Partnerfindung und Alter
Aktuell lese ich eine Reihe von Studien und Bücher über Liebe und Partnersuche im Alter. Dies Thema wird daher den Schwerpunkt der nächsten zwei oder drei Blog-Artikel bilden.
Immer wenn es um Menschen mit bestimmten Merkmalen oder in besonderen Lebenssituationen geht, erweitert dies den Horizont von allen.
Beim höheren Lebensalter kommt hinzu, dass wir alle es persönlich bereits kennen oder kennenlernen werden, ob heute oder morgen, es sei denn wir versterben jung.
Dieser Artikel zu Liebe und Partnersuche im Alter ist also für alle gedacht, ob jung oder alt.
Studie: Neue Beziehungen im höheren Lebensalter
Ich beginne mit einer Untersuchung von Su-Fei Huang et al. (2019). Die Autor:innen haben nach meiner Einschätzung auf eine sehr individuelle und gleichzeitig tiefgreifende Art und Weise die Motive, Ziele, Beziehungsmodelle und Befürchtungen bezüglich einer Partnersuche im höheren Lebensalter herausarbeitet und deren Einbettung in soziale Bezüge beleuchtet.
Vorgehen
Die Autor:innen ließen zunächst die Betreffenden selbst zu Wort kommen. In orientierenden, Ideen gebenden Interviews mit sechs Frauen und vier Männern aus Taiwan, die im höheren Alter eine (neue) Beziehung fanden, stellten sie diesen folgende Fragen:
- Wie haben Sie und Ihr Partner sich kennengelernt?
- Warum haben Sie ihn (sie) als Ihren Partner gewählt?
- Wie interagieren Sie miteinander?
- Wie hat diese Partnerschaft Ihren Alltag beeinflusst?
- Sind Sie während Ihrer Beziehung auf Hindernisse gestoßen?
- Wie sehen Sie die Zukunft dieser Beziehung?
Aus der Inhaltsanalyse der transkribierten Interviews wurden 40 grundlegende Statements herausgearbeitet, die sich auf die Gründe für eine neue Beziehung (z.B. Vermeidung von Einsamkeit), die Modalitäten der Entstehung der Beziehung (z.B. von Bekanntschaft zu Beziehung), die Nachhaltigkeit der Beziehung (z.B. Gefühle der Verbundenheit) oder auch die Einflüsse anderer Personen und der eigenen Haltungen (z.B. Einfluss von eigenen Kindern, Einstellung zu Heirat und Ehe) bezogen.
Diese 40 Statements wurden nunmehr 49 älteren Personen, die alle im höheren Lebensalter eine neue Beziehung begonnen hatten, zur Sortierung nach Wichtigkeit auf der Basis ihrer eigenen Erfahrungen vorgegeben. Unter den Teilnehmenden waren 27 Frauen und 22 Männer mit einem Durchschnittsalter von 74 Jahren. 59% der Befragten waren verwitwet und 41% waren geschieden.
Nachdem alle 40 Statements durch die 49 Teilnehmenden vollständig sortiert waren, wurden die resultierenden 49 Personen-Profile miteinander korreliert und durch ein statistisches Verfahren (Faktorenanalyse) auf fünf Grunddimensionen reduziert.
Generalisierbarkeit
Vielleicht mögen manche Leser:innen die Frage nach der Generalisierbarkeit der Befunde stellen, wo die Befragten doch aus Taiwan kamen.
Die kurze Antwort lautet, dass trotz mancher Mittelwertunterschiede zwischen Kulturen vergleichbare psychische Muster in allen Kulturen, Sprachen und Religionsräumen vorliegen.
Mittelwert-Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen sind tatsächlich nach vorliegenden Studien viel weniger bedeutsam als die Unterschiede innerhalb einer Kultur:
In seinem Artikel “Cultural Differences? Or, are we really that different?” gelangt Gregorio Billikopf zu der Feststellung:
- Differences between people within any given nation or culture are much greater than differences between groups. [Die Unterschiede zwischen den Menschen innerhalb einer bestimmten Nation oder Kultur sind viel größer als die Unterschiede zwischen den Gruppen.]
