Die Bewältigung von Trauer und Trennung und die Partnersuche
Außer Absolute Beginnern und den wenigen Glücklichen, deren erste Beziehung für immer hält, haben die meisten von uns bereits Partnerverlust erlebt. Dabei kann Partnerverlust in zwei Hauptformen eintreten:
- Trennung oder Verlust durch Tod (Verwitwung).
Eine weitere, sehr viel seltenere Form von Partnerverlust tritt ein, wenn eine Person verschollen bleibt.
- Was macht Partnerverlust mit uns, unserer seelischen und körperlichen Gesundheit, unserem Eindruck, unser eigenes Erleben gestalten und kontrollieren zu können, sowie unserer Suche nach einer neuen Beziehung?
- Unterscheiden sich dabei Verlust durch Tod und Trennung in ihren Auswirkungen?
- Gibt es psychologisch begründbare Empfehlungen, ob, wann und wie wir unsere Partnersuche nach Verlust starten sollten?
Diesen Fragen widme ich mich in meinem heutigen Artikel, wobei es erstaunlich wenig psychologische Forschungsartikel spezifisch zu den Zusammenhängen zwischen Partnerverlust und Partnersuche gibt. In den Kommentaren unterhalb des Artikels können Sie gerne Ihre eigenen Erfahrungen und Gedanken schildern, die den Artikel bereichern.
Im Folgenden stelle ich ein wenig fragmentarisch einige wichtige Befunde und Überlegungen vor, die ich sodann in einem Resümee miteinander zusammenbringe. Wer es kurz haben möchte, kann insofern auch direkt zum Resümee springen. Gerne können Sie sich auch an den Sprunglinks zu den Themen in der Gliederung orientieren – mithilfe von zurück-Links kommen Sie jeweils einfach zur Gliederung zurück:
Gliederung
- Auflösung einer Ehe
- Psychobiologie der Trauer
- Persönlichkeitswachstum nach Verlust
- Partnersuche als Mittel von Sinnfindung und Neuorientierung
- Zusammenfassung und Resümee
Emotionale Phasen der Auflösung einer Ehe
Basem Abbas Al Ubaidi befasste sich in einer qualitativen Analyse (The Psychological and Emotional Stages of Divorce) der vorliegenden Literatur und eigener Erfahrungen mit Betroffenen auswertenden Studie mit den psychologischen und emotionalen Stadien der Auflösung ehelicher Beziehungen.
Dabei identifizierte er 5 innerpsychische Phasen:
- Schuldzuweisungen und Ernüchterung: In dieser Phase geben sich die Partner:innen gegenseitig die Schuld für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Probleme. Die Initiator:innen der Trennung entwickeln negative Selbstbilder mit vager Unzufriedenheit, unterdrückter Wut, zunehmender Distanz, Angst und depressiven Stimmungslagen. Die Nicht-Initiator:innen erleben Unglauben, Verleugnung, Hilflosigkeit und Angst vor der unbekannten Zukunft.
- Trauer und Unzufriedenheit: Diese Phase ist geprägt von tiefem Schmerz, Gefühlen der Hoffnungslosigkeit, Überempfindlichkeit gegenüber Kommentaren, Konzentrationsschwierigkeiten und oft auch, wenn Kinder da sind, den Umstellungen der elterlichen Rolle, was mit weiteren Verlusten verbunden sein kann.
- Wut und Groll: Hier dominieren Gefühle des Verrats und der Wut gegenüber den ehemaligen Partner:innen. Hinter dieser Wut verbergen sich oft Ängste und Unsicherheiten bezüglich der Zukunft, Finanzen oder auch der Möglichkeit, eine neue Beziehung zu finden.
- Alleinsein und Entscheidungsfindung: In dieser Phase erleben Individuen ein Gefühl der Freiheit von den Zwängen der vorherigen Beziehung. Sie probieren neue Erfahrungen aus, treffen eigenständige Entscheidungen und beginnen, Vertrauen und Selbstbewusstsein wieder aufzubauen.
- Neuanfang und Umsetzung der Entscheidung: Dies ist die Phase der emotionalen Trennung, in der die Betreffenden die Kontrolle über ihr Leben zurückgewinnen, langfristige Pläne schmieden und das Ende der Beziehung akzeptieren, um einen Neuanfang zu ermöglichen.
Deutlich wird aus der Analyse von Basem Abbas Al Ubaidi, dass die Auflösung einer ehelichen Beziehung oft ein komplexer und mehrstufiger emotionaler Übergang ist.
Diese Phasenanalyse der Ehescheidung erinnert an Phasen, die für den Trauerprozess nach Verlust von Partner:innen durch Tod postuliert werden. In meinem Buch „A Perfect Match: Online-Partnersuche aus psychologischer Sicht“ habe ich die Überlegungen hierzu von Verena Kastner dargestellt:
- Schockzustand: Leugnen, nicht wahrhaben wollen.
- Intensiv aufbrechende Emotionen: Trauer, Schmerz, Einsamkeit, Angst, Zorn und Wut prägen. Emotional-geistige Einengung, geringe Offenheit für neue Wege.
- Trauerarbeit: Suchen, Finden und Loslassen, Beginn der Aussöhnung mit dem Verlust.
- Neuorientierung: Der Verlust ist akzeptiert, eine Neuorientierung ist erreicht.
