Ein schöner Beginn …
Sie lernen die andere Person beim Online-Dating kennen, in diesem Fall bei Gleichklang. Die Kommunikation passt, sie telefonieren bald und schieben das Treffen auch nicht auf die lange Bank. Das erste Treffen übertrifft Ihre Erwartungen. Sie verspüren emotionale Resonanz, eine auch körperlich angenehme Nähe entsteht. Beide Leben lassen sich gut miteinander verbinden und die Zukunft wird bereits geplant. Schon bald werden sie einige Urlaubstage miteinander verbringen, der Termin steht fest.
Es beginnt der Traum einer neuen Beziehung nach Jahren der Partnerlosigkeit. Nachdem zwei Söhnen, großteils alleine großgezogen, davon einer schwer krank, sich auch nun verselbstständigen. Finanzielle Probleme sind bereits überwunden. In jüngster Vergangenheit haben Sie einen neuen Arbeitsplatz angetreten, der Sie erfüllt. Sie können sich an den kleinen Dingen des Lebens freuen.
Alles passt, nur der Partner fehlte noch – bisher. Doch jetzt scheint sich auch dies zu ändern. Was für eine schöne Geschichte!
Ein unsicheres Erwachen …
Nur eine kleine Irritation gibt es:
- Der Traummann ist getrennt, nicht aber von seiner Frau geschieden. Aus finanziellen Gründen, versichert er. Seine Frau sei ohnehin bereits ausgewandert.
Und dann bricht der Traum zusammen und was verbleibt, sind quälende Ungewissheit, Trauer und Selbstzweifel.
So erging es einer Klientin, mit der ich neulich ein ▶ Coaching-Gespräch führte.
Was war geschehen?
Ein paar offene Fragen über die eheliche Situation waren bereits für ihn „bohrend“. Nur leider ergaben sie sich aus so manchen Details, die unklar schienen.
Der langen Rede kurzer Sinn:
- Die Ehefrau war bereits ausgewandert. Nur war sie bereits wieder zurückgekehrt. Sie wohnt nun in einer Ferienwohnung des Mannes und dort verbringt er gelegentlich mit ihr die Wochenenden.
- Alles rein freundschaftlich – aber warum sagte er dies nicht von vornherein? Warum rückte er scheibchenweise mit weiteren Informationen aus? Warum musste erst gefragt werden, was er dann wiederum als „bohrend“ empfand?
Ungewissheit breitete sich aus. Meine Klientin hatte bereits einige Erfahrungen und wusste für sich eines ganz genau:
- Sie wollte keine offene und auch keine polyamore Beziehung, und sie wollte die neue Beziehung mit Klarheit starten. Mit der gleichen Offenheit und Klarheit, mit dem Sie ihn in ihr Zuhause eingeladen und ihrem Sohn vorgestellt hatte.
Als sie diesen Wunsch nach Klarheit aber deutlich machte, da tauchte er ab:
- Wie es mit ihnen weitergehen werde, wisse er nicht. So ähnlich schrieb er es noch ein zweites Mal, als sie ihm später zum Geburtstag gratulierte. Seither – ein guter Monat ist um – hört sie:
Nichts!
„Lag der Fehler bei mir?”
Meine Klientin fragte sich seither, ob sie etwas falsch gemacht habe? Ob sie zu offen gewesen sei?
So sahen es auch einige ihrer Freund:innen, die meinten, sie hätte nicht gleich alle Karten sofort offen auf den Tisch legen sollen. Oder hätte sie nicht nachfragen sollen?
Das, was meine Klientin hier erlebte, ist nicht selten. Daher ergibt es Sinn, diese Fragen auch öffentlich zu stellen.
Gibt es richtige Antworten?
Ich glaube, ja. Denn das, was mir bei der großen Mehrheit der Gleichklang-Paaren auffiel, die wir befragten, war hauptsächlich eines:
- Schnelle, sofortige und rückhaltlose Offenheit.
- Bei vielen war es genau diese Offenheit, die bei beiden den Weg in die Beziehung bahnte.
- Hätte die Offenheit gefehlt, bei so manchen der Paare wäre es wohl doch nichts mit der Beziehung geworden.
