeden partnerschaftlichen Beziehung sein kann und sollte.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass Sie nun anderen Mitgliedern Erstnachrichten mit sexuellem Inhalt senden sollten. Bei der großen Mehrheit unserer Mitglieder käme dies nicht gut an. Angemessen wäre es nur, wenn auf dem Profil des angeschriebenen Mitgliedes sofort erkennbar ist, dass solche ein Erstaustausch gewünscht wird.
Gespräche über Sex sollten beginnen, wenn beide Seiten aneinander interessiert und zum Austausch bereit sind.
Aber was tun, wenn sich ein Kontakt bereits vertieft und Sie unsicher sind, ob der Zeitpunkt bereits gekommen ist? Hier mag die einfache, offene und direkte Frage helfen: “Wollen wir miteinander sprechen über unser sexuelles Erleben?”
Bei Gleichklang läuft ein Algorithmus, der bei der Vermittlung von vornherein in vielen Merkmalen des sexellen Erlebens und der sexuellen Orientierung eine gute Grundpassung ermöglicht. Dies ersetzt aber nicht das offene Gespräch, sondern ist eine Basis, an die Sie anknüpfen und die Sie ausbauen können.
Sexualität und Pandemie
Hat all dies überhaupt Sinn in Zeiten von Pandemie und Lockdown?
Unbedingt.
In Zeiten der Pandemie ist Sex nicht weniger wichtig als sonst. Die Häufigkeit von gemeinsamen Sex bei denjenigen, die zusammen leben, steigt im Durchschnitt an. Aber Häufigkeit macht noch keine Offenheit. Allzu schnell setzen sich alte Muster fort.
Für diejenigen, die keinen Partner haben, kann ein vertieftes Kennenlernen auch ohne direkte Treffen bereits vorher beginnen, zumal Telefon und Video-Chat hierfür wichtige Dienste leisten.
So schaffen Sie gleichzeitig die besten Voraussetzungen, mögliche Blockaden aufzulösen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen und die Beziehung bei den ersten Begegnungen in der Zukunft auch sexuell unter einem guten Stern beginnen zu lassen.