Natürlich gibt es bei dem Verlust durch Tod nicht die Unterscheidung zwischen Initiator:innen und Nicht-Initiator:innen. Das Erleben der Nicht-Initiator:innen bei Trennungen ist dabei dem Erleben derjenigen, die jemanden durch Tod verlieren, ähnlicher als das Erleben der Initiator:innen bei Trennungen.
- Die Schockphase entspricht der ersten Phase, in der nach Al Ubaidi auch bei Trennungen Unglauben und Verleugnung auftreten.
- Die Phase der intensiv aufbrechenden Emotionen bei Trauer gliedert sich bei Al Ubaidi in die zwei Phasen der Unzufriedenheit und Trauer sowie von Wut und Groll.
- Die Trauerarbeit weist Parallelitäten zur Phase des Alleinseins und der Entscheidungsfindung nach Trennungen auf.
- Schließlich ist beiden Modellen eine Phase der erreichten Neuorientierung gemeinsam.
Solche Phasenmodelle sind immer eine Vereinfachung. In Wirklichkeit folgen Prozesse der Trauer und Ablösung nicht strikt linearen und nacheinander ablaufenden Stufen. Die Verarbeitung endet auch nicht quasi für immer mit einer Neuorientierung. Vielmehr erfolgt die Verarbeitung oft in Wellen und es sind Vor- und Rückschwankungen, Sprünge und Rücksprünge möglich.
Trotzdem sind solche Phasenmodelle oft hilfreich, weil sie uns mögliche Verarbeitungsweisen aufzeigen, wir uns vielfach wiedererkennen und uns dadurch diese Modelle gleichzeitig den Anreiz geben können, uns um eine Neuorientierung zu bemühen. Auch machen uns die Modelle sehr eindringlich deutlich, dass es nicht darum gehen sollte, Trauer und Verlust wegzudrücken, sondern uns mit ihnen auseinanderzusetzen, um zu einer Verarbeitung und letztlich einem Wachstum zu gelangen, welches uns wieder neue Wege öffnet.
Aber auch für den richtigen Zeitpunkt der Suche nach einer neuen Beziehung können uns diese Phasenmodelle wertvolle Hinweise geben: So ist eine positive Partnersuche schwer möglich, wenn wir uns in emotional-geistigen Zuständen von Unglauben oder Schock befinden. Aber auch wenn wir weiterhin in einem Zustand der aufgewühlten Emotionalität mit massiven Gefühlen von Trauer, Wut oder Angst befinden, besteht das Risiko, dass wir uns zu früh auf eine neue Beziehung einlassen, um den Schmerz zu betäuben. Dies kann zu einer ungünstigen Beziehungsentscheidung führen.
Wir brauchen aber auch nicht mit der Partnersuche warten, nur weil wir weiterhin emotional auf Trennung oder Verlust durch Tod reagieren. Denn solche eine Emotionalität mag uns sogar lebenslang begleiten. Wenn sie aber nicht allumfassend, destabilisierend, uns einengend und uns keinen Raum für Neues gebend ist, kann eine gesunde und produktive Partnersuche beginnen, die im Übrigen dann auch ihrerseits die Neuorientierung komplett machen kann. Es gibt also keine allgemeine Grundregel oder gar Zahl dafür, wann wir mit einer Partnersuche nach Partnerverlust beginnen können:
- Für manche kann dies sehr schnell der Fall sein, insbesondere, wenn die Trennung womöglich bereits lange explizit vorbereitet wurde oder in Wirklichkeit bereits wahrnehmbar am Werden war.
- Andere brauchen länger, bis sie sich für eine neue Beziehung öffnen können.
- Manche entscheiden sich, dass für sie das Kapitel Beziehung abgeschlossen ist. Auch dies kann eine nachvollziehbare und werthaltige Entscheidung sein, wenn sodann andere Prioritäten und Sinngeber in das Leben eintreten.
Letztlich ist für Sie der Zeitpunkt einer möglichen neuen Partnersuche gekommen, wenn Sie den Wunsch nach einer neuen Beziehung verspüren und wahrnehmen, dass Sie bereit und in der Lage sind, sich auf einen neuen Menschen einzulassen.
Psychobiologie der Trauer
Wie sicher bereits deutlich geworden, ist Trauer ein fundamentaler Zustand, der tiefgreifend in unser innerpsychisches Erleben eingreift. Jutta M. Wolf, George M. Slavich und Margaret E. Kemeny haben hierzu eine umfassende Überblicksarbeit vorgelegt.
Sie zeigen auf, dass der Verlust von Partner:innen zu den stressreichsten Lebensereignissen gehört. Die Autor:innen gelangen in ihrer Literaturübersicht u. a. zu den Ergebnissen, dass Trauer Entzündungswerte erhöhen und die Immunreaktion stören kann. Trauer kann auch in die Darmflora eingreifen und aufgrund des chronischen Stresses den biologischen Alterungsprozess beschleunigen. Durch Trauer wird das Risiko für psychische und physische Gesundheitsprobleme erhöht, insbesondere in den ersten Monaten nach dem Verlust, wobei dies u.a. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, entzündungsbedingte Krankheiten und Krebs betrifft.
Um negative Folgewirkungen zu vermeiden oder zu begrenzen, betonen die Autoren achtsamkeitsbasierte Techniken, um Stress zu reduzieren, die Aktivierung von sozialer Unterstützung, um das Risiko von Depressionen zu mindern und die Etablierung eines gesunden Lebensstiles (Ernährung, Bewegung, Schlaf). Wenn wir so der Trauer begegnen, schaffen wir gleichzeitig eine gute Grundlage, um diese Ressourcen in eine neue Beziehung einzubringen.
Persönlichkeitswachstum nach Verlust
Eva Asselmann und Jule Specht beschäftigen sich mit den Möglichkeiten, durch Trauer und Verlust zu wachsen. Hierzu untersuchen sie in einer Längsschnittstudie über insgesamt 5 Jahre Personen, die zum Ausgangszeitpunkt eine Trennung oder den Verlust von Partner:innen durch Tod erlebten. Spezifisch interessierten sich die Autorinnen dafür, wie sich Trennung oder Tod von Partner:innen auf das Kontrollgefühl der betroffenen Personen im Verlauf auswirken. Das Kontrollgefühl wird dabei in zwei Dimensionen unterteilt:
- Interne Kontrolle: Der Glaube, das eigene Leben durch eigene Handlungen beeinflussen zu können.
- Externe Kontrolle: Die Überzeugung, dass äußere Faktoren wie Schicksal oder Zufall das Leben bestimmen.
Verschiedene Theorien postulieren unterschiedliche Auswirkungen von Verlust und Trauer auf unsere Kontrollerwartungen:
- Ausgangspunkt-Theorie: Kontrollüberzeugungen kehren langfristig zu einem Basisniveau zurück.
- Stressassoziiertes Wachstum: Verluste können langfristig zu persönlichem Wachstum führen und das interne Kontrollgefühl stärken.
- Gelernte Hilflosigkeit: Wiederholte oder schwerwiegende Verlusterfahrungen könnten das Gefühl von Hilflosigkeit und externem Kontrollgefühl verstärken.
- Sozialisierungstheorien: Soziale Bindungen und Netzwerke nach einem Verlust könnten das interne Kontrollgefühl wieder aufbauen.
Wie Kontrollerleben sich nach Trennung und Tod von Partner:innen entwickelt
Die Autorinnen beobachteten nun folgende Ergebnisse:
Trennung
- Direkt nach der Trennung (im ersten Jahr): Das interne Kontrollgefühl war signifikant reduziert. Das externe Kontrollgefühl stieg signifikant an.
- Langfristige Veränderung: Das interne Kontrollgefühl nahm nach dem ersten Jahr jährlich zu, erreichte nach 4 Jahren das Ausgangsniveau vor der Trennung und stieg im fünften Jahr über das Ausgangsniveau hinaus an.
Übrigens fanden sich interessanterweise keine Auswirkungen auf das Kontrollgefühl nach Scheidungen im Gegensatz zu Trennungen:
- Vermutlich ist der Hintergrund jedoch einfach, dass die Scheidung erst nach einem langen Prozess stattfindet, während die Trennungen meistens längst vorher einsetzten. Wenn die Scheidung formal eintritt, hat ein Großteil der inneren Verarbeitung bereits stattgefunden.
Tod des Partners
- Direkt nach dem Verlust (im ersten Jahr): Das interne Kontrollgefühl stieg im ersten Jahr nach dem Tod von Partner:innen an.
- Langfristige Veränderung: In den Folgejahren nahm das interne Kontrollgefühl weiter zu und ging über das Ausgangsniveau hinaus. Allerdings zeigte sich bei jüngeren Verwitweten eine langfristige Zunahme des externen Kontrollgefühls, also des Eindruckes, externen Ereignissen ausgeliefert zu sein. Womöglich zeigt sich dieser Effekt gerade bei jüngeren Menschen, weil bei diesen der Tod von Partner:innen noch unerwarteter kommt, während ältere Menschen bereits vorher begonnen haben, sich explizit oder implizit verstärkt mit essenziellen Fragen von Leben und Tod auseinanderzusetzen und deren Aktualisierung in gewisser Weise auch zu erwarten.
Bedeutung der Befunde
Die Befunde zeigen sowohl bei Trennung als auch bei Verlust durch Tod, dass dauerhaft ein Wachstum eintreten kann im Sinne einer Erhöhung des Gefühles, das eigene Leben bestimmen und steuern zu können. Zwar sinkt bei der Trennung zunächst das interne und das externe Kontrollgefühl steigt (Theorie der gelernten Hilflosigkeit), aber langfristig wird im Sinne der Ausgangspunkt-Theorie die vorherige Basis erneut erreicht und letztlich ab dem 4. Lebensjahr wächst das interne Kontrollgefühl sogar im Sinne der Theorie des stressassoziierten Wachstums über das ursprüngliche Niveau hinaus.
Bei Verlust durch Tod wird sogar im Vergleich zur Trennung ein besonders schneller und ebenfalls langfristiger Anstieg des internen Kontrollgefühls beobachtet, was auf eine tiefere und schnellere Anpassung hinweist. Der Tod eines Partners wird als endgültiger wahrgenommen, was möglicherweise die schnelle Notwendigkeit zur Anpassung und zur Wiedererlangung der Kontrolle erklärt.
Die Autor:innen empfehlen übrigens für eine Wiederherstellung der internen Kontrolle die Nutzung sozialer Netzwerke und Unterstützungssysteme. Die Ergebnisse geben Anlass zum Optimismus: Wir können durch Trauer und Verlust in unserer Persönlichkeit wachsen, also aus der Hilflosigkeit herauskommen, unser vorheriges Basisniveau erneut erlangen und sodann sogar über dieses hinausgehen. So schmerzhaft dieser Prozess auch ist, so liegt er dennoch typischerweise im Rahmen unserer innerpsychischen Möglichkeiten.
