Dieser Artikel soll Gleichklang-Mitgliedern und anderen Lesern und Leserinnen Anregungen für den Umgang mit Fotos und Text bei ihrem Online-Dating geben.
Fotos und Text beim Online-Dating
Wie verwenden Nutzer:innen von Online-Dating-Plattformen Fotos oder andere visuelle Information und Text bei ihrer Partnersuche.?
Im Folgenden werde ich auf drei Studien eingehen, die sich dieser Frage näher widmen:
- die finnischen Wissenschaftler Jänkälä, Lehmuskallio und Takala (2019) haben eine qualitative Interview-Studie mit finnischen Tinder-Nutzer:innen durchgeführt.
- eine Studie von De Vries (2010) untersuchte, wie sich Foto und freier Text auf die Motivation auswirken, mit einer Person in Kontakt zu treten.
- eine Untersuchung von Antheunis, Schouten und Walther (2020) verglich die Auswirkungen eines Erstkontaktes per textbasierter Kommunikation versus Video-Chat auf die soziale und romantische Anziehung vor und nach einem realen Treffen.
Die Ergebnisse dieser Studien sagen uns viel über die Bedeutsamkeit von visuellen und textbasierten Informationen sowie ihr Zusammenspiel beim Online-Dating.
Die Befunde implizieren zudem, dass unterschiedliche Stile im Umgang mit Fotos, visuellen Informationen und Text für die Partnersuche bedeutsame Konsequenzen haben können.
Mit diesen Konsequenzen werde ich mich nach Vorstellung der Ergebnisse näher beschäftigen.
Fotos beim Tinder-Dating
In ihrer qualitativen Studie zeichnen Jänkälä, Lehmuskallio und Takala nach, wie Tinder-Nutzer:innen Fotos einsetzen. Den Fotos kommt dabei nicht mehr die traditionelle Funktion der Erinnerung an die Vergangenheit zu, sondern es geht um die Gestaltung der Zukunft.
Schließlich entscheidet ein einfacher Wisch nach links oder rechts, ob eine Person womöglich zum Lebenspartner:in wird oder aller Wahrscheinlichkeit nach für immer aus dem eigenen Leben verschwindet.
Dies ist keine neue Erkenntnis.
Viel aussagekräftiger finde ich daher auch die Befunde der Autor:innen zu der Frage, welche Bedeutung Fotos spielen, nachdem sich die betreffenden Personen bereits getroffen haben?
Dem Fotoaustausch nach dem ersten Treffen kommt eine – so finde ich – bemerkenswerte Funktion zu – Zitat aus dem Artikel (aus dem Englischen übersetzt):
- “Die Profilfotos auf sozialen Dating-Seiten verlieren viel von ihrer Bedeutung, nachdem sich Paare getroffen haben, aber sie helfen immer noch dabei, sich an die Person zu erinnern. Ohne Fotos müssten sich die Menschen auf ihre Erinnerungen an die Person zwischen den Dates verlassen. Profilfotos helfen nicht nur beim Erinnern, sondern man kann auch neue Aspekte der anderen Person aus den verschiedenen Profilbildern ableiten. Außerdem können die Fotos unterschiedlich betrachtet werden, je nachdem, was man nun über die andere Person weiß. “
Eine Interviewte fasste dies folgendermaßen zusammen:
- “Es hat eine große Bedeutung, vor allem, weil man die andere Person nicht sehen kann. So hat man eine Möglichkeit, sich an diese Person zu erinnern. Und weil es verschiedene Fotos gibt, sieht man auch andere Aspekte der Person. Aber vor allem erinnert man sich irgendwie besser daran, was für eine Person er ist.”
Erkennbar wird hier also ein in hohem Ausmaß durch Austausch von Fotomaterialien gesteuerter Kennenlernprozess, bei dem gleichzeitig die Quantität der potentiellen Beziehungspartner:innen so hoch ist, dass selbst nach einem ersten Kennenlernen Fotos notwendig sind, um sich überhaupt an die andere Person zu erinnern.
Bilder-Dating effektiv?
Es bestehen allerdings aus psychologischer Sichtweise Zweifel an der Wirksamkeit solcher Dating-Muster.
Sicherlich finden sich in Anbetracht der schieren Menge der Nutzerinnen und Nutzer immer mal wieder feste Beziehungen, aber für den Großteil gilt dies nicht.