Ich wiederhole es immer mal wieder, weil es so wichtig ist:
- Bei der Partnerfindung wollen wir niemanden hinters Licht führen, damit sich diese Person auf eine Beziehung mit uns einlässt. Wir wollen vielmehr diejenige Person treffen, die uns so liebt, wie wir sind.
Dies aber können wir nur dann erreichen, wenn wir uns auch so geben, wie wir sind. So kann eine fundierte, tragfähige, den Stürmen der Zeit standhaltende Entscheidung für eine Beziehung entstehen.
Und deshalb glaube ich, dass meine Klientin alles richtig gemacht hat. Durch ihre Offenheit hat sie einer Beziehung eine Chance gegeben. Diese Chance sollten und müssen wir geben, wenn wir ernsthaft nach einer Beziehung suchen und sie auch finden wollen.
Hätte es keine Kollision gegeben, wäre dies der Weg zum Erfolg gewesen.
Aber hat sie zu viel gefragt?
Keineswegs:
- Suchen wir eine Beziehung auf authentischer Basis, liegt die Klarheit in unserem eigenen Interesse. Wissen zu wollen, wie unsere möglichen künftigen Partner:innen leben, ist ebenso selbstverständlich wie legitim.
- Erleben wir solche Fragen als „bohrend“, haben wir etwas zu verbergen. Keine gute Voraussetzung für einen Beziehungsstart.
- Zum Glück hat meine Klientin diese Fragen gleich am Anfang gestellt. Alles andere hätte ihre emotionale Involviertheit nur erhöht und die Situation verschlimmert.
„Besser ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende”, an der alten Volksweisheit ist etwas dran, wie an den meisten.
Fassungslos macht meine Klientin weiterhin die Ungewissheit. Keine Klarheit über die Ausgangssituation. Er wisse nicht, wie es weitergehen werde und dann taucht er ab.
Studien zeigen, dass solche Ungewissheit bei Weitem schmerzhafter ist als eine explizite Absage. Meine Klientin hätte besser damit umgehen können, wenn er ihr gesagt hätte, er sei weiterhin mit seiner Ehefrau zusammen.
So entsteht Raum für Selbstzweifel. Die enorme Resonanz, die körperliche Nähe, die gemeinsamen Zukunftspläne, sie werden nicht spurlos vergessen.
Und so kommt die Frage auf:
- Habe ich etwas falsch gemacht? Liegt es womöglich an mir, dass er sich zurückgezogen hat? Hätte ich etwas anderes machen können? Habe ich es zerstört?
Nein, sie hat es nicht zerstört. Kaputt gemacht hat es Ihr Dating-Partner. Und dies, obwohl auch er zunächst alles richtig machte:
- Denn schließlich teilte er seinen Status, getrennt, aber nicht geschieden, von vornherein offen mit. Hätte er diese Offenheit bei der Darlegung der aktuellen Situation beibehalten, für meine Klientin wäre – so oder so – die heutige Situation eine ganz andere.
Warum er es nicht tat?
Wir können nur spekulieren. Womöglich ist er tatsächlich längst wieder mit seiner Ehefrau als Paar zusammen. Vielleicht ist es aber auch wirklich nichts als eine platonische Freundschaft. Oder es ist alles nicht ganz so klar und er ist selbst ambivalent.
Wie kann es weitergehen?
- Muss meine Klientin loslassen? Sollte sie den Kontakt für alle Zukunft beenden? Kann sie noch Klarheit erreichen? Gibt es Hoffnung, dass doch noch hieraus eine Beziehung entsteht? Wie kann es weitergehen mit ihrer Partnersuche?
Ich dachte hier an das, was Anja Wehrmann in unserem ▶ Gespräch über Ghosting erklärte. Sie sagte, manche ihrer Klient:innen wollten und könnten die andere Person innerlich nicht für alle Zeiten loslassen. So betrachten sie das letzte Kapitel des Buches als bis jetzt nicht geschrieben und legen das Buch zurück in den Bücherschrank.
Wie könnte es aber möglich sein, dass nach alledem noch ein anderes Kapitel entstehen kann?