Partnersuche als Mittel von Sinnfindung und Neuorientierung
Dannagal Goldthwaite Young und Scott E. Caplan untersuchten, wie verwitwete und geschiedene Personen sich in ihren Online-Dating-Profilen vorstellen, wie sie den Verlust ihrer Partner:innen thematisieren, wie sehr in ihren Dating-Profilen Gedanken zum Ausdruck bringen über kognitive Neubewertungen oder Sinnfindung und wie sie ihre eigene Zukunft in romantischen Beziehungen sehen. Damit legen die Autor:innen den Fokus ihrer Analyse darauf, ob und wie Online-Dating nach Trennung und Verlust von Partner:innen durch Tod dazu beitragen kann, um mit dem Verlust umzugehen und ein neues Selbstbild zu erwerben.
Die Autor:innen führten hierfür eine Inhaltsanalyse von Online-Dating-Profilen von 241 verwitweten und 280 geschiedenen Personen durch und achteten insbesondere auf folgende Themen in den freien Texten:
- Erwähnung des Verlusts (Ehepartner verstorben oder geschieden)
- Backstory (Details zum Verlust)
- Lebensphilosophie
- Sinnfindung
- Vision einer zukünftigen Partnerschaft
Verwitwete auf Partnersuche
Dies waren ihre Hauptergebnisse bezüglich derjenigen Partnersuchenden, deren Partner:innen verstorben waren:
- Erwähnung des Verlusts: Mehr als ein Viertel der verwitweten Personen erwähnten den Verlust ihrer Partner:innen in ihren Profilen, in unterschiedlichen Detailgraden. Häufiger wurden die Verluste im Kontext ihrer Bereitschaft, sich wieder auf eine neue Beziehung einzulassen, thematisiert.
- Sinnfindung und kognitive Neubewertung: Eine von sechs verwitweten Profilen beinhaltete Hinweise auf Sinnfindung oder kognitive Neubewertungen des Verlusts, z. B. Aussagen wie: “Was ich durch den Verlust gelernt habe, ist die Wichtigkeit von Ehrlichkeit und Liebe.”
- Lebensphilosophie: Eines von drei verwitweten Profilen beinhaltete eine Lebensphilosophie, die oft die Kürze des Lebens betonte, z. B. “Das Leben ist kurz, ich lebe es in vollen Zügen.”
- Vision einer zukünftigen Partnerschaft: Fast neun von zehn der verwitweten Profile beschrieben eine Vision für eine zukünftige Partnerschaft, z. B. “Ich suche jemanden, mit dem ich mein Leben teilen kann.”
Geschiedene auf Partnersuche
Geschiedene nutzten Ihr Dating-Profil seltener und weniger intensiv, um den erlebten Verlust in ein zukunftsorientiertes Bild der eigenen Person und Beziehungsfindung zu integrieren:
- Geschiedene gaben im Vergleich zu den Verwitweten meist nur kurze Erwähnungen über ihre verlorenen Beziehungen, ohne tiefere Sinnfindung oder Visionen für die Zukunft. Außerdem war eine höhere Bildung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit verbunden, eine Lebensphilosophie zu äußern oder Sinnfindung aufzuzeigen. Männer neigten insgesamt etwas weniger dazu, Sinnfindung auszudrücken, als Frauen.
Partnersuche als Sinnfindung
Die Studie zeigt, dass Online-Dating-Profiltexte insbesondere für verwitwete Personen nicht nur als Mittel zur Partnersuche dienen, sondern auch eine Plattform bieten, um mit dem Verlust ihrer Partner:innen umzugehen, ihre Identität nach dem Verlust zu rekonstruieren und in diesem Kontext eine Vision für eine künftige Beziehung zu entwickeln.
Die Ergebnisse unterstreichen so die Bedeutung der Selbstreflexion im Online-Dating und, wie sie helfen kann, eine neue Identität nach dem Verlust von Partner:innen zu konstruieren. Sinnfindung erscheint dabei als Teil des Verarbeitungs- und Heilungsprozesses, und die Ergebnisse legen nahe, dass Sinnfindung und kognitive Neubewertungen nach einem Verlust einen wichtigen Beitrag zu einer gesunden Bewältigung des Verlustes leisten können und hierfür auch die Online-Partnersuche einen Beitrag leisten kann.
Warum aber war dies bei Geschiedenen seltener der Fall? Womöglich ist es die finale Endlichkeit des Todes, die zu besonders tiefen Prozessen der Reflexion führt. Womöglich werden Trennungen demgegenüber eher als Scheitern erlebt, daher in den Profilen nur seltener erwähnt. Dies kann neben sozial erwünschter Selbstdarstellung wiederum auch daran liegen, dass wir die Trennungen auch für uns selbst stärker aus dem Bewusstsein drängen oder isolieren wollen, während wir Todesfälle eher als einen Teil unseres Lebens annehmen und damit zum Ausgangspunkt für personales Wachstum und Umorientierung machen können.
Ich sehe in diesem Ergebnis aber auch die Anregung an die Getrennten und Geschiedenen sowie an uns alle, von den Erfahrungen derjenigen zu lernen, die Partner:innen durch Tod verloren haben. Wir können die Partnersuche zu einem Prozess der Selbstreflexion und Veränderung machen, der sich in unseren Dating-Profilen zeigt und uns selbst ein persönliches Wachstum und unseren künftigen Beziehungen ein Mehr an Tiefe ermöglicht. Hierzu möchte ich gerne alle unsere Mitglieder ermutigen.