Sonst befänden wir uns nicht in einer Zeit, in der so viele Kontaktmöglichkeiten wie noch nie über das Internet bestehen und gleichzeitig die Anzahl unfreiwilliger Singles ebenfalls so hoch ist wie noch nie.
Erkennbar wird:
- die Quantität der Vorschläge, der Fokus auf äußerliche Attraktivität und die große Anzahl der Dates hilft im Regelfall nicht, wenn es darum geht, Beziehungspartner:innen zu finden.
- wäre es anders: mit Tinder und den ganzen anderen Dating-Apps wären wir längst im Beziehungsparadies.
Rolle des Textes
- sind Fotos der einzige Faktor, der unser Dating-Interesse steuert, wie die Dating-Apps nahelegen wollen?
- oder ist der freie Text genauso wichtig oder gar wichtiger?
Hierzu hat De Vries Untersuchungen durchgeführt, die das Dunkel ein wenig lichten:
- in einer ursprünglichen Studie unter den Nutzer:innen einer großen kommerziellen Online-Dating-Seite hatte sich sich gezeigt, dass die erlebte Attraktivität durch Dating-Profile sich ausschließlich durch das Foto ergibt und der freie Text keine substantielle Rolle spielt.
- zu Recht frage sich De Vries, ob dies tatsächlich bedeute, dass der ganze Aufwand bei der Erstellung freier Texte und der Fokus, den auch viele Dating-Plattformen in ihren Empfehlungen auf diese freien Texte legten, reine Zeitverschwendung sei?
- wäre dies der Fall, hätte Tinder recht. In diesem Fall wäre Partnersuche lediglich eine Fotoauswahl mit sekundenschnellen Wischfunktionen.
Anstatt sofort das Segel zu streichen und die Rolle nicht-visueller Informationen beim Online-Dating vorschnell zu verneinen, hat De Vries ihre eigene Forschung methodenkritisch betrachtet mit einer Reihe potentiell bedeutsamer Implikationen, von denen ich hier nur auszugsweise drei benenne:
- Könnte die längere Betrachtungszeit für Texte ein Faktor sein, der ihren Einfluss verbirgt? In ihrer ersten Studie verglich De Vries Fotos mit Texten, wobei letztere zur Rezeption wesentlich mehr Zeit erforderten. Es könnte aber sein, dass sich Nutzer:innen eben diese Zeit nicht nahmen und sich nur an den Fotos orientierten, Wäre dies der Fall, wäre der fehlende Effekt des Textes zu erwarten.
- Könnte es zu einem Choice-Overload gekommen sein? Bei einer Überfrachtung mit Informationen greifen Nutzer:innen zu einem oberflächlichen sich rein visuell orientierenden Verarbeitungsmodus. Sehr viele Profile, Alternativen, zusätzliche Werbeinformationen etc. können so einen Effekt auslösen.
- Ist es möglich, dass die Dating-Texte zu uniform und einheitlich waren? Wenn alle Texte gleich sind, fehlt es an individuell herausstechenden Informationen, so dass der Informationswert eines Textes geringer wird als der Informationswert eines Fotos?
Zum Ausschluss dieser und weiterer Einflussfaktoren führte De Vries ein deutlich stärker kontrolliertes Experiment durch mit folgenden Merkmalen:
- es wurde sichergestellt, dass für Fotos und Text jeweils genug Zeit vorhanden war
- Text und Foto wurden separat in balancierter Reihenfolge präsentiert. Bild und Text wurden separat präsentiert, um mögliche Fokussierungs- und Inferenzeffekte auszuschließen, bei denen am Ende womöglich nur eine Modalität wahrgenommen wird oder dominiert.
- die Texte wiesen eine ausreichende Unterschiedlichkeit auf.
- vorher waren die jeweiligen Fotos und Texte aufgrund der Ratings einer Beurteiler-Stichprobe bezüglich ihrer Attraktivität eingestuft worden und es wurden nachfolgend alle möglichen Kombinationen von Bild (attraktiv/unattraktiv) und Text (attraktiv, weniger attraktiv) dargeboten.
- allen Teilnehmenden wurden nur fünf entsprechende Foto-Text-Kombinationen vorgelegt, um mögliche Ermüdungseffekte und Überlagerungseffekte gering zu halten.