Hier konnten meine Klientin und ich uns auf ein klares und eindeutiges Kriterium einigen:
- Sollte es noch zu einem weiteren Kontakt kommen, sollte die andere Person doch an einer Beziehung interessiert sei, müsste eine solche Klarheit, eine solche glasklare Klarheit entstehen, dass meine Klientin sich diese Klarheit nicht entziehen und sie direkt spüren könnte.
Was ging in ihm vor, wie ist die aktuelle Situation und wie sind seine aktuellen Ziele, Wünsche und Pläne?
Gelänge es der anderen Person, hier Antworten zu geben, die nichts an Klarheit zu wünschen übrigen lassen, wäre es möglich, noch einmal vor dem Hintergrund dieser Klarheit über eine gemeinsame Zukunft nachzudenken.
Die Bringschuld liegt aber bei dem Dating-Partner, nicht bei meiner Klientin.
Darf sie selbst noch einmal Schritte für mehr Klarheit unternehmen?
Es gibt zwei Antworten:
Terminale Abgrenzung
Erleben wir beim Dating solche oder vergleichbare Enttäuschungen, Zurückweisungen, Verletzungen, ist es für unsere psychische Integrität (und auch für unseren Dating-Erfolg) das wichtigste, nicht in unberechtigte Selbstzweifel zu verfallen, die Gefühle der Trauer anzunehmen und zu verarbeiten. Sodann können wir uns wieder neu orientieren.
Was wir nicht ändern können (z. B. Mangel an Klarheit) müssen wir akzeptieren. Denn sonst verlängern wir nur unser Leid oder fallen der Verbitterung anheim, was der schlechteste Ratgeber ist.
Für uns alle ist es wichtig, uns von Dingen und Personen lösen zu können, wenn sich unsere Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen nicht bestätigen und wir dagegen auch nichts machen können.
Insofern wäre es eine mögliche und auch wirksame Strategie, wenn meine Klientin bereits jetzt dieser Beziehung ein endgültiges Stopp-Signal setzt, den Schmerz annimmt und die Ungewissheit über die Motive des Dating-Partners akzeptiert.
Die Erinnerung wird bleiben, aber der Schmerz wird einer gewissen Ratlosigkeit und Verblüffung weichen, mit der sich gut leben lässt, wenn die Erinnerung künftig auf diesen Lebensmoment zurückkommen wird.
Letzte Chance
Aber es gibt oftmals aus psychologischer Sicht keine eindeutigen Gebote und Verbote. Es kommt immer auf den einzelnen Menschen und die individuelle Lebenssituation an.
Soll das letzte Kapitel also noch offengehalten werden, könnte meine Klientin auch – wenn es ihr ein Bedürfnis ist – noch einmal den Schritt tun und der anderen Person deutlich machen, wie sehr ihr eine offene, klare, schonungslose Klärung ein Anliegen ist.
Erfolgt diese dann jedoch nicht oder erfolgt keine Antwort, ist es Zeit, das Buch endgültig zu schließen, die Klärungsversuche einzustellen, innerlich Abschied zu nehmen, das Erlebte zu verarbeiten und den Blick wieder nach vorn zu richten.
Offenheit hilft
Ich riet meiner Klientin abschließend vorwiegend eines; nämlich, dass sie auf keinen Fall ändern solle, was sie so wunderbar richtig machte:
- Mit diesem Potenzial an Offenheit wird der Moment eines Tages kommen, wo diese Offenheit auf einen Menschen trifft, der diese Offenheit widerspiegelt und mit dem sodann eine Liebesbeziehung beginnt.
Nun gilt es, mit einer aktiven, aber nicht verzweifelten Partnersuche die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dieser Moment Wirklichkeit wird.
Ganz entscheidend ist dafür auch, dass wir bereits vor der Partnerfindung im Hier und Jetzt an einer sinnerfüllten Alltagsgestaltung arbeiten und die Ressourcen wahrnehmen, wertschätzen und entwickeln, die wir haben.
Bei Gleichklang ist es unser Angebot und Anliegen, Sie auf diesem Weg zu begleiten: