Finanzieller Selbstwert und Partnerglück
Zahlreiche Studien zeigen, dass bei finanziellen Problemen im Durchschnitt die Partnerschaftszufriedenheit sinkt.
Grund scheinen Konflikte zu sein, die aus der durch die finanziellen Probleme verursachten höheren Stressbelastung entstehen.
Heute möchte ich mich aber mit der gegenläufigen Frage beschäftigen, die ich viel interessanter finde, nämlich:
- warum kommt es in zahlreichen Beziehungen trotz finanzieller Probleme zu keiner Verminderung der Beziehungszufriedenheit?
Diese Frage finde ich vor allem deshalb interessanter, weil wir aus ihr lernen können, wie wir unter mehr oder weniger belastenden Umständen eine gute Beziehungsqualität erreichen und aufrechterhalten können.
Zudem mag uns die Antwort über den Bereich der Beziehungszufriedenheit hinaus weitere Anregungen für unser Leben geben und uns dadurch verhelfen, zu einem zufriedeneren Leben zu gelangen.
Liebe zum Geld und Liebe zum Beziehungspartner
Ausgangspunkt meines Artikels ist eine Serie psychologischer Untersuchungen, die vor Kurzem im Journal of Social and Personal Relationships veröffentlicht wurde unter dem Titel: “For the love of money: The role of financially contingent self-worth in romantic relationships” (aus Liebe zum Geld: Die Rolle des finanziell bedingten Selbstwerts in romantischen Beziehungen).
Die Autoren untersuchten folgende Fragestellung:
- wie wirkt sich das Ausmaß, in dem wir unseren Selbstwert über unsere verfügbaren Geldmittel definieren, aus auf:
(1) finanzielle Konflikte in einer Beziehung
(2) Beziehungszufriedenheit
(3) Gefühl, vom Beziehungspartner unterstützt zu werden
Dabei wurden eine Reihe von Kontrollvariablen erhoben, wie die Einkommenshöhe, aktuelle finanzielle Belastungen (die beispielsweise sogar bei hohem Einkommen aufgrund von Schulden entstehen können) und materialistische Grundeinstellungen.
Ergebnisse
Aus den verschiedenen Untersuchungen ergaben sich diese Hauptergebnisse:
- je stärker Menschen ihren Selbstwert über Geld definieren, desto häufiger berichten sie über finanzielle Konflikte mit ihren Beziehungspartnern.
- je stärker finanzielle Konflikte in Beziehungen berichtet werden, desto geringer ist die Zufriedenheit mit der Beziehung und desto seltener erlebten sich die Betreffenden durch einen Beziehungspartner unterstützt.
- alle diese Effekte bleiben bestehen, wenn für Einkommenshöhe, aktuelle finanzielle Belastungen und materialistische Grundeinstellungen kontrolliert wird.
Besonders beeindruckend fand ich übrigens das abschließende Experiment:
- bei einer Gruppe von Teilnehmern wurde durch einen Lesetext die Einstellung gefördert, dass finanzieller Erfolg sehr wichtig für die eigene Person ist.
- nachfolgend bewerteten diese Teilnehmenden – anders als die Teilnehmenden, denen der Text nicht vorgelegt wurde – mögliche Beziehungskonstellationen tatsächlich kritischer, sahen insbesondere mehr mögliche finanzielle Konflikte und weniger erhaltene Unterstützung durch die Beziehungspartner.
Im Ergebnis sehen die Autoren eine Vulnerabilitäts-Hypothese gestützt, gemäß derer die Definition des eigenen Selbstwertes über Geld – unabhängig von tatsächlichen wirtschaftlichen Mitteln – mit der Wahrnehmung von mehr finanziellen Konflikten in einer Beziehung, einer geringeren Beziehungszufriedenheit und einem geringeren Ausmaß an wahrgenommener Unterstützung durch einen Beziehungspartner einhergeht.
Dies alles nun positiv umgedreht, lässt sich mit den Ergebnissen natürlich ebenso folgende Resilienz-Hypothese stützen:
- definieren wir unseren Selbstwert ohne Bezug auf Geld, geht dies – unabhängig von tatsächlichen wirtschaftlichen Mitteln – mit der Wahrnehmung von weniger finanziellen Konflikten in einer Beziehung, einer höheren Beziehungszufriedenheit und einem höheren Ausmaß an wahrgenommener Unterstützung durch einen Beziehungspartner einher.
Wieso hilft ein geldfreier Selbstwert?
- definieren wir unseren Selbstwert über Geld, mögen wir eher dazu neigen, uns mit uns selbst zu beschäftigen als mit anderen.
- da das Thema Geld dann einen essentiellen, für unser Selbst entscheidenden Raum einnimmt, steigt damit ebenfalls die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Konfliktthema werden kann.
- gleichzeitig mögen wir wegen der Priorisierung auf das Geld weniger Zeit und Ressourcen für andere beziehungswichtige Themen.
Ein geldfreier Selbstwert bedeutet nicht, dass für uns Geld keine Rolle spielen würde. Dies ist in der gegenwärtigen Gesellschaft tatsächlich kaum möglich, da ein Großteil unserer materiellen, gesundheitlichen und auch erlebnisbezogenen Bedürfnisse mindestens auch in unterschiedlichem Ausmaß einen Einsatz von Geld verlangt.
Ein geldfreier Selbstwert bedeutet schlichtweg, Geld ausschließlich als das betrachten, was es ist, dass wir aber weder stolz sind, Geld zu haben, noch uns dafür schämen, kein Geld zu haben.
Ist mein Selbstwert geldbezogen?
