Was bewirken Konflikte in Beziehungen?
Gotmann und Krokoff gelangten im Jahr 1989 in zwei Studien zu folgender überraschenden Beobachtung:
- Direktes Konfliktverhalten mit negativem Emotionsausdruck zwischen Ehepartner:innen, wie Meinungsverschiedenheiten, Kritik oder sogar Wutausbrüche wirkten sich negativ auf die gleichzeitig gemessene Beziehungszufriedenheit aus. Drei Jahre später zeigte sich jedoch, dass das Auftreten dieses direkten Konfliktverhaltens mit einer Verbesserung der Beziehungszufriedenheit einherging. Während das Konfliktverhalten also die Beziehungszufriedenheit zunächst während seines Auftretens verminderte, resultierte im Langzeitverlauf das Gegenteil.
Eine neuere Studie von Cohan und Bradbury (1997) gelangte ebenfalls zu einem vergleichbar überraschendem Befund:
- Durch Ehefrauen zum Ausdruck gebrachter Ärger (direkter Konflikt) über tatsächlich bestehende kritische Lebensereignisse/Belastungen ging im zeitlichen Verlauf mit einer abnehmenden Depressivität und einer Verbesserung ihrer erlebten Ehezufriedenheit einher. Umgekehrt war der in Anbetracht von Belastungen der Ehefrauen zum Ausdruck gebrachte Humor von Ehemännern mit einer verminderten Stabilität der partnerschaftlichen Beziehung (erhöhte Trennungsrate) zu einem späteren Zeitpunkt verbunden.
Die Befunde zeigten darüber hinaus, dass der durch Ehefrauen zum Ausdruck gebrachte Ärger offenbar dazu führte, dass wesentliche Unzufriedenheitsfaktoren angesprochen und verändert wurden.
Umgekehrt war der zum Ausdruck gebrachte Humor von Ehemännern bei vorliegenden Belastungen der Ehefrauen offenbar gerade nicht dazu geeignet, Verbesserungen zu erreichen. Das Übergehen von Belastungen von Beziehungspartner:innen durch Humor, mag kurzfristig eine Auseinandersetzung abmindern, aber langfristig leidet die Ehezufriedenheit.
So werden nun ebenfalls die Befunde aus der Studie von Gotman und Krokoff verständlich:
- Direktes Konfliktverhalten reduziert zwar zunächst die unmittelbare Beziehungszufriedenheit, aber letztlich mögen durch das Ansprechen von Konflikten die Voraussetzungen für eine Korrektur von Problemen geschaffen werden.
Es kann demnach festgehalten werden, dass die direkte Auseinandersetzung mit Ausdruck von Ärger und negativen Emotionen Beziehungen keineswegs schaden muss, sondern diese sogar verbessern kann.
Wie sind diese Befunde aber mit zahlreichen anderen Studien vereinbar, die aufzeigen, dass Beziehungen umso instabiler und unzufriedener sind, je stärker sie durch Konflikte geprägt sind?
In zwei Überblicksartikeln geben Overall und McNulty (2016) sowie McNulty (2016) hierauf eine Antwort, indem sie auf den entscheidenden Faktor des Kontexts hinweisen, der in vielen Studien gar nicht berücksichtigt worden war:
Das gleiche Verhalten – beispielsweise Ausdruck von Ärger bei Meinungsverschiedenheiten – mag in verschiedenen Situationen zu gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen führen.
- So mögen der Ausdruck von Ärger, Meinungsverschiedenheiten und ultimativen Veränderungsforderungen, ja sogar Wutausbrüche, eine günstige Auswirkung haben können, wenn tatsächlich ernsthafte Probleme vorliegen, die kooperativ bisher nicht gelöst werden konnten und an deren Lösung ein Beziehungspartner:in bisher kein Interesse zeigte. Der Ausdruck von Ärger mag hier ein Weckruf sein, der die Dringlichkeit des Problems deutlich macht und die Motivation erhöhen kann, nun doch eine Bereitschaft für die Lösung des Problems zu entwickeln. Wirksam kann ein solcher direkter Konflikt freilich nur dann sein, wenn die andere Person zur Lösung des Problems auch wirklich beitragen kann, es also in ihren Handlungsspielräumen liegt. Ist dies nicht der Fall, werden lediglich Hilflosigkeit, Resignation und mehr Unzufriedenheit erzeugt.