- im Anschluss an die Betrachtung jeder Foto-Text-Kombination wurden die Teilnehmenden gebeten, anzugeben, wie sehr sie an einem Kennenlernen der jeweiligen Person interessiert wären.
Nunmehr ergaben sich gänzlich andere Ergebnisse als vorher:
- Bild und freier Text übten unabhängig voneinander einen Effekt auf das Interesse aus, die entsprechende Person kennenzulernen.
- ein attraktiver Text erhöhtes das Interesse auch bei einem unattraktiven Bild und umgekehrt erhöhte ein attraktives Bild das Interesse auch bei einem weniger attraktiven Text.
- bei Frauen war der Effekt des Textes genauso stark wie der Effekt des Bildes, bei Männern war der Effekt des Bildes doppelt so stark wie der Effekt des Textes.
Experiment und Wirklichkeit
Die Wirklichkeit dürfte bei den Milliarden Nutzer:innen der Dating-Apps so sein wie die erste Studie von De Vries, die sich auf eine große Dating-Seite bezog und wo sich keine Effekte des Textes zeigten:
- die Nutzer:innen scrollen durch eine riesige, nicht endende Anzahl an Profilen, bei denen das Foto der zentrale, ja fast der gesamte Teil ist.
- ihre Entscheidungen treffen die Nutzer:innen in Sekundenschnelle.
- ausschließlich oder fast ausschließlich das Foto entscheidet über das Kennenlernen.
Dies ist aber nicht Naturnotwendigkeit, sondern es ist das Ergebnis der Struktur der entsprechenden Dating-Seiten und der Personen, die diese Dating-Seiten als Mitglieder gewinnen.
Wie ist es bei Gleichklang?
Auch bei Gleichklang kann die komplette Überlagerung durch das Foto bei Ausblendung aller anderen Informationen zum Tragen kommen:
- Nutzer:innen scrollen die Kontaktliste durch und öffnen nur Profile, deren Foto sie sofort anspricht.
- öffnen sie das Profil, haben sie sich schon fotobedingt einen Eindruck geschaffen, der nunmehr die weitere Verarbeitung überlagert.
- letztlich bestimmt bei diesen Personen vorwiegend das Foto die Auswahlentscheidungen.
Dies ist ein mögliches Muster, aber nicht das typische Muster. Wir sehen auch ganz andere Verläufe, wenn Gleichklang-Mitglieder folgende Empfehlungen berücksichtigen, die wir Ihnen ans Herz legen:
- öffnen Sie ausnahmslos jedes Profil und betrachten Sie die Vorschlagsliste bitte nicht als sekundenschnelle Scroll-Liste für Auswahlentscheidungen.
- nehmen Sie sich Zeit, um jedes Profil anzuschauen und den freien Text in Gänze zu lesen.
- nehmen Sie aktiv und eigeninitiativ Kontakt zum Profil auf, wenn es nicht ein völlig klares und nach Ihrer Überzeugung unumstößliches Signal gibt, dies nicht zu tun.
- machen Sie Ihre weiteren Eindrücke und Entscheidungen vom direkten Online-Austausch und nicht nur von der Profilbetrachtung abhängig.
Je mehr sich Mitglieder diese Empfehlungen zu Herzen nehmen, desto stärker wird die Gesamtheit der Informationen Ihre Eindrücke prägen. Es entsteht so eine authentischere und tatsächlich aussagekräftigere Basis für Eindrücke und Entscheidungen entstehen.
Je weniger sich Mitglieder an diesen Empfehlungen orientierten, desto stärker werden die Eindrücke rein oberflächlich sein, primär visuell geprägt werden mit einem Verlust der Ganzheit der Person.
Übrigens haben wir bei Gleichklang ausführlich analysiert, welche Unterschiede in Vorhandensein und Länge des freien Textes bei erfolgreichen und nicht-erfolgreichen Gleichklang-Mitgliedern bestehen.
