Erstes Treffen als Schwelle
Viele erleben beim Online-Dating das erste Treffen als eine Zäsur oder eine Schwelle. Dies ist nachvollziehbar. Schließlich findet beim ersten Treffen ein Wechsel der Modalität des Kontaktes von der Online-, Telefon- oder Video-Ebene zur tatsächlichen Offline-Begegnung statt.
Für manche wird das erste Treffen dadurch sogar zur Barriere, der sich gar nicht erst stellen.
Als Ghosting wird das plötzliche und durch das Gegenüber als völlig unerklärlich erlebte Verschwinden einer Person bezeichnet, mit zuvor Online ein Kontakt bestand.
Ein Grund für Ghosting ist die Angst vor dem ersten Treffen.
Was macht das erste Treffen so schwierig?
Natürlich gibt es unzählige mögliche individuelle Gründe – oft dürfte aber einer der folgenden Gründe mindestens beteiligt sein:
- eigene Hemmungen: Selbstunsicherheit, Schüchternheit, geringer Selbstwert, geringe Einschätzung der eigenen Attraktivität können Befürchtungen aktivieren, nicht die richtigen Worte zu finden, in eine peinliche Situation zu geraten oder durch die anderen Person abgelehnt zu werden. Es kann auch die Sorge bestehen, schwer nein sagen zu können oder die andere Person nicht verletzen zu wollen.
- befürchtete Desillusionierung: es wird befürchtet, dass eine Illusion zerplatzt, Enttäuschung entsteht, nicht positiv an den Online-Kontakt angeknüpft werden kann. Die andere Person mag sich von den Eindrücken auf der Online-Ebene unterscheiden, möglicherweise sieht sie anders aus oder tritt anders auf als erwartet, es entsteht keine Resonanz.
- Bindungsvermeidung: Unsicherheit, ob eine Beziehung wirklich gewollt wird, Ambivalenz wird erlebt, es wird vor Festlegung, Entscheidung und Veränderung zurückgeschreckt, Angst vor Freiheitsverlust oder Beziehungs-Konflikten.
- Zeit und Aufwand: Terminierung, Planung, ggf. Anreise, Zeit- und Kraftaufwand werden gescheut, alles wird als anstrengend erlebt.
Oft wird nicht nur einer, sondern mehrere Gründe vorhanden sein.
Was kann getan werden?
Psychologische Studien
Glücklicherweise gibt es wirksame Strategien, um mindestens einem Teil dieser Komplikationen entgegenwirken zu können.
Aus einer Serie von Untersuchungen der Psychologin Sharabi (hier, hier und hier) ergaben sich folgende Beobachtungen:
- die Wahrscheinlichkeit, dass das erste Treffen positiv verlief und es zu weiteren Verabredungen kam, stieg an, wenn die vorherige Online-Kommunikation sich auszeichnete durch (1) Ausführlichkeit und Intensität, (2) ein hohes Ausmaß an Selbstöffnung und Authentizität, (3) eine Identifikation gemeinsamer Einstellungen, sowie (4) die Besprechung der wechselseitigen Partner- und Beziehungspräferenzen.
- ein erstes Treffen verlief negativer, wenn der Eindruck entstand, getäuscht worden zu sein, wenn vorher wenig Kommunikation stattfand, wenn keine gemeinsamen Einstellungen gefunden wurden oder kein Austausch über die Vorstellungen, Gedanken und Präferenzen zu Partnerschaft und Beziehung stattgefunden hatte.
Entkräftung der Bedenken
Durch eine gute Online-Kommunikation können also die Aussichten für einen positiven Verlauf eines ersten Treffens gestärkt werden.
Dies wiederum mag alle vier genannten Bedenken gegen ein erstes Treffen entkräften:
- Hemmungen sind umso stärker vorhanden, je weniger Menschen sich kennen und je weniger vertraut sie miteinander sind. Demgegenüber haben selbst gehemmte Menschen keine, kaum oder selten Befürchtungen im Umgang mit ihnen vertrauten Personen. Gelingt es also, in der Online-Kommunikation einen hohen Grad an Vertrautheit aufzubauen, können Hemmungen zurücktreten. Werden Telefongespräche und Video-Gespräche vor dem Treffen geführt, nehmen Ängste ab, keine Worte zu finden, aufgrund des eigenen Äußeren abgewiesen zu werden oder die andere Person abweisen zu müssen.
- Desillusionierung ist umso wahrscheinlicher, desto spärlicher oder illusionärer miteinander kommuniziert wurde. Sind viele Dinge offen, unklar oder unbekannt, werden die freien Stellen in der Vorstellung ausgefüllt, sodass ein Eindruck und eine Erwartung entstehen können, die der anderen Person nicht entsprechen. Wurde gar nicht-authentisch kommuniziert mit übermäßig positiver Selbstpräsentation, Verschweigen, falschen Alters- oder Größenangaben, der Verwendung nicht aktueller Bilder etc., nehmen illusorische Erwartungen zu, deren Korrektur beim ersten Treffen zu Desillusionierung und Enttäuschung führt. Je intensiver aber der Austausch auf der Online-Ebene stattfand und je mehr auch zu Telefonhörer und Video-Gespräch gegriffen wurde, desto weniger werden Illusionen und falsche Erwartungen entstehen. Dadurch nimmt auch die Angst vor Desillusionierung und Enttäuschung ab.
- Bindungsvermeidung entsteht nicht plötzlich, sondern ist bereits vorher vorhanden, mag jedoch durch ein anstehendes Treffen aktiviert oder sichtbarer werden. In vorherigen Gesprächen über die Vision einer künftigen Beziehung werden solche Tendenzen aber bereits deutlich werden. Sie können offen angesprochen werden, um zu klären, ob sie einer Beziehung im Wege stehen oder nicht. Dabei kann auch über das Verhältnis von Gemeinsamkeit und Unabhängigkeit von Anfang an miteinander gesprochen werden. Dadurch wächst die Einschätzbarkeit, der Druck nimmt ab und manchen Personen wird es so möglich werden, ihre Bindungsängste zu reduzieren. Aber selbst wenn klar wird, dass es für eine Partnersuche doch noch zu früh ist, ist dies eine wichtige Erkenntnis, die ehrlich kommuniziert werden kann. Eine explizite Absage, die nachvollziehbar ist, ist weniger verletzend als Ignorieren oder plötzliches Verschwinden.
- Zeit und Aufwand werden vorwiegend dann gescheut, wenn die Hoffnungen gering sind, dass eine Beziehung entstehen kann. Auch diesem Problem kann eine vertiefte Kommunikation auf allen Ebenen vor einem ersten Treffen wirksam entgegenwirken. Denn die Hoffnung wächst und die Befürchtungen sinken, wenn eine gute Basis bereits geschaffen ist.
Sicherlich wird das erste Treffen ein bahnender Wendepunkt bleiben und so wird es immer eine gewisse Schwelle sein.
Der Charakter als Barriere kann aber durch eine wirksame Online-Kommunikation abgebaut werden.
Die Aussichten für einen positiven Verlauf des ersten Treffens lassen sich steigern und dies reduziert Befürchtungen und negative Erwartungshaltungen.
Wenn Sie sich an diesen Empfehlungen orientieren, wird das erste Treffen für Sie kein Blind-Date sein, sondern kann zur natürlichen Fortsetzung dessen werden, was Sie bereits Online gemeinsam begonnen haben.