Auch 20 Jahre später ist diese Erkenntnis nach wie gültig:
So zeigte kürzlich eine großangelegte kulturvergleichende Studie zum Verhalten von Menschen in Familien, dass der größte Teil der Unterschiede nicht zwischen den verschiedenen Kulturen bestand, sondern innerhalb der Mitglieder der gleichen Kultur auftrat.
Ergebnisse: Beziehungen mit Beginn im höheren Lebensalter
Im folgenden werde ich die fünf durch Su-Fei Huang et al identifizierten Grunddimensionen als eine Art Typologie im höheren Lebensalter entstandener Beziehungen vorstellen:
- Gemeinsame Geselligkeit als Paar: Im Vordergrund für diese Befragten stand das Streben nach einem Paar-Bezug für gemeinsame Geselligkeit und Interessen. Präferiert wurden für den Aufbau der Beziehungen Personen, die bereits zum Bekanntenkreis gehörten oder in der Nähe lebten. Es ging darum, das Gefühl der Verbundenheit zu genießen. Körperlich-sexuellen Aspekten wurde ein eher nur geringes Gewicht zugewiesen. Auch interpersonelle Einflüsse von eigenen Kindern oder Verwandten wurden kaum beschrieben. Die Betreffenden legten Wert darauf, dass Beziehungspartner:innen vor Beginn der Partnerschaft Single waren, wobei aber kein ausgeprägter Heiratswunsch bestand.
- Feste Bindung und Fürsorge: Diese Teilnehmenden stellten den Wunsch nach einer festen und dauerhaften Beziehung mit wechselseitiger Fürsorge in den Vordergrund ihrer Partnersuche. Diese Gruppe war am meisten (aber nicht zwingend) aufgeschlossen für eine neue Heirat und wies gleichzeitig sexuell-körperlichem Erleben die geringste Bedeutung zu. Während Dauerhaftigkeit und Fürsorge zentral waren, ging es – trotz der Heiratsbereitschaft – weniger um hochfrequente Begegnungen – so wurden täglichen Treffen nur ein geringes Gewicht zugewiesen. Die Betreffenden legten aber Wert darauf, die gemeinsame finanzielle Situation, gesundheitliche und auch religiöse Aspekte mit bei der Partnerfindung einzubeziehen, wobei sie sich von den möglichen Einflüssen von Kindern und Verwandten klar abgrenzten.
- Sexuell-romantische Begegnung: Die Befragten betonten besonders stark den Unterschied zwischen familiären Beziehungen und einer Partnerschaft. Sie legten großen Wert auf Sexualität und Zärtlichkeit (Küssen, Hand in Hand gehen). Sie sahen Partnerschaft als den besten Weg an, Einsamkeit zu überwinden und das Leben gemeinsam zu genießen. Sie legten keinen Wert darauf, Beziehungspartner:innen bereits vor dem Beginn einer Partnerschaft zu kennen, suchten diese nicht durch ihr soziales Umfeld und zeigten keinen Heiratswunsch. Sie ließen sich insgesamt in ihrem Partnerwunsch wenig durch das soziale Umfeld beeinflussen und zeigten – relativ zu den anderen Gruppen – die höchste Bereitschaft auch für eine Beziehung mit einer Person, die nicht Single war.
- Umfeldabhängig und ambivalent: Auch diese Teilnehmenden wollten durch Partnerschaft Einsamkeit überwinden und fürchteten die Langeweile des Single-Daseins. Allerdings zeigten sie sich stark beeinflusst von Familie und Freundeskreis. Die Gründung einer Partnerschaft ging vor diesem Hintergrund mit Befürchtungen einher und wurde als Risiko erlebt, welches gut abgewogen werden sollte. Hierzu zählte auch die Berücksichtigung der wechselseitigen Gesundheit. Gerne wurde gesehen, wenn der Partner durch das soziale Umfeld vorgeschlagen wurde. Eine mit dem sozialen Umfeld weniger interferierende Fernbeziehung wurde erwogen.