Ein Beispiel für einen in diesem Sinne sinnvollen, beziehungsförderlichen direkten Konflikt wäre die Situation, wo eine Person das ganze verdiente Geld für nicht notwendige Anschaffungen ausgibt und so zahlreiche notwendige Anschaffungen oder Ausgaben nicht getätigt werden können. Vorherige Versuche, durch Problemlösung, Vereinbarungen und Klärung zu einer Veränderung zu gelangen, waren gescheitert. Die andere Person zeigte kein Interesse, ihr Verhalten zu ändern. In dieser Situation kann der direkte Konflikt zu einer Bereitschaft führen, nun (wiederum kooperativ) an einer Veränderung zu arbeiten.
Ist die Person aber beispielsweise akut drogenabhängig, sollte die Forderung nicht darin bestehen, sofort alle Ausgaben für Substanzkonsum zu unterlassen (was die Person aufgrund der Krankheitswertigkeit nicht kann), sondern sich in Therapie zu begeben.
Nicht zielführend wäre der Konflikt wiederum, wenn er sich nicht auf die Forderung nach Änderung des Verhaltens bezöge, sondern allein auf den bereits eingetretenen Verlust, der jedoch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Komplett dysfunktional wäre zudem jedes direkte Konfliktverhalten bei vielen möglichen weiteren Themen, wie ungewollter Kinderlosigkeit, beruflichem Scheitern trotz Bemühung, Erkrankungen etc., da für die Betreffenden keine Möglichkeit für Verhaltensänderungen besteht. Bei solchen Themen verschlimmert der direkte Konflikt die Situation.
Konflikt und Kooperation
Overall und McNulty (2016) unterteilen Kommunikation über Probleme in vier verschiedene Typen, die sich wiederum aus der Kombination von zwei Faktoren ergeben:
Kommunikation über Probleme kann konflikthaft (oppositionell) oder kooperativ erfolgen. Beide Formen der Kommunikation können wiederum direkt oder indirekt vonstatten gehen:
Konflikt
- Direkter Konflikt: Kritik, Vorwürfe, zum Ausdruck gebrachte Wut, direkte und ggf. ultimative Forderungen, ein Verhalten zu verändern. Direkter Konflikt ist grundsätzlich mit einer negativen Emotionalität, meistens Ärger und Wut, verbunden. Das Problem wird direkt angesprochen, die emotionale Bedeutsamkeit wird klar zum Ausdruck gebracht und es wird dargestellt, wie die Lösung aus Sichtweise der vorbringenden Person aussehen sollte.
- Indirekter Konflikt: Vermittlung von Schuldgefühlen, allgemeiner Ausdruck von Unzufriedenheit, (strafender) Rückzug. Das Problem und die gewünschte Lösung werden nicht direkt angesprochen. Es wird eine negative Stimmungslage erzeugt. Dies ist typischerweise mit der Hoffnung verbunden, dass Beziehungspartner:innen das Problem erkennen und korrigieren, um die Stimmungslage wieder zu verbessern.
Kooperation
- Direkte Kooperation: Die explizite gemeinsame Suche nach Kompromissen und Problemlösungen, um eine bestehende Lebenssituation zu verbessern. Diese Suche geht ohne Ausdruck von Ärger, Vorwürfen, Kritik an der anderen Person oder ultimativen Forderungen vonstatten. Das Problem wird so nicht zum Konflikt, sondern seine Lösung oder Bewältigung wird als eine gemeinsame Aufgabe erlebt, die keinen Anlass zu Streit oder Auseinandersetzung bietet.
- Indirekte Kooperation: Das Problem und seine Lösung werden nicht direkt angesprochen, sondern es kommt zum Einsatz von positiver Zuwendung, Humor, Bestätigung oder Zärtlichkeit, um eine positive Stimmungsgrundlage zu schaffen. Dies kann mit der Hoffnung verbunden sein, dass durch die Schaffung einer positiven Stimmungslage indirekt auch die Motivation von Beziehungspartner:innen ansteigt, von negativem Verhalten Abstand zu nehmen und positive Veränderungen vorzunehmen.
Welche dieser vier Typen ist unter welchen Voraussetzungen zielführend?