- würden Sie sich schämen, kein Geld zu haben?
- würden Sie stolz darauf sein, Geld zu haben?
- würden Sie jemanden verachten, weil er*sie kein Geld hat?
- würden Sie jemanden bewundern, weil er*sie Geld hat?
- werden Sie neidisch, wenn jemand viel Geld hat?
Je mehr dieser Fragen Sie mit “ja” beantworten, desto stärker ist Ihr eigenes Selbstwerterleben an Geld gebunden – umso höher ist die Gefahr, dass Sie in künftigen Beziehungen finanzielle Konflikte, eine Minderung Ihrer Beziehungszufriedenheit und einen Mangel an wahrgenommener Unterstützung durch einen Beziehungspartner erleben werden.
Wie den Selbstwert vom Geld befreien?
Um diese Frage zu beantworten, stellt sich zunächst eine andere Frage, nämlich:
- wieso sind wir stolz auf unser Geld oder schämen uns, wenn wir keines haben?
Die Boulevardmagazine sind vermutlich am besten geeignet, hierauf eine Antwort zu geben:
- zahlreiche teure Aktivitäten und Ereignisse gelten als “in”, vom Golfspielen, Trend-Kleidung bis zum Prominentenball.
- überall sehen wir hierin involvierte Menschen, die offensichtlich stolz sind auf das, was sie tun und darstellen, und die durch die Berichterstattung als Vorbilder in den Köpfen vieler Menschen mehr oder weniger bewusst oder unbewusst verankert werden.
- viele Güter (teure Kleidung, Schmuck, Autos, überhaupt Marken …) werden sogar vorwiegend mit ihren Showeffekten beworben- wer diese Güter hat und zeigt, stellt etwas dar.
Der Zugang zu dieser Welt der Darstellung, Vorspiegelung und Angeberei ist das Geld und der sichere Ausschluss ist sein Mangel.
Wer in diesen Kreislauf gerät, wird sich bald über Geld definieren – mit Stolz, wenn es da ist, und mit Scham, wenn es nicht da ist. Dabei lernen wir eben auch über das Modell der uns überall präsentierten Vorbilder.
Selbst wenn kein Interesse an den genannten Konsumgütern und -aktivitäten besteht, mag doch die gesellschaftliche Konditionierung wirken, die die Verfügbarkeit über Geld als zum Stolz berechtigend und seinen Mangel als Grund für Scham und Schande festschreibt.
das Gegenteil tun …
Ein wesentlicher Mechanismus zur Befreiung aus diesem Zwang besteht darin, konsequent das Gegenteil dessen zu tun, wozu das Prestigestreben aufruft, und dann in diesen “Gegenaktivitäten” bewusst Freude und Zufriedenheit zu erleben.
Wird dies oft genuggetan, setzt eine Automatisierung ein und befreiende Gewohnheiten verankern sich im Alltag, die zu einer Abnahme der geldbezogenen Selbstwertbesetzung führen werden.
- keine Markenklamotten tragen, keine teuren Autos fahren, keinen teuren Schmuck tragen, an keinen Veranstaltungen der “Reichen und Schönen” teilnehmen und sich mit ihnen auch nicht beschäftigen und sich jeder Angeberei enthalten
- stattdessen die Aufmerksamkeit auf völlig andere Dinge richten, wie naturnahes Erleben (Spaziergänge im Wald), echte Kommunikation, einfache, natürliche Gerichte, statt Schnickschnack, Picknick statt Sternerestaurant, Kunst und Musik, die sich nicht als Anlass zur Klamottenpräsentation verstehen.
Sehr viele Dinge, ja die große Mehrheit, die wir für viel Geld kaufen oder uns an ihnen beteiligen können, sind für unsere Lebenszufriedenheit tatsächlich komplett irrelevant.
Nur merken wir dies nicht, wenn wir uns in ihnen verfangen und merken es selbst dann oft genug nicht, wenn wir mangels Geldes gar nicht an ihnen teilnehmen können. So entsteht Neid auf etwas, was nicht zu beneiden ist.
Helfen tut die bewusste Bejahung eines naturnahen, einfachen, nachhaltigen und an Mitmenschlichkeit ausgerichteten Lebens.
Gelingt es uns, so einen Lebenswandel zu etablieren, wird die Besetzung unseres Selbstwertes durch Geld sich in das auflösen, was es ist, ins Nichts – und gewinnen werden unsere Lebenszufriedenheit, unsere Beziehungsfähigkeit und unsere Beziehungszufriedenheit. Es ist hierfür nie zu spät.
Abschließende Empfehlungen
- achten Sie darauf, ob das Geld einen wesentlichen Anteil Ihrer Selbstwertdefinition ausmacht. Erkennen können Sie dies daran, dass Sie auf Geld stolz sind, sich für einen Geldmangel schämen, einen Menschen wegen Geldmangel verachten, wegen seines Geldes bewundern oder neidisch auf ihn*sie sein.
- je stärker Geld ihren Selbstwert bestimmt, desto mehr werden Sie wahrscheinlich auch künftige Beziehungen als konfliktär wahrnehmen und desto weniger werden Sie sich als durch einen Beziehungspartner gestützt erleben.
- für ihre Lebenszufriedenheit, Beziehungsfähigkeit und Beziehungszufriedenheit ist es ratsam, das Geld aus Ihrer Selbstwertdefinition zu entfernen.
- ein bewusstes einfaches Leben mit Naturnähe, echter Kommunikation und Verzicht auf alle Status- und Prestigeelemente ist der beste Weg, um das Geld aus dem Selbstwert auszutreiben und so ein glückliches und befreites Leben führen zu können.