- Bindung in wechselseitiger Unabhängigkeit: Die Befragten strebten eine klare Zweier-Beziehung zwischen zum Zeitpunkt des Kennenlernens partnerschaftlich ungebundenen Personen an. Größter Wert wurde gelegt auf die ökonomische und physische Unabhängigkeit. So wurde eine Teilung von Lebensunterhaltskosten abgelehnt, täglicher Kontakt wurde als nicht notwendig erachtet und auch der gemeinsamen Teilnahme an familiären Aktivitäten kam ein geringes Gewicht zu. Eher aufgeschlossen waren die Betreffenden aber dafür, durch die Partnerschaft auch ihr sonstigen soziales Netzwerk zu erweitern. Die Betreffenden legten Wert darauf, wechselseitige gesundheitliche und altersbezogene Aspekte bei der Partnerschaftsentscheidung zu berücksichtigen. Heirat wurde als Ziel eher abgelehnt. Sexuelle Befriedigung spielte eine geringere Rolle als die Pflege gemeinsamer Hobbys und Interessen.
Gemeinsamkeit aller Paare
Die Betrachtung der Unterschiedlichkeit der Modelle möchte ich nun ergänzen durch die Aspekte, die diese 49 im höheren Lebensalter entstandenen Partnerschaften miteinander verband:
- gemeinsame Interessen und Hobbys pflegen
- gegenseitiger Kameradschaft genießen
- normales und greifbares Leben führen
Wie auch immer Partnerschaft gesehen wurde, welche Rolle Erotik, Körperlichkeit, räumliche Entfernung, Kontakthäufigkeit, Unabhängigkeit oder das eigene soziale Bezugsfeld auch spielen mochten, so ging es doch bei allen darum, als Paar gemeinsamen Interessen nachzugehen, Abwechslung und Sinn zu erleben, ein Gefühl der aufeinander Bezogenheit und Kameradschaftlichkeit aufzubauen und auf dieser Basis gemeinsam einem lebenswerten Leben nachzugehen.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, den – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – alle bejahten:
- die gegenseitige Gesundheit berücksichtigen
Mit wachsendem Alter werden Themen der Gesundheit und des Managements möglicher Beeinträchtigungen sichtbarer und relevanter. Offensichtlich kann Gesundheit in die Gestaltungsart und Gestaltbarkeit partnerschaftlicher Beziehungen eingreifen.
So wundert es nicht und ist wohl eher als ein Ausdruck von Realismus auf allen Ebenen der Beziehungsmodelle im Alter zu bewerten, dass das Thema Gesundheit im höheren Lebensalter offenbar allgemein eine Rolle spielt – wobei nachvollziehbarer Weise zwei Gruppen diesem Faktor ein besonders hohes Gewicht zuweisen:
- die Ambivalenten und die diejenigen, bei denen Unabhängigkeit mit an vorderster Stelle steht.
Einordnende Überlegungen
Gemeinsame Betätigung, Verbundenheit, Kameradschaft und ein lebenswertes Leben wünschen sich alle, die nach Beziehung suchen.
Ich denke, wir können diesen Befund ohne Bedenken auf partnerschaftliche Beziehungen insgesamt generalisieren. Können diese Anforderungen eingelöst werden, ist der Kitt vorhanden, der jede Beziehung erhalten kann.
Mit wachsendem Alter treten Themen der Gesundheit und Mobilität hinzu und damit Themen, die manche Menschen früher, manche sogar bereits seit Anbeginn und manche erst später als für sich relevant erleben.
Wegschauen ist meistens der schlechteste Weg. Schauen wir hin, lässt sich fast alles, was ist, in einem besseren Weg gestalten als wir es gerade tun.
