Gerüchte und Realitäten
Haben Sie auch gehört von explodierenden Trennungs- und Scheidungsraten infolge der COVID-Pandemie?
Heute stelle ich zwei Untersuchungen vor – eine psychologische Längsschnittstudie und eine repräsentative Umfrage – die Zweifel an dieser Erzählung sähen.
Die Befunde, soweit greife ich vor, zeigen vor allem eines:
- menschliche Beziehungen und ihre Akteure haben weitaus mehr Bewältigungspotentiale als wir ihnen manchmal zutrauen mögen.
Es geht darum, diese Potentiale nutzbar zu machen.
Dies können wir lernen, indem wir nicht den Kopf in den Sand stecken, nicht vermeiden, leugnen oder katastrophisieren. Was hilft, ist den Blick auf die Realität mit allen ihren tatsächlichen Problemen zu richten und an unseren Coping- und Beziehungsfertigkeiten zu arbeiten.
Gelingt dies, werden Krisen dennoch Krisen bleiben, aber wir werden anders aus ihnen herausgehen.
Studie zu Beziehungsqualität während Covid-19
Hannah C. Williamson hat hierzu im Fachjournal “Psychological Science” eine hervorragende Studie vorgelegt unter dem Titel “Early Effects of the COVID-19 Pandemic on Relationship Satisfaction and Attributions“.
Im Dezember 2019 – also vor der Pandemie – hatte sie eine große Stichprobe an verpartnerten Personen befragt zu ihrer:
- Zufriedenheit mit ihrer aktuellen Beziehung
- eigenen mehr oder weniger milden oder strengen Bewertungen negativer Verhaltensweisen ihrer Beziehungspartner
- möglichen Kovariablen, wie Einkommen, Bildungsstand, Beziehungsdauer
Die Autorin nutzte die Chance und befragte die Teilnehmenden erneut im März und im April 2020, um zu erfahren, was infolge von Covid aus diesen Beziehungen zwischenzeitlich geworden war.
Dabei erkundigte sie sich nun zusätzlich nach:
- einem möglichen Zusammenleben (ja, nein, ja wegen COVID)
- der Anwesenheit minderjähriger Kinder im Haus
- möglichen negativen Auswirkungen von COVID (wie z.B. Gehaltsverlust, Aufgabe wichtiger Pläne etc.)
- dem Bewältigungsverhalten in der Beziehung (z.B. Teamarbeit mit Beziehungspartner, faire Verteilung von Haushaltspflichten, gemeinsame positive Aktivitäten etc.)
- auftretenden Konflikten
Folgende Ergebnisse zeigten sich:
- die Beziehungszufriedenheit veränderte nicht über die gesamte Stichprobe sich zwischen dem ersten, zweite und dritten Befragungszeitpunkt.
- für Problemverhalten wurden die Beziehungspartner nach Beginn der COVID-Pandemie weniger verantwortlich gemacht als zuvor.
- Personen, die eine überdurchschnittliche Bewältigung angaben, zeigten einen Zuwachs an Beziehungszufriedenheit während der COVID-Pandemie und eine abnehmende Tendenz, negatives Verhalten von Beziehungspartnern als ein stabiles Muster zu sehen und ihnen dafür die Verantwortung zu geben.
- Personen, die eine unterdurchschnittlicher Bewältigung angaben, zeigten eine Abnahme an Beziehungszufriedenheit während der COVID-Pandemie und eine zunehmende Tendenz, negatives Verhalten von Beziehungspartnern als ein stabiles Muster zu sehen.
- Personen, die eine unterdurchschnittlichen Konflikt-Intensität angaben, zeigten eine Zunahme an Beziehungszufriedenheit, sowie eine Abnahme der Tendenz, auftretendes negatives Verhalten von Beziehungspartnern als ein stabiles Muster zu sehen und Beziehungspartner hierfür verantwortlich zu machen.
- Personen, die eine überdurchschnittlichen Konflikt-Intensität angaben, zeigten eine Abnahme an Beziehungszufriedenheit, sowie eine Zunahme der Tendenz, auftretendes negatives Verhalten von Beziehungspartnern als ein stabiles Muster zu sehen und Beziehungsmuster hierfür verantwortlich zu machen.
- Personen mit gutem Bewältigungsverhalten und Personen mit geringer Konflikt-Intensität zeigten bereits vor der Pandemie eine höhere Beziehungszufriedenheit als Personen mit Personen mit unterdurchschnittlichem Bewältigungsverhalten und Personen mit erhöhter Konflikt-Intensität.
- Einkommen, Bildungsstand, Beziehungsdauer, Zusammenleben, Kinder im Haushalt oder negative Auswirkungen von COVID hatten keine Auswirkungen auf den Verlauf von Beziehungszufriedenheit oder auf die Tendenz, negatives Verhalten von Beziehungspartnern als dauerhaft zu sehen und Beziehungspartner dafür als Person verantwortlich zu machen. Selbst hohe Belastungen setzten die Wirksamkeit von positiver Bewältigung nicht außer Kraft.
Was sagen uns diese Befunde?
Insgesamt ergibt sich aus der Untersuchung kein Hinweis darauf, dass die Krise der COVID-Pandemie die Beziehungszufriedenheit allgemein verschlechtert hätte.
Eher scheint bei der Bewertung negativer Verhaltensweisen von Beziehungspartnern durch die Krise ein größeres Verständnis im Sinne einer milderen Betrachtungsweise (Beziehungspartner nicht verantwortlich machen) eingetreten zu sein.
Allerdings unterschieden sich Beziehungen im Ausmaß ihrer Stabilität in Anbetracht der Krise:
- Personen, die ihre Beziehungen bereits vor COVID als zufrieden erlebten, zeigten eine Zunahme von Zufriedenheit während der Krise.
- Personen, die ihre Beziehungen bereits vor COVID als unzufrieden erlebten, zeigten eine Abnahme von Zufriedenheit während der Krise.
Zum Zeitpunkt der Krise wurden Veränderungen der Zufriedenheit und auch der Bewertung negativer Verhaltensweisen von Beziehungspartnern offenbar insbesondere vermittelt durch das verfügbare Bewältigungsverhalten und durch auftretende Konflikte:
- funktionales Bewältigungsverhalten und eine geringe Konfliktintensität gingen mit einer Steigerung der Beziehungszufriedenheit und einer Abnahme ungünstiger Bewertungen von Beziehungspartnern einher.
- ein Mangel an Bewältigungsverhalten und erhöhte Konflikte gingen mit einer Abnahme der Beziehungszufriedenheit und einer Zunahme ungünstiger Bewertungen von Beziehungspartnern einher.
Tragfähige Beziehungen, in denen die Beziehungspartner ein positives Bewältigungsverhalten zeigten und nicht zu destruktiven Konflikten neigten, sind demnach an der COVID-Krise gewachsen.
Instabile Beziehungen mit Defiziten in Bewältigungsverhalten und destruktiven Konflikten haben demgegenüber im Verlauf der COVID-Krise weiter an Beziehungszufriedenheit verloren.
In gewisser Weise machte die COVID-Pandemie also nur das wahre Gesicht von Beziehungen besser sichtbar als zuvor.
Kurzzeit oder Langzeiteffekte?
Wäre das Ergebnis zu einem späteren Zeitpunkt der COVID-Krise ein anderes gewesen?
Führt ein Einhalten einer Krise doch zum Einbruch der Beziehungsqualität?
Wir wissen es nicht sicher bezüglich der von Williamson Befragten, aber eine aktuelle landesweite repräsentative Umfrage der Universität Monmouth (USA) lässt dies als unwahrscheinlich erscheinen.
Die Umfrage wurde in Vorjahren bereits durchgeführt und so liegen Vergleichsdaten zwischen Mai 2020 und Januar 2021, aber – je nach Frage – auch zu den vorherigen Jahren 2017 und 2014 vor.
Diese Ergebnisse zeigen sich:
- es wird eine deutliche Zunahme der Beziehungszufriedenheit im Verlauf der COVID-Krise zwischen Mai 2020 und Januar 2021 erkennbar
- diese Zunahme fällt ebenso stark oder sogar noch stärker aus, wenn die Jahre 2017 oder 2014 mit Januar 2021 verglichen wurden.
In diesen Daten, die sich auf einen längeren Verlauf der Krise beziehen, zeigt sich also sogar eine positive Entwicklung der Beziehungszufriedenheit über die gesamte Stichprobe betrachtet, während in den Daten von Williamson über einen kürzeren Verlauf keine durchschnittliche Veränderung der Beziehungsqualität erkennbar geworden war.
Beiden Ergebnissen ist gemeinsam, dass auf keinen Fall von einem allgemein negativen Einfluss der COVID-Krise auf die Beziehungsqualität ausgegangen werden kann.
Resilienz in Krisen
Was wir hier sehen, ist das bemerkenswerte Phänomen der “Resilienz“:
- die “psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen” (OxfordLanguages).
Wenn wir an uns selbst und unseren Beziehungen arbeiten, schaffen wir die Voraussetzung für “Resilienz” und werden dadurch aus Krisen nicht durch Beziehungsverlust, sondern mit verbesserten Beziehungen und gestärkt hervorgehen.
Unsere eigenen Beobachtungen zeigen, dass diese Resilienz auch für die Partnersuche gilt:
- die Anzahl positiver Rückmeldungen über erfolgreiche Vermittlungen hat in dem letzten Jahr nicht abgenommen, sondern zugenommen.
In einem vorherigen Artikel habe ich eine andere Studie behandelt, die zeigt, dass Menschen in stabilen Beziehungen seelisch weniger unter der COVID-Pandemie leiden als Singles oder Personen in instabilen Beziehungen.
Partnersuchende sollten entsprechend nicht darauf fixiert sein, unbedingt und schnell eine Beziehung wollen, sondern der Zielfokus sollte auf der richtigen Partnerwahl, dem vertieften Beziehungsaufbau und im Anschluss auf der kontinuierlichen Arbeit an der Aufrechterhaltung und Verbesserung der Beziehungsqualität liegen.
Psychologische Befunde belegen eindeutig, dass es besser ist, Single zu sein, als in einer unglücklichen Beziehung zu leben. Finden Sie aber die richtige Beziehung und kümmern sich um sie, werden Sie krisenfest.
Sie haben also allen Grund, die Partnersuche gelassen und geruhsam anzugehen!