Zusammenfassung und Resümee
Psychologische Auswirkungen von Verlust und Partnersuche: Ein integrativer Blick auf Trennung und Tod
Der Verlust eines Partners durch Tod oder Trennung kann tiefgreifende Auswirkungen auf die Psyche und das zukünftige Beziehungsverhalten haben. Die Frage, wie Trauer und Trennung das Leben beeinflussen und welche Auswirkungen sie auf die Partnersuche haben, ist entscheidend für die psychologische Bewältigung des Verlusts und den Wiedereinstieg in neue Beziehungen. Verschiedene psychologische Studien bieten wichtige Erkenntnisse, die aufzeigen, wann und wie eine Partnersuche sinnvoll beginnen kann.
1. Emotionale Phasen der Trennung und des Verlustes
Die Phasen des Verlustes sind sowohl bei Trennung als auch Verwitmung ähnlich. Laut Basem Abbas Al Ubaidi gliedern sich diese in fünf Stufen: Schuldzuweisungen, Trauer, Wut, Alleinsein und Neuanfang. Diese Phasen können uns helfen, zu verstehen, wann der richtige Zeitpunkt für die Partnersuche gekommen ist: Eine Partnersuche ist dann möglich, wenn die innere Neuorientierung beginnt.
2. Psychobiologie der Trauer
In einer umfassenden Literaturübersicht zeigen Jutta M. Wolf und Kolleg:innen, dass Trauer das Immunsystem schwächen kann und zu körperlichen sowie psychischen Gesundheitsproblemen führt. Sie empfehlen, achtsamkeitsbasierte Techniken und soziale Unterstützung zu nutzen, um die negativen Auswirkungen von Trauer zu mildern. Diese Herangehensweise stärkt die eigene Resilienz und bereitet auf eine gesunde Partnersuche vor.
3. Persönlichkeitswachstum durch Verlust
In einer Längsschnittstudie von Eva Asselmann und Jule Specht wird untersucht, wie sich das Kontrollgefühl nach einem Verlust verändert. Dabei fanden die Autorinnen heraus, dass sowohl nach Trennung als auch nach dem Tod von Partner:innen ein langfristiges Wachstum des internen Kontrollgefühls stattfinden kann. Dieses Wachstum ermöglicht eine fokusorientierte Partnersuche, da die Betroffenen in der Lage sind, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche klarer zu erkennen.
4. Sinnfindung und Online-Partnersuche
Die Studie von Dannagal Goldthwaite Young und Scott E. Caplan befasst sich mit der Bedeutung von Online-Dating für verwitwete und geschiedene Personen. Es zeigt sich, dass insbesondere verwitwete Personen ihre Trauer und Verlustverarbeitung durch die Reflexion in ihren Profilen verarbeiten. Sinnfindung und die Entwicklung einer Vision für eine zukünftige Partnerschaft spielen dabei eine zentrale Rolle. Alle Partnersuchende können von dieser Herangehensweise lernen, um die Phase ihrer Partnersuche als eine wichtige Phase der Sinnfindung und Persönlichkeitsentwicklung zu gestalten, wodurch gleichzeitig die Aussichten für eine tragfähige Liebesbeziehung verbessert werden.
Fazit: Ein Schritt in die Zukunft nach dem Verlust
Die Forschung zeigt, dass eine Partnersuche nach Verlust beginnen kann, wenn eine gewisse Stabilität im Sinne einer beginnenden Neuorientierung erreicht ist. Der richtige Zeitpunkt unterscheidet sich somit von Person zu Person. Wichtige Indikatoren sind dabei der Beginn des Wachsens des internen Kontrollgefühls und die Fähigkeit, eine Vision für zukünftige Beziehungen und einen neuen Lebenssinn zu entwickeln. Der Weg über Trauer und Trennung ist oft lang und nicht geradlinig, aber er kann so zu persönlichem Wachstum und einer gestärkten Fähigkeit führen, in einer neuen Beziehung seelisch erfüllt und glücklich zu werden.
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Sehr geehrte VerfasserInnen des Artikels,
Ich fand das sehr hilfreich, insbesondere auch bei Beziehungen, die nach einer langen Beziehung ganz kurzsinf, weil man selber die ganze Zeit beschäftigt ist mit der Bewältigung der längere Geschichte. Also ist die nächste Beziehung belastet durch die vorherige Beziehung. Das hatte ich auch unterschätzt, aber alleine möchte ich nicht bleiben und deshalb versuche ich immer, das beste aus den Begegnungen zu machen und meistens funktioniert das!
Bewältigung ist letztlich graduell und wohl lebenslang werden bestimmte Erfahrungen aus Vorbeziehungen immer wieder eine geistig-emotionale Rolle spielen. Entscheidend ist, dies zu reflektieren und die Offenheit für neue Begegnungen und eine neue Geschichte der Liebe zu erwerben.
Danke für diesen Beitrag. Er hat mir einiges über mein Verhalten und Innenleben nach dem Tod meiner Ehefrau erklärt. Und er ermächtigt mich auch meine Bedürfnisse klarer zu äußern und mein Verhalten anzupassen.