- Die direkte Kooperation ist in der Regel erstrebenswert und am besten geeignet, zu Veränderungen zu gelangen und gleichzeitig die Beziehungszufriedenheit in der Gegenwart durch einen gemeinschaftlichen, positiven emotionalen Bezug wie auch in der Zukunft durch erreichte Problemlösungen zu sichern. Voraussetzung ist allerdings, dass alle Seiten bereit und interessiert sind, kooperativ an der Problemlösung zu arbeiten. Die direkte Kooperation verlangt zudem zeitliche Ressourcen und sollte sich daher ausschließlich auf relevante Probleme und Themen beziehen, da keine Möglichkeit besteht, den ganzen Tag an der direkten kooperativen Lösung aller möglichen Kleinigkeiten zu arbeiten. Die direkte Kooperation ist auch geeignet, wenn eine oder sogar beide Personen ein Problem nicht lösen können, wobei ein Resultat die Akzeptanz der Situation und ihre Bewältigung sein können.
- Der direkte Konflikt ist sinnvoll und notwendig, wenn bedeutsame Probleme vorliegen, deren Lösung durch eine Person verweigert wird. Im Ergebnis werden die Bedürfnisse einer Person nicht zur Kenntnis genommen und sie hat daher keine Chance, das von ihr als ernsthaft erlebte Problem zu lösen, wenn sie nicht den Konflikt eröffnet. Die Offenlegung des eigenen Ärgers und die klare Verdeutlichung der Forderung nach Veränderung kann ein wirksamer motivationaler Anreiz für die andere Person sein, eine Verhaltensänderung vorzunehmen und so in die Phase der direkten Kooperation einzutreten. Erkauft wird dieser mögliche positive Effekt mit einer unmittelbaren Verschlechterung der Stimmungslage, wodurch womöglich auch weitere Unzufriedenheiten und Probleme zur Sprache kommen, die zuvor keine Rolle spielten. Sofern aber das Problem durch die andere Person oder gemeinsam lösbar ist, bestehen Aussichten, nunmehr doch noch zu einer Lösung zu gelangen und dadurch eine nachhaltige Verbesserung zu erreichen. Übrigens muss es nicht immer nur eine Person sein, sondern es können ebenso beide Personen gleichzeitig sein, die den Eindruck haben, mit ihren Problemen nicht gesehen zu werden.
- Die indirekte Kooperation ist gut geeignet, um sofort die Stimmung und die Beziehungszufriedenheit zu verbessern. Durch Zuneigung, Humor, Bestätigung oder Zärtlichkeit wird eine Problemsituation emotional entspannt. Dies kann sehr sinnvoll und wirksam sein, wenn es sich nicht um größere Probleme handelt. Indem Beziehungspartner:innen mit Zuwendung und Humor auf kleinere Ärgernisse oder Unvollständigkeiten reagieren, lernen sie gleichzeitig, toleranter und gelassener zu werden, rigide Einstellungen und Forderungen aufzugeben und so zu einer positiveren und akzeptierenden Beziehungsgestaltung zu gelangen. Es lohnt sich nicht, sich über Kleinigkeiten zu streiten und auch direkte Klärungen und Problemlösungen können unnötig Ressourcen und Raum einnehmen, wenn ein Problem in Wirklichkeit so unwichtig ist, dass es durch ein paar wenige positive Worte oder Gesten bereits de facto außer Kraft gesetzt werden kann oder sich die eigene Bewertung verändert. In diesem Sinne kann indirekte Kooperation, die im Grunde nichts anderes bedeutet, als Negatives durch Positives zu neutralisieren, eine wichtige und positive Rolle spielen. Handelt es sich aber um echte Probleme, sind indirekt-kooperative Strategien nicht angebracht, weil sie indem sie die Stimmung verbessern und die Konfliktlage abmindern gleichzeitig die Motivation für grundlegende Veränderungen senken können. Dies passt sehr gut zum Befund von Cohan und Bradbury (1997), dass der Humor der Ehepartner nicht zur Verbesserung, sondern zur langfristigen Verschlechterung der Beziehungszufriedenheit der Ehefrauen führte, weil es tatsächliche Probleme gab, deren Behebung durch den Humor nicht gefördert, sondern behindert wurde.