Zitat aus dem vorherigen Blog-Artikel zu dieser Auswertung:
“Wir haben uns einmal in einer Stichprobe von 4756 (ehemaligen) Gleichklang-Mitgliedern, die entweder erfolgreich über uns eine Partnerschaft fanden oder nicht erfolgreich waren, angeschaut, welche Zusammenhänge eigentlich zwischen dem freien Text und dem Vermittlungserfolg bestehen. …
40,7% derjenigen ohne freien Text fanden eine Partnerschaft, 56,4% derjenigen mit einem freien Text bis maximal 725 Zeichen (Mediansplit) gelangten zum Erfolg, aber 62,2% derjenigen mit einem freien Text von mehr als 725 Zeichen fanden bei uns einen Partner oder eine Partnerin. …
Bis zu einer Textlänge von 1300 Zeichen nimmt der Vermittlungserfolg mit wachsender Textlänge rasch zu. Danach nimmt der Vermittlungserfolg mit steigender Textlänge zwar weiter zu, aber weniger stark ausgeprägt und nur noch bis zu einer Gesamtlänge von 2000 Zeichen. Ab 2000 Zeichen nimmt der Vermittlungserfolg nicht mehr mit steigender Textlänge zu.”
Mitglieder mit längerem freien Text gelangen also häufiger zum Erfolg. Dies mag an vielen Gründen liegen>
- sie mögen mehr Resonanz erhalten.
- ihr längerer freier Text mag aber auch ein Indikator für mehr Engagement und eine stärkere Bereitschaft zu umfassendem Austausch sein.
Dieses Real-Welt-Ergebnis bei Gleichklang unterscheidet sich übrigens vom Design des Experimentes von De Vries:
- hier waren die Texte extrem kurz gehalten, damit sie vollständig gelesen werden und keine Effekte von Überlastung und selektiver Aufmerksamkeitsfokussierung entstehen.
Unsere eigenen Auswertungen sprechen für längere Texte, was sich auch in Umfragen zeigt, wo längere Texte als interessanter beurteilt werden.
Trotzdem mag sich die Textlänge unterschiedlich auswirken:
- es liegt an den betrachtenden Mitgliedern selbst, ob sie sich die Zeit nehmen, sich ein gesamtes Profil vollständig und ganzheitlich anzuschauen, oder ob sie sich durch verkürzte Sichtweisen und selektive Wahrnehmung leiten lassen.
- Speed-Dater mögen lange Texte selektiv überfliegen oder auslassen und sich nur am Foto oder den ersten Worten orientieren.
- Slow-Dater werden den gesamten Text lesen und und sich in ihren Eindruck auch durch den Text maßgeblich leiten lassen.
Die vielen Beschwerden, die wir über fehlende oder zu kurze Texte erhalten, weisen darauf hin, dass es bei Gleichklang eine Reihe von Mitgliedern gibt, die auf aussagekräftige Profile und komplexere Informationen Wert legen.
Umgekehrt gibt es andere Mitglieder, die sich wie bei den Dating-Apps quasi nur durch visuelle Reize leiten lassen und Profile ausschließlich nach einer ins Auge springenden Foto-Attraktivität bewerten:
- solche Mitglieder beschweren sich beispielsweise darüber, dass sie bei uns ein Profil öffnen müssen, um es löschen zu können, oder darüber, dass sie nicht direkt von der Kontaktliste aus ohne Öffnung bereits eine Nachricht versenden können.
Struktur unserer Gleichklang-Plattform
Wir müssen einräumen, dass mit unserer Neuaufsetzung 2017 eine Änderung eingetreten ist, die die Öffnungsrate von Profilen reduzierte und stärker als vorher die Möglichkeit einer eher oberflächlichen, fotoabhängigen Verarbeitung förderte:
- früher gab es bei uns kein Profilbild, sondern Bilder waren erst nach vollständigem Öffnen des Profils sichtbar.
- aufgrund der vielen Kritik hatten wir dies 2017 geändert und seitdem gibt es Profilbilder.
- im Ergebnis entstand auch bei Gleichklang eine Gruppe von Mitgliedern, die die Kontaktliste in hoher Geschwindigkeit durchscannen und nur sehr wenige Profile öffnen.
- diese Gruppe öffnet nahezu nie fotolose Profile und scheint insbesondere nach herausstechenden visuellen Attraktivitätsmerkmalen zu suchen.
- die Ganzheitlichkeit eines Profils und die Vollständigkeit der Informationen wird so durch diese Gruppe nicht zur Kenntnis genommen.
Bedauerlich ist dies auch aufgrund unseres folgenden Befundes:
- fast 50 % der Gleichklang-Mitglieder waren durch das vorgeschlagene Profil ihres späteren Beziehungspartner:in zunächst nicht sonderlich beeindruckt, was sich aber im Verlauf der Kommunikation änderte.