Ein Zugang hierzu kann sein, anstatt des Bestehens auf perfekter Gesundheit, gemeinsam nach Kompensations- und Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen. Zum Glück werden in einer alternden Gesellschaft zunehmend auch institutionell Management- und Unterstützungsmöglichkeiten geboten, auf die auch Paare zurückgreifen können und die eine erfüllende gemeinsame Lebensgestaltung ermöglichen.
Die Vorstellung, ältere Menschen brauchen keinen Sex mehr, ist falsch, jedenfalls eine starke Verkürzung.
Richtig ist, dass für eine Reihe von Menschen mit dem Alter die Bedeutsamkeit von Sexualität nachlässt und sie andere Werte partnerschaftlich in den Vordergrund stellen.
Aber manche ältere Menschen erleben Sex und körperliche Zärtlichkeit weiterhin oder sogar erstmals als Motor ihrer Beziehung. Bei ihnen tragen Sex und Zärtlichkeit maßgeblich mit zu dem angestrebten lebenswerten Leben bei.
Sex ist im Übrigen mehr als Geschlechtsverkehr und im Zeitalter von Viagra hat die erektile Potenz auch älterer Männer ohnehin enorm zugenommen.
Das Thema der Unabhängigkeit ist ein universales Thema und doch scheint mir hier ein Alterseffekt im Sinne eines Lernen durch Verstetigung wahrscheinlich:
- Menschen im höheren Lebensalter haben Dinge bereits aufgebaut und verstetigt, an denen andere noch arbeiten. Sie haben zudem mehr Zeit verbracht als jüngere Menschen in einer noch rigider durch Geschlechtsrollenerwartungen und Einschränkungen geprägten Gesellschaft.
- So mögen sie nicht mehr in Frage stellen wollen, was sie sich aufgebaut haben, sondern zu einem Standpunkt gelangen, der Unabhängigkeit besonders schätzt. Auf reifer und wechselseitiger Basis steht Unabhängigkeit einer tiefen Liebe nicht im Wege.
Ich möchte den in der aktuellen Studie bei der Gruppe der Umfeldabhängigen und Ambivalenten womöglich als negativ erscheinenden Aspekt der Beteiligung des sozialen Umfeld an Partnerwahl und Beziehungsaufbau weiter qualifizieren:
- Sachlage ist, dass gerade bei Singles im höheren Lebensalter das Netz von Familienbeziehungen und/oder Freundschaften eine überaus zentrale Rolle für die Lebensfreude der Beteiligten spielen kann. Da ist es eine völlig natürliche, naheliegende und nach meiner Einschätzung legitime Frage, ob eine neue Beziehung hiermit negativ interferieren und womöglich sogar die Lebensfreude reduzieren könnte.
- Dies wiederum lässt es als naheliegend erscheinen, die Menschen im eigenen Umfeld mit einzubeziehen, um bei Partnerfindung und Beziehungsaufbau Risiken einer Beeinträchtigung der bereits bewährten eigenen sozialen Bezüge möglichst zu mindern.
- Bedenklich wird dies nur dann, wenn das soziale Umfeld durch egozentrische Motive (z.B. Sorge um das Erbe) oder durch womöglich gut gemeinte, aber tatsächlich altersdiskriminierende Schutzmotive geleitet wird und sich so den Beziehungswünschen älterer Menschen entgegenstellt.
Kompatibilität als Basis der Partnerfindung
Erkennbar wird aus den Befunden von Huang et al. (2019) nach meiner Ansicht erneut die große Bedeutung der Kompatibilität der Partnerschafts-Modelle für die Partnersuche:
- Sicherlich kann vieles auch noch einmal in Frage gestellt, reflektiert oder verändert werden, aber warum sollten zwei Menschen – wenn nichts anderes sie klar in diese Richtung bahnt – es unbedingt miteinander versuchen wollen, wenn die eine Person keinen Wert auf Sexualität, dafür aber auf feste Bindung, Heirat und Fürsorge legt und die andere Person eine Heirat eher ausschließt und nach romantisch-zärtlicher Sexualität mit einer Person strebt, die gegebenfalls nicht einmal Single zu sein braucht?