- Strategien der indirekten Kooperation können übrigens auch eine Rolle bei der akuten Deeskalation von Konfliktsituationen und der Vermeidung oder Beendigung verbaler oder körperlicher Gewalttätigkeit spielen, wenn diese aufgrund ihrer Dynamik nicht durch direkten Konflikt oder Kooperation beendbar sein sollten. Tritt eine solche Konstellation ein, ist dies allerdings eine rote Flagge dafür, dass entweder – je nach individueller Konstellation – eine grundlegende Veränderung – beispielsweise im Rahmen einer Therapie des Aggressors oder einer Paartherapie indiziert ist – oder eine Abgrenzung im Sinne einer Beendigung der Beziehung erfolgen sollte. Wird nämlich indirekte Kooperation zur Deeskalation von Aggression ohne nachfolgende grundlegende Klärung und Veränderung eingesetzt, besteht die Gefahr der Entstehung einer toxisch-gewalttätigen Beziehung mit einem ungleichen Machtgefälle.
Wie aber ist die Bewertung von indirektem Konfliktverhalten im Sinne der Erzeugung von Schuldgefühlen, des Rückzugs oder der passiven Verweigerung?
- Die Induktion von Schuldgefühlen kann im positiven Fall zu einer vermehrten Zuwendung durch Beziehungspartner:innen und Versuchen durch diese führen, die Quelle der Unzufriedenheit abzustellen. Dadurch können durchaus Verhaltensänderungen angeregt werden. Der indirekte Zugang beinhaltet allerdings die Gefahr, dass das Problem verkannt wird und so eine Lösung nicht erfolgt. Missverständnisse können mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auftreten. Eine weitere Gefahr ist, dass Beziehungspartner:innen aufgrund der negativen Stimmungslage unzufriedener mit der Beziehung werden und sich dann – insbesondere, wenn es sich um vermeidende Personen handelt – vermehrt aus der Beziehung zurückziehen, so dass die Beziehungsunzufriedenheit weiter ansteigt.
- Typischerweise ist indirektes Konfliktverhalten als ungünstig zu bewerten, wobei es aber beispielsweise bei Kommunikationsdefiziten oder Persönlichkeitsproblemen Konstellationen geben kann, wo es Menschen nicht möglich ist, sich direkt auszudrücken und so nur über den Umweg des indirekten Konflikts eine Änderung erreichbar sein mag. So können Menschen aufgrund von tiefgreifender Selbstunsicherheit, Hemmungen oder Traumata nicht dazu in der Lage sein, Konfliktthemen anzusprechen, sodass zunächst bei mangelndem Erfolg kooperativer Strategien kaum ein Weg an indirekten Versuchen der Konfliktklärung vorbeiführt.
- Meistens ist dies jedoch mit Risiken verbunden und kann die Beziehungsqualität erheblich belasten, ohne dass es zu einer Lösung kommt. Insofern ist bei einer solchen Konstellation anzuraten, das notwendige Ansprechen von Problemen mit Hilfe von Freund:innen oder in einer Paarberatung anzugehen oder sich psychotherapeutische Hilfe zu suchen, um mehr Konfliktfertigkeiten und Selbstsicherheit zu erwerben.
Was folgt hieraus?
- Für alle ernsthaften Probleme, die gelöst werden sollten, ist die direkte Kooperation die als erstes zu wählende Strategie. Durch gemeinsame Problemlösung und Kompromissfindung ohne Vorwürfe, Ärger und Wut lassen sich bei wechselseitiger Bereitschaft die meisten Probleme lösen oder besser bewältigen, so dass akut die Beziehungszufriedenheit steigt und auch langfristig verbessert wird.
- Direkter Konflikt sollte reserviert werden für ernsthafte Probleme, die tatsächlich aufgrund einer Verweigerungshaltung von Beziehungspartner:innen nicht kooperativ gelöst werden können. Zielstellung des Konflikts ist nicht die maximale Eskalation, sondern die Schaffung einer Motivationsbasis, um erneut zum kooperativen Modus zurückkehren zu können. Liegt ein ernsthaftes Problem vor, welches veränderbar ist, aber sich eine Seite der Veränderung entzieht, kann durch einen direkten Konflikt eine Lösung und so trotz aktueller Belastung eine langfristige Verbesserung der Beziehungsstabilität und -qualität erreicht werden.
- Indirekte Kooperation durch Zuwendung, Bestätigung und Zärtlichkeit ist sehr gut geeignet, Belastungssituationen sofort zu entaktualisieren und sekundäre oder nebensächliche Unstimmigkeiten zu relativieren. Dadurch können wir lernen zu einer verinnerlichten Haltung mit mehr Toleranz, Akzeptanz und weniger Rigidität und Vorwürfigkeit zu gelangen, wodurch unsere Beziehungszufriedenheit verbessert werden kann. Liegen jedoch ernsthafte Probleme vor, deren Lösung erforderlich ist, bergen Strategien der indirekten Kooperation, die weder das Problem noch den Lösungsweg benennen, die Gefahr, dass auf eine Lösung von Problemen verzichtet wird oder gar negative Verhaltensmuster durch auf sie folgende Zuwendung verstärkt und gefestigt werden. Spätestens wenn indirekte Kooperation nicht zu einer Problemlösung führt, sollte daher zur Strategie der direkten Kooperation (Problembennungg und gemeinsame Lösungserarbeitung) oder, sofern diese scheitert, zum direkten Konflikt (Ausdruck der Meinungsverschiedenheit und Einfordern von Veränderung) übergegangen werden.
- Strategien der indirekten Konfliktführung mit Induktion von Schuldgefühlen, schlechter Stimmung und (strafendem) Rückzug sollten möglichst ganz vermieden und kontextabhängig durch kooperative Strategien oder direkten Konflikt ersetzt werden. Mangelt es an Selbstsicherheit und Konfliktfertigkeiten sollte der Fokus darauf liegen, assertive Verhaltenskompetenzen und Durchsetzungsfähigkeit, aber auch kooperative Problemlösung einzuüben und so zu einer positiven Veränderung der eigenen Person und der Beziehung zu gelangen.
Konflikt: Hilfreich oder schädlich?
Es wäre ein Irrtum, allgemein direktes Konfliktverhalten als beziehungsstabilisierende Verhaltensstrategie zu bewerten.
Nach wie vor zeigt der Forschungsstand mehrheitlich, dass die Konfliktbelastung in Beziehungen die Beziehungsstabilität und die Beziehungszufriedenheit im Durchschnitt schwächt. Dies zeigt sich beispielsweise sowohl für Frauen als auch für Männer in einer Meta-Analyse von Karney und Bradbury (1995) sowie in einer neueren Meta-Analyse von Woodin (2011).
Die Effekte sind allerdings nicht stark ausgeprägt, wahrscheinlich weil es auf den Kontext ankommt, ob Konflikte für eine individuelle Beziehung tatsächlich schädlich oder eben sogar hilfreich sind. Die Durchschnitts-Bildung über alle Situationen und Personen verdeckt hier eher das Ergebnis, als es ans Licht zu bringen.
Permanente Konflikte um Kleinigkeiten oder eskalierende Konflikte, die nicht zur Kooperation führen, sind sicher schädlich.
Konflikte, die in Veränderung und Kooperation münden, können aber hilfreich sein, wenn dadurch wichtige Probleme gelöst oder besser bewältigt werden.
Liegen jedoch solche ernsthaften Probleme gar nicht vor, sind Konflikte unnötig und stellen für eine Beziehung wiederum nur eine Belastung dar.
Die Beziehungsqualität verbessern Konflikte also nur, wenn alle drei Voraussetzungen gegeben sind:
- ernsthaftes Problem
- Kooperation wird verweigert
- Lösung ist möglich
Beziehungspartner:innen brauchen keine Konflikte auszutragen, wenn es gar keine ernsthaften Probleme gibt, bestehende Probleme objektiv nicht lösbar sind oder beide Beziehungspartner:innen zu einer kooperativen Lösung bereit sind.
Die Sachlage, dass insgesamt nach Forschungsbefunden (trotz der oben dargestellten anderslautenden Befunde) die Konfliktbelastung negativ mit der Beziehungsqualität korreliert, erklärt sich vermutlich schlichtweg damit, dass Beziehungen am glücklichsten sind, die gar nicht mit ernsthaften Problemen konfrontiert sind und/oder bei ernsthaften Problemen grundsätzlich auf kooperative Lösungsstrategien zurückgreifen.
Nur wenn ernsthafte Probleme bestehen und wenn diese kooperativ nicht lösbar sind, kann ein direkter Konflikt als Anreiz zur Lösung der Probleme zu einer Verbesserung führen.
Bei manchen Paaren scheint es jedoch umgekehrt eine regelrechte Konfliktsucht zu geben:
- Ohne hinreichend nachvollziehbaren Anlass und unter Umgehung von möglichen kooperativen Strategien wird immer wieder der Weg über eskalierende Konflikte gewählt. Hier scheint es die Aussöhnung – oft auch sexuell – nach extremer Belastung zu sein, die so positiv erlebt wird, dass sie die Konflikteskalation rückwirkend belohnt und dadurch für die Zukunft wahrscheinlicher macht.
- Beschrieben ist dies Muster beispielsweise bei On-Off-Beziehungen, die sich durch hochfrequente Trennungen und Wiederversöhnungen mit starken Schwankungen der Gefühlslagen im negativen und positiven Emotionsbereich kennzeichnen. Gelingt es im Verlauf nicht, an die Stelle der Konflikteskalation vermehrt kooperative und klärende Verhaltensmuster zu setzen, scheitern solche Beziehungen meistens eines Tages doch endgültig.
Der starke Konflikt-Fokus in der Beziehungs-Psychologie ist aus einer angewandten Perspektive verständlich. Schließlich kommen Paare meistens dann beispielsweise zu einer Paartherapie, wenn Konflikte bestehen.
Hier ist es dann vorrangig wesentlich, an angemessenen Strategien der Konfliktklärung zu arbeiten, die die Lösung des Konfliktes durch seine Rückführung in ein kooperatives, gemeinschaftliches Setting ermöglichen.
Paare können es aber vermeiden, in solch eine Situation überhaupt erst zu gelangen, wenn sie es sich zur expliziten Angewohnheit machen, miteinander zu reden, einander zu zu hören, immer wieder zu versuchen, sich wechselseitig zu verstehen und zu tragbaren Kompromissen zu gelangen.
Ebenso wichtig ist es, aus Kleinigkeiten keine Elefanten zu machen und gemeinsam an Gelassenheit und Akzeptanz zu arbeiten gegenüber den mehr oder weniger häufigen kleineren Störungen in Beziehungsleben und Alltag.
Kommt es jedoch zum direkten Konflikt, sollte auf beiden Seiten die Bereitschaft vorhanden sein, den Ausdruck von Ärger von Beziehungspartner:innen annehmen zu können und gemeinsam in ein kooperatives Modell zurückzufinden, sodass die Quelle des Ärgers durch Problemlösung und Kompromiss beseitigt werden kann.
Aber sind Beziehungen eigentlich tatsächlich in so hohem Ausmaß durch Konflikte gekennzeichnet, wie die riesige Literatur zu Konflikten in Beziehungen es implizieren mag?
Glücklicherweise nicht.
So gelangte beispielsweise eine Untersuchung von Paaren durch McGonagle et al. (1992) zu dem Ergebnis, dass 80 % der Stichprobe höchstens eine Meinungsverschiedenheiten oder weniger im Monat erlebten. 52 % gaben an, dass sie weniger als einmal im Monat eine Meinungsverschiedenheit erlebten. Befragungen und Tagebuchaufzeichnungen gelangten zu einem vergleichbaren Ergebnis.
In Beziehung zu gehen, muss also keineswegs bedeuten, in Konflikt zu gehen, auch wenn letzteres gelegentlich wohl in jeder Beziehung der Fall sein wird.
Das Ziel einer Beziehung ist es nicht, Konflikte zu vermeiden, aber auch nicht, Konflikte zu führen.
Wir begründen keine Partnerschaften, weil wir Konflikte führen wollen, sondern es sind gänzlich andere Faktoren von Kompatibilität, Attraktion und Gemeinsamkeit, warum sich Menschen entscheiden, miteinander zu leben. Insofern ist zu erwarten – alles andere gleichbleibend – dass Konflikte umso seltener sind, je stärker die Passung ist.
Die Notwendigkeit, sich mit dem Thema Konflikt auseinanderzusetzen, sollte uns also nicht von dem eigentlichen Ziel einer Beziehung ablenken, nämlich harmonisch und kooperativ miteinander umzugehen, Lebensziele zu entwickeln und die Beziehung als ein gemeinsames Lebensprojekt anzugehen.