- diejenigen, die nun sogar nur das Foto der Kontaktliste in Sekundendenschnelle zur Kenntnis nehmen, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Kontaktmöglichkeiten verlieren, aus denen sich womöglich glückliche Beziehungen entwickelt hätten.
Bei allem “Loblied auf den freien Text” und eine “komplette Profilbetrachtung“, die über eine reine “Scanner-Mentalität” hinausgeht, sollte das Profil und dessen Betrachtung insgesamt nicht überschätzt werden:
- aus einem Profil mögen auch bei vollständiger Betrachtung falsche Schlüsse gezogen werden, einerseits weil jedes Profil nie die ganze Person vorstellen kann, Worte ausgewählt wurden und individuelle Assoziationen beim Lesen eines Profils sehr subjektiv sein mögen.
Der Rat lautet daher, das Profil nur als einen Anreiz zu betrachten, um direkt in den Kontakt zu treten.
Grundsätzlich empfehlen wir typischerweise, während des Prozesses der Suche nach einer passenden Person ungefähr jedes dritte Profil anzuschreiben.
Hintergrund dieser Empfehlung ist, dass wir erkennen können, dass bei entsprechend hohen Erstnachrichten-Raten eine deutliche Beschleunigung der Partnersuche eintritt.
Allerdings ist dies natürlich nur eine sehr pauschale Richtschnur:
- Mitglieder mit sehr seltenen Merkmalen, die nur sehr selten Vorschläge erhalten, sollten – wenn nichts grundlegendes dagegen spricht – möglichst jeden Vorschlag anschreiben.
- Mitglieder mit sehr vielen Vorschlägen mögen durch das Anschreiben von jedem dritten Vorschlag überfordert sein. In diesem Fall empfehlen wir, die Suchkriterien strenger einzustellen oder Vorschläge temporär auszusetzen.
- sobald sich ein aussichtsreicher, sich vertiefender Kontakt ergibt, sollte dieser zunächst ausgelotet werden, bevor weitere Personen angeschrieben werden.
Text versus Video
Recht viele Menschen scheinen intuitiv zu meinen, dass für die Partnersuche die visuelle Dimension entscheidend sei und Texte hier nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Tatsächlich zeigen aber die Befunde von De Vries, dass Texte für das Erleben von Anziehung ebenfalls maßgeblich sind.
Zudem gibt es weitere Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass ein textbasierter Austausch die Begegnung im Dating-Prozess positiv prägen und tiefgreifend beeinflussen kann:
- in einer Untersuchung von Antheunis, Schouten und Walther (2020) kommunizierten Teilnehmende eines Speed-Dating entweder während eines Erstkontaktes vor der realen Begegnung per Textaustausch oder per Videochat.
- vor der realen Begegnung schätzten die Teilnehmenden, die per Text kommunizierten, ihre wechselseitige soziale Anziehung (miteinander Zeit sprechen wollen, sich befreunden wollen) höher ein als Teilnehmende, die per Videochat den Erstkontakt aufgenommen hatten.
- keinen signifikanten Unterschied gab es zwischen den Gruppen bei der romantischen Anziehung (Person gutaussehend finden, sexuell an Person interessiert sein).
- nach dem realen Treffen blieb die soziale Anziehung höher bei der Gruppe, die zuerst textbasiert miteinander kommuniziert hatte. Die romantische Anziehung nahm in beiden Gruppen im Durchschnitt gleichstark ab (Desillusionierung), der vorherige stark visuelle geprägte über Video-Chat schützte hiervor nicht.
Die vollständige Liebe kennzeichnet sich keineswegs nur oder vorwiegend durch sexuelle und äußerliche Anziehung, sondern kameradschaftlich-freundschaftliche Komponenten spielen eine entscheidende Rolle für Beziehungszufriedenheit und Beziehungsstabilität (siehe auch diesen vorherigen Blog-Artikel).
Eine initiale textbasierte Kommunikation scheint genau diese kameradschaftlich-freundschaftliche Komponente stärker zu aktivieren, ohne dass die sexuell-begehrensbezogene Komponente darunter leiden würde.
Diese förderliche Rolle des textbasierten Austausches ist ein Grund, warum es bei Gleichklang keinen initialen Video-Chat gibt, wo Mitglieder sofort in einen stark visuell gekennzeichneten Austausch miteinander treten könnten.
Damit möchte ich mich keineswegs gegen Video-Chats im allgemeinen wenden:
- sehr interessant wäre es gewesen, wenn Antheunis, Schouten und Walther nicht nur einen initialen Textaustausch und einen initialen Video-Austausch untersucht und verglichen hätten, sondern zusätzlich einen initialen Textaustausch, der vor der Begegnung durch einen Video-Chat ergänzt worden wäre.
Möglicherweise hätten sich dann doch auch Vorteile eines Video-Chat gezeigt, die aber eben nicht sofort bei Erstkontakt eintreten, sondern erst dann, wenn sich zwei Menschen zuvor bereits textbasiert kennengelernt haben.
Was wir bei Gleichklang hieraus lernen
Wir überlegen ernsthaft, die fotobestückte Kontaktliste in unserer Ende des Jahres Online gehenden Neuaufsetzung wieder auszubauen. Fotos werden dann erst sichtbar sein, wenn ein Profil auch geöffnet wurde.
Psychologische Untersuchungen sprechen jedenfalls dafür, dass eine Struktur ohne fotogesteuerte Auswahlmöglichkeit für die Öffnung eines Profils die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Profile nicht nur hoch selektiv und visuell gescannt werden, anstatt ein Profil vollständig und ganzheitlich betrachtet wird.
Wir werden hierzu aber auch noch einmal über eine Umfrage die Meinung unserer Mitglieder einholen.
Wir werden die textbasierte Erst- und Folgekommunikation weiterhin als Schwerpunkt belassen.
Zwar planen wir auch einen Video-Chat, der aber nicht für die Erstkommunikation, sondern nur nach beidseitiger Freischaltung für spätere Kommunikationsschritte zur Verfügung stehen wird.
Wir möchten unsere Mitglieder weiterhin motivieren, sich jedes Profil ernsthaft anzuschauen, den Erstkontakt aufzunehmen und sich auf einen tieferen textbasierten Austausch einzulassen, bevor zu Telefon, Video oder realen Begegnungen übergegangen wird.
Was Partnersuchende lernen können
- glauben Sie nicht an jeden Trend und halten Sie sich vom sekundenschnellem Bilderscannen fern. Dies führt zu hoch selektiver Wahrnehmung und mag genau die falschen Entscheidungen veranlassen.
- lassen Sie sich auf den einzelnen Menschen ein und versuchen Sie, gemeinsam zu ergründen und auszuloten, ob eine Beziehung miteinander möglich ist. Nehmen Sie sich dafür den notwendigen Zeithorizont.
- Partnersuche heißt keineswegs, jeden Tag oder ständig beschäftigt zu sein, es bedeutet nicht, möglichst viele Profile “durchzuchecken”, der Erfolg ergibt sich weder aus der Kurzweiligkeit noch aus der Anzahl der Verabredungen. Es kommt allein darauf an, dass Sie eines Tages einem Menschen begegnen, mit dem Sie in einer Beziehung wechselseitig glücklich werden.
- lassen Sie eine zweite Bewertung zu und glauben Sie nicht, dass der allererste Eindruck immer auch der verbleibende Eindruck sein wird. Bedenken Sie, dass bei der Hälfte aller Gleichklang-Paare erst ein tieferer zweiter Eindruck zu dem bleibenden Eindruck und einer positiven Beziehungsentscheidung führte. Hätten diese Mitglieder diesen zweiten Eindruck gar nicht mehr zugelassen, hätten sie ihre Beziehungspartner:innen nicht kennengelernt.
- weisen Sie Profile ohne Foto nicht zu schnell zurück. Auch hinter diesen Personen stehen reale Menschen, mit denen Sie womöglich ein gemeinsames Leben aufbauen können. Es mag sich um Personen handeln, die ganz bewusst von der sofortigen Fotopräsentation Abstand nehmen, weil sie das gesellschaftlich dominante Foto basierte Dating-Modell ablehnen. Es mag sich aber auch um Personen handeln, die aus gegebenen Gründen nicht von jedem sofort erkannt werden möchten. Führt ein erster textbasierter Austausch zu einem wechselseitigen Interesse, wird meistens auch ein Fotoaustausch folgen.
- gehen Sie die Partnersuche als einen nachhaltigen und wertschätzenden Begegnungsprozess an, bei dem niemand verliert, sondern zwei Menschen nur gewinnen können, wenn sie feststellen, dass ein gemeinsames Leben möglich ist.