Der Begriff Partnerwahl hat einen verdinglichenden Beigeschmack:
- Wir begeben uns auf einen Partnermarkt, schauen uns Präsentationen an, präsentieren uns selbst, bewerten nach Gütekriterien, wählen aus und werden ausgewählt.
Viele finden dies durchaus unproblematisch oder sehen es sogar positiv:
“Wie viele Männer im Alter von 53 – 62 in Tübingen habt ihr“, solche Anfragen erreichen uns durchaus regelmäßig und sind offensichtlich als Vorabkalkulation unseres Angebotes und der daraus abgeleiteten eigenen Chancen zu betrachten. Diese werden dann wahrscheinlich in Bezug zur Höhe der Jahres-Gebühr gesetzt, um so entscheiden zu können, ob sich Gleichklang lohnt.
Der Begriff der Partnerfindung ist passender als der Begriff der Partnerwahl:
- Ist es das Ziel der nachfragenden Interessentin aus Tübingen, möglichst viele Kandidaten in Tübingen präsentiert zu bekommen, aus denen sie dann für welche Zwecke auch immer auswählen kann, dann sind Ihre Chancen bei Gleichklang denkbar schlecht – zumal ja durch unseren Algorithmus die Anzahl der vorgeschlagenen Profile reduziert und gerade nicht erhöht wird, auch indem Personen mit gegensätzlichen Suchmotiven eben nicht einander vorgeschlagen werden.
- Ist es aber das Ziel der nachfragenden Interessentin, dass Sie eines Tages bei uns auf einen anderen Menschen treffen wird, mit dem eine Beziehung entsteht, sind ihre Chancen gut.
Es geht also um Partnerfindung, die paradoxerweise genau dann am ehesten gelingt, wenn der Marktcharakter nicht forciert, sondern zurückgedrängt wird.
Ich komme auf die Thematik der Partnersuche im höheren Lebensalter zurück. Die Metapher von Angebot und Nachfrage löst hier vielfach eine verkürzte quantitative Abschätzung aus:
“Habe ich mit 73 Jahren überhaupt noch eine Chance bei Euch?” – solche Anfragen sind markttechnisch richtig gedacht:
- Die Anzahl der Mitglieder nimmt ab 65 ab, was sich mit 70 beschleunigt fortsetzt und Mitglieder, die älter als 80 sind, sind äußerst selten – das älteste aktuelle Gleichklang-Mitglied ist 89 Jahre alt.
- Mit wachsendem Alter nimmt die Vorschlaganzahl ab, die Wartedauer auf Vorschläge nimmt zu und immer nur sehr gelegentlich wird noch einmal ein Vorschlag erfolgen.
Ganz anders sieht es aber bei den Vermittlungsraten aus, die wir vor einiger Zeit noch einmal umfassend ausgewertet haben:
- Altersgruppe 70 – 79 Jahre: 33 % fanden eine Beziehung, wenn sie mindestens ein Jahr nicht aufgegeben hatten. 61 % fanden eine Beziehung, wenn sie mindestens zwei Jahre nicht aufgegeben hatten. 73 % fanden eine Beziehung, wenn sie mindestens drei Jahre nicht aufgegeben hatten.
- Altersgruppe älter als 80 Jahre: 28 % fanden eine Beziehung, wenn sie mindestens ein Jahr nicht aufgegeben hatten. 62 % fanden eine Beziehung, wenn sie mindestens zwei Jahre nicht aufgegeben hatten. 80 % fanden eine Beziehung, wenn sie mindestens drei Jahre nicht aufgegeben hatten.
Der Irrtum liegt also in der durch die Angebots-Nachfrage-Metapher ausgelösten Fehlkalkulation, dass durch “mehr Mitglieder” erzeugte “mehr Vorschläge” eine bessere Vermittlungschance bedeuten. Bis zu den “mehr Vorschlägen” ist die Kalkulation folgerichtig, der Fehlschluss ist, dass daraus “mehr Chancen” resultieren würden. Dies ist nicht der Fall.
