Welche Paare bleiben zusammen – wer trennt sich?
Vor Kurzem wurde im Fachjournal “Developmental Psychology“ ein Artikel veröffentlicht unter dem Titel “Happily (N)ever After? Codevelopment of Romantic Partners in Continuing and Dissolving Unions“ (freie Übersetzung: “Glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Co-Entwicklung von Beziehungspartnern in sich fortbestehenden und sich auflösenden Beziehungen”).
Der Artikel hilft uns zu verstehen, wie sich initiale Unterschiede zwischen Beziehungspartnern auf den Entwicklungsprozess der Beziehungspartner und die Frage des Fortbestehens oder der Trennung einer Beziehung auswirken.
Die Studie hat verschiedene Aspekte untersucht – in meinem Artikel konzentriere ich mich aber auf nur einen dieser Aspekte:
- Unterschiede im Ausmaß dessen, in dem Beziehungspartner eine hohe eigene Autonomie gegenüber dem Beziehungspartner oder eher ein Aufgehen innerhalb der Beziehung anstreben. Es geht also um Nähe versus Unabhängigkeit oder Symbiose versus Autonomie.
Fragen Sie sich selbst
Stellen Sie sich selbst die Leitfragen:
- möchten Sie Ihr Leben mit meinem Beziehungspartner vorwiegend als Dyade gestalten, wo Sie sich weniger als einzelne Personen denn als Paar definieren, das meiste gemeinsam unternehmen oder teilen und so als Einzelpersonen in der Beziehung aufgehen?
Wenn Sie diese Frage bejahen, streben Sie eine symbiotische Beziehung an, in der an die Stelle der separaten einzelnen Personen die Beziehung als neue übergeordnete und organisierende Einheit tritt. Dies korrespondiert mit dem Wunsch nach sehr viel Gemeinsamkeit innerhalb einer Beziehung und einem nur höchstens geringen Anteil von Aktivitäten oder sozialen Bezügen, die außerhalb der Beziehung liegen sollen.
- Legen Sie umgekehrt großen Wert auf Autonomie und Eigenständigkeit von Ihrem Beziehungspartner und möchten auch innerhalb der Beziehung durchaus einen voneinander auch separaten Lebenswandel führen können?
Wenn Sie diese Frage bejahen, streben Sie eine Beziehung an, die sich insbesondere durch Autonomie und Eigenständigkeit kennzeichnet. Die Beziehung wird weniger als eine neue übergeordnete Einheit angesehen, denn als Ergebnis der Handlungen, Erlebnisweisen und Vereinbarungen von zwei autonom und eigenständig auftretenden Personen. Dies korrespondiert mit dem Wunsch, unabhängig vom Beziehungspartner eigenen Aktivitäten, Ideen und sozialen Bezügen nachgehen zu können.
- Je stärker Sie eine der beiden Fragen bejahen, desto deutlicher werden Sie vermutlich wahrnehmen, dass es ein Problem für eine Beziehung sein könnte, wenn Ihr (künftiger) Beziehungspartner die gegenteilige Frage stark bejahen würde.
Ergebnisse der Studie
Die oben referierte Studie gelangte nun zu folgenden Ergebnissen:
- Beziehungspartner, die sich später trennten, zeigten am Anfang ihrer Beziehung eine stärkere Unterschiedlichkeit in dem Streben nach Autonomie versus Symbiose als Beziehungspartner, die zusammenblieben.
- Veränderungen im Streben nach Autonomie versus Symbiose im Verlauf der Beziehung waren bei Beziehungspartnern, die zusammenblieben, positiv miteinander korreliert, die Beziehungspartner veränderten sich also eher in die gleiche Richtung.
- Veränderungen im Streben nach Autonomie versus Symbiose im Verlauf der Beziehung waren bei Beziehungspartnern, die sich später trennten, negativ miteinander korreliert, die Beziehungspartner veränderten sich also eher in die entgegengesetzte Richtung.
Diese Befunde zeigen dreierlei:
- eine initiale Übereinstimmung im Streben nach Autonomie versus Symbiose am Anfang einer Beziehung ist eine gute Voraussetzung dafür, dass dies Streben sich auch im Verlauf einer Beziehung in eine vergleichbare Richtung entwickeln wird.
- eine initiale Nicht-Übereinstimmung im Streben nach Autonomie versus Symbiose am Anfang einer Beziehung kann demgegenüber ein weiteres Auseinanderlaufen dieses Strebens in der Beziehungsentwicklung begünstigen.
- eine auseinanderlaufende Entwicklung im Streben nach Autonomie versus Symbiose erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Trennung.
Was können wir hieraus lernen?
Partnerwahl
Eine fehlende Übereinstimmung im Autonomiestreben zwischen zwei Beziehungspartnern zum Beziehungsbeginn wirkt sich ungünstig auf die Beziehungs-Stabilität aus, offenbar auch dadurch, dass die anfängliche Diskrepanz wich im Beziehungsverlauf oftmals weiter vertieft.
Damit ergibt sich die Empfehlung, bereits bei der Partnerwahl auf die Übereinstimmung des Autonomie-Strebens zu achten:
- je stärker Sie selbst Wert auf Autonomie legen, desto stärker sollte dies auch der Beziehungspartner tun.
- je stärker sie eine symbiotische Beziehung suchen, desto stärker sollte dies auch der Beziehungspartner tun.
Halten Sie sich an diese Empfehlung, erhöhen Sie Ihre Chancen, dass Sie einen Beziehungspartner finden, mit dem Sie dauerhaft zusammenbleiben werden.
Beziehungs-Gestaltung
Das Schicksal einer Beziehung ist nicht zu 100 % bereits von Anfang an bestimmt, sondern Beziehungspartner können Einfluss nehmen auf die Beziehungsentwicklung im Sinne einer gemeinsamen Entwicklung von eigener Person und Beziehungspartner.
Das Autonomie-Streben von Beziehungspartnern ist entsprechend ebenfalls keine fixierte, immer gleichbleibende Größe, sondern kann sich im Verlauf verändern.
Die Empfehlung lautet vor diesem Hintergrund:
- kommunizieren Sie mit Ihrem Beziehungspartner und tauschen Sie sich über die erstrebte Autonomie versus Symbiose aus.
- beobachten Sie sich selbst und reflektieren Sie Ihre wechselseitigen Bedürfnisse miteinander.
- aus Divergenzen können durch reflektierte Annäherung Konvergenzen entstehen. Beziehungspartner mit hohem Autonomiestreben und mit hohem Symbiosestreben mögen gemeinsam Bereiche für Autonomie und für Symbiose herausarbeiten und so zu mehr Übereinstimmung gelangen.
Trennungsentscheidung
Oftmals lohnt es sich, an einer Beziehung zu arbeiten, anstatt die Beziehung aufzulösen.
Die Wahrnehmung von Diskrepanzen sollte also Anlass geben, an bereichsspezifischen Annäherungen zu arbeiten und umgekehrt eine Akzeptanz für bereichsspezifische Divergenzen wechselseitig aufzubauen.
Zeigt sich aber, dass ein Annäherungsprozess nicht möglich ist und grundlegende Divergenzen zwischen Autonomie und Symbiose bestehen bleiben, die zu einer Belastung der Beziehung und Unzufriedenheit führen, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um gemeinsam eine konsensuelle und friedliche Trennung zu beschließen und umzusetzen.
Autonomie versus Symbiose bei Gleichklang
Bei Gleichklang sind seit Langem eine Reihe von Fragen enthalten, die Aspekte von Autonomie und Symbiose betreffen und dafür Sorge tragen, dass möglichst keine grundlegenden Differenzen zwischen einem Gleichklang-Paar in diesen Bereichen bestehen.
Dies betrifft beispielsweise Fragen zu Zusammenwohnen, Fernbeziehung, Wochenendbeziehung oder auch zu Monogamie oder offener Beziehungs-Gestaltung.
Nunmehr haben wir uns aber entschieden, zur expliziten Erfassung des Strebens nach Autonomie versus Symbiose eine weitere Frage einzubeziehen.
Die neue Frage lautet:
- Autonomie versus Symbiose: Wie viel wollen Sie in einer Beziehung gemeinsam und wie viel lieber getrennt tun?
Die möglichen Antworten lauten:
- das meiste getrennt tun
- vieles getrennt tun
- manches zusammen, manches getrennt
- vieles zusammen tun
- das meiste zusammen tun
Folgende Antwortmuster führen zu einem Ausschluss eines Vorschlages:
- das meiste getrennt versus das meiste zusammen tun
- das meiste getrennt versus vieles zusammen tun
- vieles getrennt versus das meiste zusammen tun
Die mittlere Antwort (manches zusammen, manches getrennt) wird vorwiegend als kompatibel erachtet mit der mittleren Antwort sowie auch mit den beiden Nachbarkategorien (vieles getrennt oder vieles zusammen tun).
Nur noch unter seltenen Konfigurationen, wo andere Passungen dominieren, können einander Personen vorgeschlagen werden, wo eine Person vieles getrennt und die andere vieles zusammen tun möchte.
Da die aktuellen Mitglieder die Antwort nachtragen müssen, wird es erfahrungsgemäß einige Wochen dauern bis das neue Autonomie versus Symbiose – Kriterium vollauf zur Wirkung kommen wird.
Wir werden die Auswirkungen auf die Vorschläge zudem beobachten und gegebenenfalls im Verlauf eine weitere Verschärfung der durch dies Kriterium bedingten Ausschlüsse vornehmen.
Ist eine Vorauswahl sinnvoll?
Beziehungsarbeit statt Auswahl?
Christine Finn, die Erstautorin des oben diskutierten Forschungsartikel, vertritt die Ansicht, dass man zwar durchaus am Anfang einer Beziehung bereits die Trennungswahrscheinlichkeit berechnen könne, es aber nicht unbedingt wünschenswert wäre, diese Information für eine optimierte Partnerwahl zu verwenden.
Schließlich könnten auch Trennungen wichtige Lebenserfahrungen sein. Auch sei keine Beziehung von vornherein zum Scheitern verurteilt und man können an ihr arbeiten:
- “Uns geht es nicht darum, den allgemeinen Optimierungstrend weiter zu unterfüttern und eine Beziehung nur ergebnisorientiert mit der Aussicht auf Langlebigkeit zu führen. Wenn sich Paare nach einiger Zeit trennen, kann das trotzdem eine wertvolle und wichtige Phase in ihrem Leben sein – die möglicherweise die folgenden Beziehungen positiv beeinflusst. Außerdem können Paare das Gemeinsame, wie das Ausleben von Nähe und Unabhängigkeit, auch bewusst steuern und daran arbeiten. Keine Beziehung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.“
Auswahl und Beziehungsarbeit!
Richtig ist sicherlich, dass wir an allen Lebenserfahrungen wachsen können, auch an Krisen. Ebenso richtig ist allerdings, dass für viele eine Trennung eine äußerst schmerzhafte Erfahrung ist und dass es auch einzelne Menschen gibt, die an einer solchen Erfahrung nicht wachsen, sondern zerbrechen.
Beziehungsarbeit ist immer wichtig, bei guten Voraussetzungen ist ihre beziehungsstabilisierende Wirkung wahrscheinlich höher.
Jedenfalls zeigen die Daten von Christine Finn et al., dass bei ungünstigen Voraussetzungen eine Erhaltung der Beziehung häufiger nicht gelingt.
Zudem wird es ohnehin in jeder Beziehung – auch wenn eine optimierte Partnerwahl vorliegt – weiterhin genug kritische Lebenserfahrungen oder sogar Krisen geben.
Ich sehe daher nicht, dass wir auf eine optimierte Partnerwahl verzichten sollten, um an einer Trennung gegebenenfalls wachsen zu können.
Das Ziel der meisten Partnersuchenden ist eine dauerhafte Beziehung. Dies Ziel kann besser erreicht werden, wenn von Anfang an vorhersehbare Inkompatibilitäten minimiert werden.
Autonome, symbiotische oder diesbezüglich im Mittelfeld liegende Beziehungen können allesamt glücklich und stabil sein. Zur Instabilität neigen aber Beziehungen, in denen die Beziehungspartner in ihrem Autonomie- oder Symbiosestreben gegensätzlich sind.
Warum sollten Menschen also unbedingt eine Beziehung miteinander starten, wenn eine Seite beispielsweise eine hochgradig autonome und die andere Seite eine hochgradig symbiotische Beziehung anstrebt?
Womöglich mögen Sie über Bedürfnisklärung und Beziehungsarbeit trotzdem zueinander finden, aber die Wahrscheinlichkeit ist erhöht, dass sie sich letztlich trennen werden.
Vermutlich werden beide Seiten im Verlauf zudem seelisch belastet werden durch Erleben von Einengung durch den autonomen Part und von Vernachlässigung durch den symbiotischen Part.
Beide Seiten mögen versuchen, eine Trennung zu vermeiden und eine dauerhaft glückliche Beziehung miteinander zu führen – aber die Voraussetzungen hierfür sind eher ungünstig, und zwar von vornherein.
Demgegenüber wird es zwei Menschen leichter fallen, glücklich miteinander zu werden und zu bleiben, wenn sie in ihrem Streben nach Autonomie versus Symbiose gleich zu Beginn der Beziehung übereinstimmen.
Trotzdem mögen sie ihre Vorstellungen im Verlauf ändern, aber solche Änderungen gehen bei Paaren, die Anfangs übereinstimmten, häufiger in die gleiche Richtung, während sich die Unterschiede bei mangelnder Übereinstimmung im Verlauf oft erhöhen.
Ausdrücklich unterstütze ich die Aussage, dass es wichtig ist, an einer Beziehung zu arbeiten. Ebenso ist es richtig, dass kritische Lebensereignisse zur eigenen Entwicklung und auch zur Beziehungsentwicklung beitragen können.
Der Ansicht, dass wir das tatsächlich vorhandene Wissen über das Stabilitäts-Potential einer Beziehung nicht bereits für die Partnerwahl nutzen sollten, stimme ich aber nicht zu.
Vorauswahl bei Gleichklang
Bei Gleichklang sehen wir es gerade als unsere Aufgabe, das Wissen um solche Zusammenhänge für unsere Mitglieder von Anfang an nutzbar zu machen und dadurch die Aussichten für eine dauerhaft tragfähige Beziehung zu verbessern und unseren Mitgliedern möglicherweise sehr schmerzhafte Trennungen möglichst zu ersparen.
Das neu eingeführte Autonomie-Symbiose-Kriterium soll und wird hierfür einen weiteren Beitrag leisten.