Ich freue mich sehr, dass mein Beitrag Dir hier in einigen zentralen Aspekten weiterhilft und zur Klärung beiträgt!
Vielen Dank für diesen guten Artikel.
Für mich war der Punkt aufschlussreich, warum Menschen nach mehreren Trennungen/Scheidungen dies nicht allzu ausführlich in ihrem Profiltext thematisieren. Die Schlüsse der anderen daraus sind oft völlig falsch, vereinzelt wohl auch immer noch meine eigenen.
Es zeugt eben nicht von Oberflächlichkeit, etwas nicht schätzen zu wissen, mangelnder Beziehungsarbeit, etc.
Es ist eher ein Zeichen, dass man weiß, wann es auch nach Jahrzehnten genug ist. Dass man die eigene physische und psychische Gesubdheit als hohes Gut einschätzt, dass man den Mut und die Kraft hat auch jenseits der 50 nochmal alles auf Neuanfang zu stellen.
Für eine neue Beziehung bedeutet es ganz viel Offenheit, Verständnis und Ehrlichkeit, die manchmal auch schmerzhaft sein kann. Ich bin aber davon überzeugt, dass es irgendwann mit dem richtigen Partner an der Seite wieder gelingen kann. Ich sehe mich nicht als Unicum auf der Welt.
Ich kann in allem, was Sie schreiben folgen. Wichtig ist sicherlich nicht, die vergangenen Beziehungen in Dating-Profilen ausführlich zu thematisieren, aber das zu schildern, was wir daraus gelernt haben, also unsere Sichtweise der Welt, von uns und unserer künftigen Beziehung.
Vielen Dank, ein informativer Artikel zum Thema, das ansonsten nicht sehr durch Studien bearbeitet wird.
Zur “Lebensphilosophie”:
Die Lebensphilosophie ist eine philosophische Strömung, die in Frankreich von Henri Bergson und in Deutschland von Wilhelm Dilthey begründet wurde.
Insofern eine falsch verwendeter Begriff im Artikel. Es ist wohl “Lebenseinstellung” gemeint. Aber Lebenseinstellung hat nichts mit der Lebensphilosophie zu tun. MFG Dr. G.
Danke für den Hinweis zu Henri Bergson. Ich habe den Begriff “Lebensphilosophie” in einem allgemeineren Sinne verwandt, wie ihn übrigens auch die Autoren des referenzierten Artikels verwendeten. Gemeint ist, dass wir selbst auch, explizite oder impliziten Philosophien über das Leben entwickeln, die wir wiederum auch in unseren Dating-Profilen zum Ausdruck bringen können. Der Verlust eines Menschen durch Tod scheint dieses zum Ausdruck bringen zu verstärken.
Sehr geehrte Verfasser, wenn ich es nicht anders erlebt hätte, würde ich Ihren Artikel sehr tröstlich finden. Meine inneres Kontrollgefühl ist leider über die Zeit gänzlich verloren gegangen, weil ich die äußeren Faktoren ja leider nicht beeinflussen kann. Leider habe ich ziemlich viele ungünstige Faktoren um mich versammelt: ich war noch nicht alt, mein Mann starb plötzlich und unerwartet, mein Umfeld ließ mich allein, andere wichtige Personen starben, ich verlor den Job, mein ganzes Leben Umfeld, meine Zukunftsplanung ist nicht mehr umsetzbar. Leider hat sich auch die Online-Partnersuche negativ auf meine Psyche ausgewirkt. Theoretisch haben sie Recht, ich kann Ihnen vollkommen folgen und hatte auch durchaus Hoffnungen in die Aktion gesetzt. Leider stellt sich die Praxis anders dar und ich kann die negativen Erfahrungen, die sich ja unweigerlich einstellen schwer kompensieren. Ich versuche seit drei Jahren irgendwie zu überleben, bin in der Zeit sicherlich um zwanzig Jahre gealtert, psychisch und körperlich krank geworden, zu jung um richtig zu sterben und scheinbar zu alt um noch einmal auf die Füße zu kommen.
Innere Kontrolle hilft einem nicht viel. Das muss man sicherlich irgendwann akzeptieren und ist unglaublich schwer, wenn man eigentlich ein lebensfroher Mensch ist.
Mich würde interessieren, ob man diesem Gefühl der Hilflosigkeit mit Isolation begegnen kann. Wenn niemand mehr da ist, hat man ja wieder Kontrolle. Ich würde damit nie glücklich werden, aber vielleicht fühlt man sich weniger einsam, wenn man selber geht? Gibt es dazu Erfahrungen. Ich liebe die Wildnis und bin sehr genügsam.
Objektiv gesehen können wir viele äußere Dinge nicht beeinflussten. Wir haben aber einen Einfluss darauf, wie wir sie innerlich verarbeiten.
Auch können wir durch unsere Lebensgestaltung die Wahrscheinlichkeit einer Reihe von Ereignissen eben doch beeinflussen.
Ich glaube, das Entscheidende ist, zu schauen, wie Sie zu einer Wende gelangen können durch Etablierung von Lebenssinn und soziale Einbettung. So wie Sie es schildern, scheint mir auch die Möglichkeit einer Psychotherapie unbedingt zu erwägen.
Als absoluter Beginner habe ich natürlich keine eigenen Berühungspunkte mit dem Thema.
Was mich allerdings sehr interessieren würde, wäre das Thema Ex-Partner. Bei den letzten beiden Frauen, welche ich gedatet habe, war der Ex-Partner ein großes Thema bzw. Problem, allerdings nicht im klassischen Sinne, dass der Ex-Partner meine Datingpartnerin zurückgewinnen wollte, sondern das meine Datingpartnerinnen nicht loslassen konnten.
Wenn du das Thema EX-Partner behandeln könntest, dass wäre großartig.
Weißt Du, ob Deine Dating-Partner:innen letztlich mit ihren Ex-Partner:innen wieder zusammengekommen sind? Wenn sie nämlich weiterhin Single geblieben sind, würde sich auch die Frage stellen, ob womöglich nunmehr die Ablösung erfolgt ist und ihr erneut, auf neuer Basis, als weiterer Versuch zusammenkommen könntet. Genau solche Verläufe treten nämlich auf, wo sich zunächst zeigt, dass die Ablösung nicht erfolgte und deshalb eine Beziehung erst einmal nicht entsteht/scheitert, sich dies aber ändert. Eben weil manche mehr Zeit benötigen und sich ihrer Ambivalenzen erst bewusst werden, wenn sie in einer Dating-Beziehung sind. Andere dachte, über eine neue Beziehung die alte Beziehung loslassen zu können, was auch wirklich manchen gelingt, anderen aber nicht. Du sprichst ein Thema an, womit ich mich noch einmal genauer beschäftigen werde durch Literatursuche und Einschluss in Umfragen.
Nein, meine Datingpartnerinnen sind mit ihren Ex-Partner nicht wieder zusammengekommen, Die Ex-Partner sind mit anderen Frauen zusammen. Durch den intensiven Kontakt mit den Ex-Partnern scheint das Ablösungen nicht zu gelingen.
Kannst Du genauer schildern, wie sich diese Ablöseprobleme charakterisierten und wie sie sich auf euer Kennenlernen auswirkten?
Vielen Dank für den gut strukturierten Artikel, der ein Thema aufgriff, über das sonst wenig geschrieben wird.
Ich selbst habe mich nach 30 Jahren Ehe getrennt und habe nach 2 Jahren mit einem neuen Partner eine Liebe erlebt, die sehr intensiv in allen Bereichen war, aber letztendlich durch das Verhalten des Partners von meiner Seite aus leider nicht mehr fortgeführt werden konnte. Interessant ist für mich, dass diese 5 Jahre und die Trennung eine völlig andere Verarbeitungstruktur meinerseits aufweist.
Ich glaube, dass man neue Beziehungen in einem Alter von 55+ anders erlebt; dies ist mein Empfinden.
Jetzt nach 2 Jahren nach dieser 2.Trennung bin ich mit meiner daraus resultierenden Weiterentwicklung sehr dankbar und glaube auch, dass diese Weiterentwicklung des Selbst einer der Sinnfindung in meinem Leben ist.
Ich erlebe meine jetztige Freiheit dankbar, muss aber auch sagen, dass ich die Nähe/Verbindung zu einem Partner auch phasenweise vermisse.
Ich weiß aktuell noch nicht, ob ich es vielleicht doch einmal mit einer online Partnersuche versuche.
Jedenfalls ist der Satz: „Es ist besser 2x zu viel geliebt, als 1x zu wenig.“ ein sehr wahrer Satz für mich.
Was ich vermisste in dem Artikel: Gibt Untersuchungen darüber, wie es sich bei getrenntlebenden , aber nicht geschiedenen Menschen mit der Partnersuche verhält?
Würde ich interessant finden, da es sicher auch viele Menschen wie ich gibt, die sich mental/ psychisch von einem Ehepartner getrennt haben, aber aus verschiedenen Gründen keine Scheidung in Betracht ziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Das Thema Trennung, aber keine Scheidung, ist tatsächlich ein wichtiges Thema, und ich werde noch einmal eine Literaturrecherche machen, um hierzu mehr Informationen zu suchen. Ich denke, wir werden es auch in einer Umfrage behandeln und ich werde einen Artikel dazu schreiben oder ein Video erstellen. Trennung ohne Scheidung kann sicherlich die verschiedensten Gründe haben, viele haben Sorge, dass dies bedeutet, dass die Ablösung nicht stattgefunden hat. Tatsächlich haben mir auch bereits mehrfach (vorwiegend Frauen) geschildert, dass plötzlich die Trennung und Ablösung doch nicht so umgesetzt waren, wie die Partner oder Dating-Partner es anfangs schilderten. Vor solch einer Entwicklung haben viele Angst und daher Bedenken, sich auf eine Beziehung einzulassen, wenn eine Trennung, aber keine Scheidung vollzogen wurde.
Umgekehrt haben Personen, die getrennt, aber nicht geschieden sind, auch manchmal Sorge, mit diesem Status auf Partnersuche zu gehen. Der Rat ist, die Gründe klar zu reflektieren und sodann die Situation genau so zu beschreiben, wie sie ist, um Transparenz und Klarheit zu schaffen, wodurch gleichzeitig Bedenken entgegengewirkt werden kann.
In den Fällen (die es gibt), wo tatsächlich eine Scheidung aus emotionaler und auch manchmal auch weiterhin alltagsbezogener Verbundenheit nicht gewünscht wird, kann über alternative Beziehungs-Formen nachgedacht werden, die sodann auch explizit in die Suche eingebracht werden sollten.
Das Thema ist relevant und spannend, auch für Gleichklang-Mitglieder. Ich werde mich daher mit dem Thema mehr beschäftigen und bedanke mich für die Anregung.
Die Phasen sind gut beschrieben, ich erkannte mich an manchen Aussagen wieder, nachdem ich mich 2014 von meiner damaligen Frau getrennt hatte. Der ganze Prozess verlief nicht in Wochen oder Monaten, sondern in Jahren. Bei einer zwischenzeitlich Beziehung habe ich bei mir gesteigerten Kontrollwahn festgestellt, weil ich meine damalige Frau nie kontrolliert, sondern ihr vertraut hatte (leider zu Unrecht). Bei einer neuen Partnerschaft, die ich mir jetzt wünsche, will ich diesen Drang in mir aktiv bekämpfen. Habt ihr auch was zu diesem Phänomen und wie man am besten damit umgeht?
Ist die Kontrolle auch mit Eifersucht assoziiert? Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten, dem gegenzusteuern. Auf der gedanklich-kognitiven Ebene ist es hilfreich, eine vergangene Beziehung dadurch besser loszulassen zu können, dass wir verzeihen, eigene Anteile erkennen und uns trotz alledem an die positiven Momente erinnern. Dies hilft uns, Verbitterung, Ärger etc. aufzulösen, sodass wir diese weniger an neue Beziehungen herantragen. Das kann auch helfen, Kontrollimpulse zu reduzieren. Solch eine gedankliche Arbeit kann emotional unterstützt werden, z.B. durch Imaginationsübungen, wo wir die Ex-Partner:innen und ihr Verhalten, was uns störte, loslassen. Ebenso kann es helfen, sich noch einmal bewusst an die belastenden Momente zu erinnern, die Gefühle anzunehmen, auszuhalten, ohne sie wegzudrängen. Durch solch eine Konfrontation mit den Gefühlen werden sie im Verlauf derartiger Übungen besser aushaltbar, Hilflosigkeit und die Intensität der Gefühle nehmen ab. Dies kann befreiend sein. Bezüglich einer neuen Beziehung ist es wichtig, zunächst einmal gedanklich zu der klaren Erkenntnis und dem Vorsatz zu gelangen, dass Kontrollen nicht hilfreich sind und die Möglichkeit einer auf Vertrauen beruhenden Beziehung blockieren. Wir können uns vornehmen und auch in geistigen Vorstellungsübungen planen/einüben, solches Kontrollverhalten zu unterlassen. Wenn wir nämlich lernen, Kontrollverhalten zu unterlassen, nehmen im Verlauf auch die inneren Kontrollimpulse ab. Ebenso ist es wichtig, miteinander im Gespräch zu sein, Missverständnisse zu klären. Entwickelt sich echte Resonanz und entsteht positives gemeinsames Erleben, können Misstrauen und Kontrollimpulse abnehmen.
Hallo Herr Gebauer,
danke für den interessanten Artikel! Verstehe ich es richtig, dass bei der Bewältigung von Trauer und Trennung davon ausgegangen wird, dass die Zeit die Wunden heilt? Oder war das Thema Bewältigungsstrategien nicht Gegenstand der Studien? Meiner Erfahrung nach ist bewusste innere Arbeit sehr hilfreich, wenn nicht sogar unerlässlich für einen wirklichen Neuanfang. Meine Bewältigungsstrategien im Sinne innerer Arbeit waren die BEWUSSTE VERARBEITUNG VON BELASTENDEN GEFÜHLEN sowie ein VERSTÄNDNIS DER EIGENTLICHEN TRENNUNGSGRÜNDE.
Zur bewussten Verarbeitung von Gefühlen: Ich habe mich nach der Trennung ein Jahr lang (in Phase 4: Alleinsein und Entscheidungsfindung) immer wieder bewusst mit meinen Gefühlen von Schuld, Trauer und Wut (aus Phase 1-3) als inneren Anteilen befasst, um sie schließlich liebevoll annehmen zu können. Diese innere Arbeit führte zu einer Befreiung von den belastenden Trennungsgefühlen. Das war Voraussetzung für die Erkenntnis der eigentlichen Trennungsgründe.
Zum Verständnis der eigentlichen Trennungsgründe: Zusätzlich zu den Gründen auf der Verhaltensebene, die mich zur Trennung veranlasst hatten (ständige Missverständnisse, nicht zielführender Streit, kein Sex mehr usw.) konnte ich nach einem Jahr Gründe auf der Ebene der Bindungstypen und ungelöste transgenerationale Themen erkennen. Voraussetzung für diese Erkenntnisse war die beschriebene Befreiung von belastenden Trennungsgefühlen. Erst durch die Verstehbarkeit der Trennung auf einer tieferen Ebene konnte ich mit der Ehe innerlich wirklich abschließen und war bereit für einen Neuanfang (Phase 5).
Mit freundlichen Grüßen,
C.S.
Vielen Dank für die sehr eindrückliche Schilderung Ihres eigenen Verlaufs. In der Tat heilt nicht die Zeit alle Wunden, sondern das kann Wunden heilen, was in der Zeit geschieht. Dies ist auch ein Grund, warum die Dauer sich stark zwischen einzelnen Personen unterscheidet. Die von Ihnen genannten Aspekte der Verarbeitung der Trennung und der Gründe ist fraglos sehr wichtig, um hieraus ggf. auch zu einem neuen Selbstbild und der Vorstellung von einer neuen Beziehung zu gelangen.