Wie erklärt sich dies?
- Partnersuche erfordert nicht viele Auswahlen, sondern besteht in dem Finden eines einzelnen Menschen. Je größer die Auswahl, desto eher mag dieser Mensch sogar übersehen werden.
- Wäre es anders, die Dating-Apps mit ihren Milliarden Nutzer:innen hätten schon fast jeden Single zum Partnerglück geführt. In Wirklichkeit unterhalten die Dating-Apps ihre Nutzer:innen nur mit viel Auswahl und die meisten bleiben partnerlos.
- Die “Auswahl” ist bei älteren Personen geringer, aber die Findung der einen Person genauso wahrscheinlich. Der einzige Unterschied ist also, dass ältere Menschen im Durchschnitt “aus sehr viel weniger Vorschlägen mehr machen”, also die Erfolgschance eines einzelnen Vorschlages bei älteren Menschen bei weitem höher ist als bei jüngeren Personen.
Hier können die Jüngeren lernen. Es gibt nämlich keinen Grund anzunehmen, dass sie unbedingt mehr Vorschläge bräuchten, um eine Beziehung zu finden.
Vielmehr – und genau das sehen wir im Mitglieder-Support jeden Tag – unterschätzen sie das Potenzial eines einzelnen Vorschlages und lassen Vorschläge einfach liegen.
Passende Beziehungspartner:innen, mit denen ein echtes Beziehungsglück entstehen würde, mögen längst vorgeschlagen worden sein, aber der Kontakt ist wegen beidseitigem Liegenlassen nicht zustande gekommen.
Resümee
Die Untersuchung von Su-Fei Huang et al. (2019) ermöglicht uns einen Einblick in die Einheitlichkeit und die Vielgestaltigkeit von Partnersuche und Beziehungsaufbau im höheren Lebensalter und wohl noch viel allgemeiner in partnerschaftliche Beziehungen überhaupt.
Auf der Basis von gemeinsamer Betätigung, Kameradschaft und einer lebenswerten Alltagsgestaltung können Menschen im höheren Lebensalter verschiedene Formen von Paar-Beziehungen begründen, die den Einstellungen und der Lebenssituation der Betreffenden gerecht werden.
Dabei erweisen sich so manche Ansichten über das Alter als Vorurteile, wie die Meinung, mit wachsendem Alter nehme die Bedeutsamkeit der Sexualität ab. Dies kann so sein, muss es aber nicht.
Mit wachsendem Alter spielt das Thema der Gesundheit allerdings wohl tatsächlich oft eine stärkere Rolle, aber auch hier unterscheiden sich die Individuen in dem Ausmaß der Bedeutsamkeit, welche sie diesem Thema zuweisen. Zudem gibt es natürlich auch jüngere Menschen, für die dieses Thema ebenso relevant ist.
Allgemeine Charakterisierungen für Beziehungen im höheren Lebensalter können nicht gegeben werden. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, wie hoch der Wunsch nach Unabhängigkeit ist, welcher Wert auf Sex gelegt wird, welche Rolle Familienangehörige und soziales Umfeld spielen sollen, ob eine Heirat erwogen wird, ob tägliche Treffen angestrebt werden oder ob lieber eine Beziehung auf Distanz mit gelegentlichen Begegnungen gesucht wird – um nur einige der Möglichkeiten kursorisch herauszugreifen.
Übergreifend wird aus den Befunden die Bedeutsamkeit der Kompatibilität für Partnerfindung und Beziehungsaufbau deutlich.
So sind die entscheidenden Schritte für partnersuchende Singles, sich klar zu werden über das eigene Beziehungsmodell und eine Suche in die Wege zu leiten, um eine hiermit kompatible Person zu finden.
Mit dem Eintritt in die Phase des Beziehungsaufbaus tritt schließlich die Beziehungsarbeit als eine niemals endende Anforderung hinzu, um durch fortwährende Bemühung um kompatibles Erleben eine hohe Beziehungsqualität zu erreichen und zu erhalten.