Nur wenn es innerhalb einer solchen gegebenen Kompatibilität dennoch zu nicht durch kooperative Strategien unmittelbar lösbaren Problemen kommt, ist es für die Qualität und die Weiterentwicklung einer Beziehung entscheidend, wie mit Konflikten umgegangen wird.
Bei Offenheit und gemeinsamer Klärungsbereitschaft lassen sich die meisten größeren Probleme durch direkte Kooperation (Diskussion und Problemlösung ohne Vorwürfe oder Ausdruck von Ärger, Suche nach Kompromissen) lösen oder bewältigen.
Ausschließlich wenn ein größeres Problem entstanden ist und aus welchen Gründen auch immer (Missverständnis? Unachtsamkeit? gegenläufige Interessen?) Personen nicht zur Klärung über direkte Kooperation bereit sind, mag die Notwendigkeit entstehen, dies Problem im direkten Konflikt mit (gegebenenfalls wechselseitigem) Ausdruck von Ärger und Veränderungsforderungen zu klären, um letztlich zu einer kooperativen Herangehensweise zurückzufinden.
Bei kleineren Angelegenheiten ist es demgegenüber sinnvoller, krumm einmal gerade sein zu lassen und sich stattdessen um ein auch unmittelbar angenehmes Erleben durch wechselseitige Akzeptanz und Zuwendung zu bemühen.
In einer Beziehung mit hoher Beziehungsqualität mögen solche indirekten kooperativen Strategien tatsächlich zum Ziel führen, indem sich beide Seiten mehr bemühen, den Bedürfnissen der anderen Person gerecht zu werden. Ist dies wechselseitig der Fall, ist die Beziehung in Balance.
Basis von Liebe und Beziehungsstabilität
Liebe begründet sich und dauert fort wegen einer erlebten personalen Kompatibilität und Passung, aus der ein gemeinsames Leben in welcher Konstellation auch immer möglich wird.
Problemlösung wird notwendig, wenn Probleme oder Unstimmigkeiten auftreten und sie sollte sollte kooperativ erfolgen, wenn dies möglich ist.
Nur wenn (zunächst) die Grenze der kooperativen Lösbarkeit erreicht wird, kann ein direkter Konflikt helfen, zur Kooperation zurückzufinden und ein Problem zu lösen.
Wenn der direkte Konflikt durch klare Vereinbarungen und eine zugewandte Haltung quasi ritualisiert wird, können die Belastungen durch direkten Konflikt weiter gemindert und die Vorteile von direktem Konflikt und direkter Kooperation besser miteinander verbunden bzw. schneller zur Kooperation übergegangen werden.
Als psychologisch orientierte Vermittlung sind wir bei Gleichklang darauf ausgerichtet, die Möglichkeit für eine vorwiegend auf Kooperation beruhende Liebesbeziehung zu maximieren, indem wir die Wahrscheinlichkeit von schwerer lösbaren Werthaltungs-Konflikten minimieren.
Liegen tiefgreifende Differenzen in den Grundüberzeugungen vor, wie das Leben gelebt werden soll, sind nämlich Lösungen schwer möglich.
Weil Kooperation unter diesen Bedingungen oft nicht gelingt, resultieren Konflikte aus Überforderung oder ultima ratio, die jedoch meistens ebenfalls den Graben nicht überbrücken können. Kompatibilität der Werthaltungen bei der Partnerwahl hilft, solche schwer lösbaren Beziehungskomplikationen gar nicht erst entstehen zu lassen.
Auch wenn durch einen Abgleich der Werthaltungen bereits von Anfang an eine tragfähigere Basis für eine Beziehung geschaffen wird als wenn sich Menschen rein zufällig begegnen, liegt es im Verlauf der Beziehung doch an der Aktivität und Motivation der Beteiligten selbst, ein gemeinsames Lebensprojekt aufzubauen.
Zu einer erfolgreichen und dauerhaften Beziehung gehört die Fähigkeit und Bereitschaft, Barrieren gemeinsam wegzuräumen und dabei auf Kooperation zu setzen, ohne aber tatsächlich notwendige Konflikte zu vermeiden. Ebenso wichtig ist der Aufbau von Akzeptanz und Gelassenheit, um sicherzustellen, dass nicht kleingeistige Rigidität, sondern das gemeinsame Lebensprojekt im Zentrum der Beziehung steht.