Was macht langfristiges Beziehungsglück möglich?
Es gibt eine umfassende psychologische Literatur zur Rolle der Illusionen in Partnerschaften. Die Ergebnisse scheinen eindeutig:
- Positive Illusionen fördern die Beziehungszufriedenheit.
Es gibt aber andere Befunde, die hierzu scheinbar im Widerspruch stehen:
- Leugnung von Problemen reduziert die Beziehungszufriedenheit und die Beziehungsstabilität.
Wie lassen sich diese offenbar widerstreitenden Befunde miteinander in Einklang bringen?
Hierauf kann eine recht einfache Antwort gegeben werden:
- Ersetzen wir den Begriff “Illusion” durch “wohlwollende Betrachtung” und behalten wir den Begriff der “Leugnung” bei, lassen sich beide Aussagen miteinander versöhnen.
- In Beziehungen hilft es, wenn wir uns bemühen, unsere Beziehungspartner:innen möglichst wohlwollend zu betrachten. Es schadet aber, wenn wir tatsächlich bestehende Probleme in der Beziehung leugnen.
Im Folgenden möchte ich etwas genauer darlegen, was unter “Illusionen” als “wohlwollender Betrachtung” zu verstehen ist und wieso Leugnungsprozesse Beziehungen in den Abgrund führen.
“Illusionen” und Liebesbeziehungen
Miller et al. (2015) beobachteten 168 neu entstandene Beziehungen über einen Verlauf von 13 Jahren. Sie interessierten sich dafür, welche Auswirkungen die idealisierte Betrachtung von Beziehungspartner:innen am Anfang einer Beziehung auf die Liebe und ihren Verlauf hat.
Die Autor:innen definierten positiven Illusionen so, dass Personen ihre Partner:innen positiver wahrnehmen, als diese sich ihnen gegenüber tatsächlich verhalten.
In der Studie wurden daher zahlreiche sehr konkrete, in täglichen Aufzeichnungen protokollierte sozial verträgliche und nicht verträgliche Verhaltensweisen der Partner:innen über Telefoninterviews erfasst.
Außerdem wurden die Beteiligten gebeten, sich wechselseitig einzuschätzen anhand einer Liste von Merkmalen, aus denen sich soziale Verträglichkeit als Persönlichkeitsmerkmal erschließen ließ.
Ergebnisse
- Die neu verheirateten Paare neigten dazu, ihre Partner:innen als sozial verträglicher einzuschätzen, als sie sie bezüglich ihres tatsächlichen Verhaltens beschrieben.
- Das Ausmaß der Liebe war umso stärker, desto stärker die positive Abweichung zwischen Einschätzung und Verhalten war.
- Paare mit besonders hohen Illusionen zeigten im Verlauf einen geringerer Abfall der Intensität der Liebe als Paare, die nur wenige oder keine Illusionen aufwiesen.
Dieses Ergebnis ist nicht untypisch, sondern stimmt mit vielen weiteren Forschungsbefunden überein.
Offenbar neigen wir dazu, unseren Partner:innen besonders positive Persönlichkeitsmerkmale zuzuschreiben und bewerten übrigens auch ihr Aussehen positiver als dies vielleicht andere täten. Diese Tendenz scheint wiederum die Beziehungszufriedenheit zu fördern.
Es wird hier auch von “Love is blind” gesprochen – hierzu hat eine Arbeitsgruppe um den Psychologen Viren Swami wesentliche Forschungsbefunde vorgelegt:
- Eine Studie beobachtete, dass heterosexuelle Männer und Frauen ihre Partner:innen jeweils als physisch attraktiver einschätzten als sich selbst. Dies kann aber objektiv nicht gleichzeitig für beide Seiten der Fall sein.
- Den gleichen Effekt beobachtete eine andere Studie bei lesbischen Frauen und schwulen Männern.
Offenbar wird also die Attraktivität von Partner:innen aufgewertet.
Aber ist Liebe wirklich blind? Diese Frage stellten sich Swami und Furnham (2008) und gelangten in ihrem Artikel zu einem stärker kontextorientierten Schluss:
- Letztlich sind alle Beziehungen ein Produkt der dialektischen Beziehung zwischen Hoffnung und Zweifel, dem Wunsch, zu glauben und die Wahrheit zu kennen. In Ermangelung des Fehlens eines starken Beziehungsfundaments, werden positive Illusionen, die sich als leer erweisen, wahrscheinlich Enttäuschung und Frustration erzeugen. (übersetzt aus dem Englischen)
Damit verändert sich die Perspektive:
- Ein Beziehungsfundament wird nicht auf der Basis reiner Illusionen entstehen können.
Was bleibt dann aber von den Befunden zur positiven Wirkung von Illusionen?
Es bleibt die Erkenntnis, dass
- sich liebende Menschen besonders wohlwollend einschätzen – und
- dass diese Tendenz zur besonders wohlwollenden Einschätzung sich positiv auf die Beziehungszufriedenheit auswirkt
Wir können dies als Illusionen bezeichnen, wir sollten aber vielleicht besser von einem Vermögen sprechen, den guten Kern bei Partner:innen erkennen und wertschätzen zu können.
In diesem Sinne sind Illusionen und Idealisierungen tatsächlich ein wichtiger und konstruktiver Prozess, der unsere Aussichten verbessert, in einer partnerschaftlichen Beziehung glücklich zu werden.
Nur die negative Brille aufzusetzen, wird eine partnerschaftliche Beziehung dagegen nicht befördern.
Auch bei der Partnersuche ist zu raten, sich von der negativen Brille zu lösen:
- Im Mitglieder-Support treffen wir immer wieder auf einzelne Mitglieder, die jeden Vorschlag sofort als unpassend klassifizieren und dabei offenbar (so ergibt es sich aus ihren Begründungen) selektiv jeweils nach Einzelmerkmalen suchen, die sie negativ bewerten können, um den Vorschlag auszuschließen.
Unsere Paar-Befragungen zeigen aber seit Jahren, dass bei vielen späteren Paaren der initiale Vorschlag noch nicht auf Begeisterung stieß. Erst im Verlauf des weiteren Kennenlernens wurde diesen späteren Paaren die gemeinsame Passung deutlich. Dadurch wurden vermehrt wohlwollende Bewertungsweisen im Sinne konstruktiver “Illusionen” möglich, die schließlich bei diesen Paaren die Basis einer anhaltenden und stabilen Liebesbeziehung schufen.
Ein Teil des Geheimnisses der Liebe liegt also in unserer Fähigkeit, das Gute und Schöne bei unseren Partner:innen zu erkennen. Dies Geheimnis der Liebe ist nicht nur das Geheimnis ihres Fortbestehens, sondern auch ihres Beginns und insofern auch der Partnersuche.
In der aktuellen ZEIT hat die Journalistin Carmen Maiwald einen Artikel über Green-Dating geschrieben, in dem Gleichklang-Paare prominent zu Wort kommen.
Dort las ich von einem Paar, bei dem ihre Beziehung erst 1,5 Jahre nach dem erbrachten Vorschlag entstand. Diese Erfahrung entspricht unseren eigenen Auswertungen:
- Wir gehen davon aus, dass bei der Mehrheit der Gleichklang-Mitglieder längst ein Vorschlag erbracht wurde, der zu einer dauerhaften und glücklichen Beziehung führen kann, wenn die Betreffenden miteinander in Kontakt treten und die Passung ausloten.
Deshalb raten wir dazu im Falle dessen, dass aktuell kein sich vertiefender Kontakt vorliegt, es sich zur Gewohnheit machen, vorliegende Vorschläge eigeninitiativ anzuschreiben. Auch empfehlen wir, den Kontakt zu bereits älteren Vorschlägen zu suchen.
Zu dieser Thematik las ich gerade eine Bewertung bei Trustpilot, wo ein Mitglied schilderte, wie sie ihr Beziehungsglück fand:
- “Ich kann nur jedem empfehlen … die (wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann) sehr guten Tipps des Supportteams zu beachten. Hätte ich zum Beispiel nicht den Tipp des Teams befolgt, ca. 30 % der Vorschläge anzuschreiben, hätte ich meinen heutigen Partner nicht kennengelernt.”
Leugnung in Paarbeziehungen
Der Begriff der “Illusion” als positives Konzept für die Beziehungsgestaltung ist sprachlich problematisch, “wohlwollende Bewertung” ist geeigneter, aber eben weniger prägnant.
Die Hauptgefahr des Begriffs der Illusion liegt darin, dass Menschen die damit gemeinte “wohlwollende Bewertung” mit “illusionärer Verkennung” oder “Leugnung” tatsächlicher Probleme verwechseln könnten.
Hinter diesen Prozessen verbirgt sich jedoch nicht das Geheimnis anhaltender Liebe, sondern der beste Weg zu ihrem Ende.
Lannin et al. (2013) haben die negativen Auswirkungen von “Leugnung” auf die Beziehungsstabilität im Verlauf einer 14-jährigen Beobachtungsstudie mit 748 teilnehmenden Personen belegen können:
Unter Leugnung verstanden die Autor:innen, “sich zu weigern, einen schmerzhaften Aspekt der äußeren Realität oder subjektiven Erfahrung, die für andere offensichtlich ist, anzuerkennen” (Übersetzung aus Englischem).
Dies korrespondiere mit Verhaltensweisen, wie Verharmlosen oder Bestreiten bedrohlicher Sachverhalte, Bestreiten der Auswirkungen solcher Sachverhalte, Ignorieren negativer Rückmeldungen oder auch Einstufung der eigenen Person als unverwundbar.
Die Autor:innen untersuchten das Ausmaß der anfänglich festgestellter Leugnungstendenz und deren Auswirkungen auf eskalierende Konflikte und Trennungsgedanken oder -pläne über 14 Jahre in den gleichen oder auch in neuen Beziehungen.
Ergebnisse
- Leugnung ging bei Frauen und Männern mit einer höheren Beziehungsinstabilität einher, wobei interessanterweise dieser Zusammenhang komplett erklärt werden konnte durch ein höheres Ausmaß an eskalierenden Konflikten.
Was also durch das Leugnen genau vermieden werden soll (Konflikte), wurde am Ende in einer besonders destruktiven und feindseligen Ausprägung erzeugt.
Vertrackt bei der Leugnung ist, dass diese keineswegs notwendigerweise als eine bewusste und geplante Strategie zu verstehen ist.
Vielmehr sind es stärker latente und schwerer zugängliche Schwierigkeiten bei der Konflikt-, Problem- und Stressbewältigung, die zu Leugnung als einem Prozess der unmittelbaren Stressreduktion führen. Die kurzzeitige Entlastung wird letztlich durch eskalierende Konflikte und eine wachsende Beziehungsinstabilität bezahlt.
Die Autor:innen schlagen als mögliche Interventionen vor, die Achtsamkeit und das Bewusstsein für psychische Reaktionen zu stärken, um so die eigene Leugnungshaltung besser erkennen und aus dieser aussteigen zu können.
Ebenso wichtig ist sicherlich ein Training in Konfliktlösung und Stressbewältigung, um durch verbesserte Fertigkeiten die motivationale Notwendigkeit für Leugnungsprozesse zu reduzieren.
Abschließend möchte ich die Autor:innen selbst zu Wort kommen lassen, da sie ihre Befunde äußerst prägnant zusammenfassten:
- Ähnlich wie der sprichwörtliche Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt, werden Paare, die wichtige Situationen und Verantwortlichkeiten verleugnen, feststellen, dass sich ihre Beziehungen verschlechtert haben, während sie den “Kopf in den Sand” steckten. Unsere Studie legt nahe, dass defensives Leugnen keine konstruktive Art ist, Beziehungsprobleme anzugehen, sondern letztlich ein unangemessener zwischenmenschlicher Prozess sein kann, der eine offenkundig schädliche Kommunikation einleitet. In der Tat kann es viele gute Gründe dafür geben, bestimmte schmerzhafte Realitäten und Probleme in einer Beziehung zu verleugnen, aber dieser Ansatz scheint eine schlechte Langzeitstrategie zu sein.” (Übersetzung aus dem Englischen)
Liebe zwischen Idealisierung und Leugnung
In gewisser Weise ist Liebe eine Gratwanderung:
- Wir sollten keine negative Brille aufsetzen, sondern es hilft unserer Liebe und unserer Beziehung, wenn wir unsere Partner:innen wohlwollend betrachten und ihren guten Kern erkennen und wertschätzen.
- Eben sowenig sollten wir aber eine rosarote Brille aufsetzen, die uns tatsächlich bestehende Probleme nicht mehr erkennen lässt und eine rechtzeitige Lösung so unmöglich macht. Was wir an kurzfristiger Beruhigung durch eine rosarote Brille gewinnen, verlieren wir langfristig durch eskalierende Konflikte und eine reduzierte Beziehungsstabilität.
Das Motto lautet also, sich einzulassen, dabei aber achtsam zu sein, damit wir in eine liebevolle-bereichernde Beziehung mit konstruktiver Auseinandersetzung und nicht in destruktive Konflikte und Instabilität hineingleiten.
Wie mein Blog-Artikel von vorheriger Woche ausführte, helfen bei ernsthaften Problemen nur gemeinsame Kooperation und Problemlösung oder aber zunächst der direkte Konflikt, wenn eine Seite zu einer kooperativen Lösung (noch) nicht bereit ist.
Bei allen kleineren Problemen und Nichtigkeiten genügt eine wohlwollende Haltung und der Fokus auf den eigentlich guten Kern der Partner:innen.
Resümee
Wohlwollende Betrachtung ist für partnerschaftliche Beziehungen wichtig und beginnt bereits bei der Partnersuche. Setzen wir eine negative Brille auf, werden wir kaum Partner:innen kennenlernen oder unsere Partner:innen wieder verlieren.
Für das Partnerglück ist es essentiell, den guten Kern sowie das Schöne, welches im Auge der Betrachter:innen liegt, zu erkennen. Von “Illusionen” in diesem Sinne profitieren partnerschaftliche Beziehungen. Sie bilden einen Teil unserer Beziehungsfähigkeit.
Wo echte Probleme beginnen, genügen aber wohlwollende Betrachtungsweisen nicht mehr. Echte Probleme bedürfen der Lösung und solch eine Lösung wird blockiert, wenn Probleme geleugnet werden.
Leugnen bedeutet Verharmlosen oder Bestreiten eines Sachverhaltes oder seiner Auswirkungen, Ignorieren negativer Rückmeldungen oder auch Einstufung der eigenen Person als unverwundbar (Selbstüberschätzung).
Werden Beziehungen durch Leugnung dominiert, entwickeln sich irgendwann aufgrund fortbestehender und sich auftürmender Probleme eskalierende Konflikte, die die Zufriedenheit und Stabilität der Beziehung untergraben.
Wir dürfen und sollen unsere Beziehungspartner:innen wohlwollend betrachten und ihre Stärken besonders wertschätzen. Gehen wir mit so einer Haltung an die Partnersuche heran, haben wir zudem bessere Aussichten, dass eine bestehende Passung erkannt wird und eine Beziehung beginnen kann.
Wo aber echte Probleme oder Differenzen bestehen, sollten wir sie zur Kenntnis nehmen und gemeinsam nach Lösungen suchen:
- In der Phase der Partnersuche bedeutet dies, offen miteinander zu klären, ob sichtbar werdende Differenzen einer Beziehung im Wege stehen.
- Besteht die Beziehung bereits, geht es darum, Probleme zu erkennen und anzusprechen.
Wohlwollende Grundhaltungen und die Bereitschaft zur Problemklärung verstärken sich wechselseitig bei der Schaffung, Aufrechterhaltung und Vertiefung einer Beziehungsbasis.
Denn von der Warte einer wohlwollenden Grundhaltung aus, die wechselseitig geteilt und zum Ausdruck gebracht wird, lässt sich die gemeinsame Problemklärung leichter zum Erfolg bringen.