Dating-Nebenwirkungen kennen und vermeiden
Es gibt gar nicht so selten ein negatives Ergebnis beim Online-Dating, welches Sie unbedingt vermeiden sollten:
- das Dating dauert ewig an, aber Beziehungen erodieren
- die eigene Beziehungsfähigkeit sinkt
Eine neue Studie, die im Fachjournal Behaviour & Information Technology, veröffentlicht wurde, macht nach meiner Einschätzung deutlich, wie stark Dating-Seiten darauf ausgelegt sein können, genau diese negativen Muster bei ihren Nutzern und Nutzerinnen zu etablieren.
- untersucht wurden Frauen, die eine große Dating-App nutzten. Die Wissenschaftler interessierten sich für ihre Motive und die Folgen der Nutzung.
Nach meiner Lesart zeigt diese Studie geradezu exemplarisch, worum es beim Dating nicht gehen sollte.
Hierüber Bescheid zu wissen, kann dazu verhelfen, nicht in dieses schädliche Muster zu geraten – oder es kann helfen, aus dem Muster wieder herauszukommen.
Beim Lesen dieses Artikels werden vermutlich die meisten Leserinnen und Leser, die bereits bei Gleichklang sind oder es früher waren, wenig Bezüge zu Gleichklang finden. Erst ganz am Ende werde ich darüber ein paar Worte verlieren.
Vorausschickend sei angemerkt, dass Dating-Apps und Gleichklang andere Ziele und Folgen haben, weshalb sie (abgesehen von dem Ziel- und Folgenvergleich) nicht miteinander vergleichbar sind.
Vielen Nutzern und Nutzerinnen sind aber die teilweisegegensätzlichen Ziele und Folgen unterschiedlicher Dating-Formate nicht bewusst.
Der Artikel will hier zur Aufklärung beitragen. Ziel dieses Artikels ist es dabei, den Leserinnen und Lesern zu helfen, das Beste aus dem Online-Dating zu machen und sich vor möglichen negativen Nebenwirkungen effektiv zu schützen.
Nun aber zu den Hauptergebnissen der oben benannten Studie.
Was geschieht beim Online-Dating?
Ich schildere im Folgenden zusammenfassend die Hauptergebnisse der Autoren und ordne diese gleichzeitig interpretierend ein.
Einfachheit und Anonymität
- Unter den Benutzern von Online-Dating-Diensten sind die Anonymität, der leichte Zugang und die sicheren Räume, die die Websites bieten, ihre reizvollsten Aspekte.
Schnell, sicher und anonym:
- die Nutzer bleiben völlig anonym, können sehr leicht und schnell Zugang zu anderen Personen erwerben und die Kommunikation findet über die Webseiten statt, sodass Online nichts wirklich Unangenehmes passieren kann.
So weit, so gut, jedoch gibt es eine Nebenfolge:
- Menschen können tun und lassen, was sie wollen. Dies kann enthemmen und bestehende Werte außer Kraft setzen. Doppel-Identitäten können sich bilden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, den die Autoren jedoch nicht untersuchten, ist übrigens das “kostenlos“, was ein massiver Verstärker möglicher enthemmender Effekte ist.
Hedonistische Motivation rein virtueller Art
Online-Dating kann sich so als eine Aktivität etablieren, die nicht mehr an die tatsächliche Lebenswirklichkeit gekoppelt ist.
Hierzu schildern die Autoren kursorisch die Erfahrungen einiger Nutzerinnen:
- diese virtuelle Welt gibt mir etwas, was das reale Leben mir nicht geben kann.
- mein Ziel für die Nutzung der Webseite ist, Glück zu erleben.
- dies ermöglicht mir “romantische Interaktionen” mit zahlreichen Männern gleichzeitig.
So gelangen die Autoren letztlich zu dem Schluss:
- der Hauptgrund für die Popularität von Online-Dating-Dienste sind hedonistische und befreiungsorientierte Motivationen.
Mit “befreiungsorientiert” ist die Überwindung der Begrenzungen der Lebenswirklichkeit gemeint.
Aktivierung und Befriedigung von Fantasien
Im Vordergrund des Online-Dating steht die Anregung und Befriedigung von Fantasien.
Zwei weitere Erfahrungsberichte von Nutzerinnen aus der Untersuchung seien zitiert:
- vielleicht tue ich das, weil es mich erregt, dies vor meinem Mann geheim zu halten.
- da fühle ich mich wie Kelly aus der Sendung “Sex and the City”, als ob ich in ein verlorenes Paradies zurückkehren würde.
Die Autoren gelangen so zu ihrer dritten Schlussfolgerung:
- Online-Dating-Dienste erzeugen und befriedigen Fantasien, die in der realen Welt nicht bestehen.
Online-Offline-Spaltung
Ich möchte nicht im Sinne von Konservatismus falsch verstanden werden:
- die Befreiung oder Überschreitung von Begrenzungen ist häufig wünschenswert und ein Gewinn.
- viel zu oft sperren wir uns selbst ein, spielen mehr eine Rolle, als dass wir derjenige sind, der wir sein möchten und sein können.
Hier setzen die Online-Angebote also an und bieten die Möglichkeit, sich zu erweitern und Sehnsüchte zu befriedigen.
Aber bietet dieser Zugang eine echte Befreiung und die Erfüllung von Bedürfnissen?
- Befreiung beginnt mit der Reflexion über die eigene Person und die eigene Lebenssituation und setzt sich fort in der Identifikation von Barrieren, die der Umsetzung der eigenen Wünsche, Ziele und Sehnsüchte entgegenstehen. Befreiung geschieht, wenn diese Barrieren beseitigt werden.
Ich sehe nicht, dass die hedonistische Nutzung vom Online-Dating einer solchen Befreiung entspräche:
- Befreiung in einem lebensverändernden Sinne dürfte kaum stattfinden, wenn nur unter dem Schutz von Anonymität, Einfachheit und schneller Verfügbarkeit Grenzen überschritten werden, die unbefriedigende Lebenswirklichkeit jedoch nicht berührt wird.
Es mag sich also eher um den Anschein von Befreiung handeln, eher um Betäubung oder Überdeckung von Unerfülltheit, mehr um Vorspiegelung als um Wirklichkeit.
Parallelwelten entstehen, die nicht mehr miteinander in Bezug stehen, sodass die erhoffte Befreiung in der eigenen Hauptwelt gar nicht wirkt, sondern nur eine temporäre Flucht ist.
Konsequenzen für Beziehungen
Es stellt sich ebenfalls die Frage nach den Konsequenzen auf der Beziehungs-Ebene:
- wie sollen dauerhafte und aufrichtige Beziehungen in einer Lebenswirklichkeit entstehen, wenn diese Online außer Kraft gesetzt wird?
- wie sollen Vertrauen und Bindung in einer Atmosphäre von maximaler hedonistischer Bedürfnisbefriedigung und Vorspiegelung unter dem Schutz der Anonymität entstehen?
Ich denke, sie sollen gar nicht entstehen!
Das Ziel dieses Online-Dating ist das Dating selbst und keine Beziehung. Für die Anbieter ist dies ökonomisch optimal:
- das Dating bricht nicht mit dem Erfolg ab, sondern setzt sich ohne Ende fort, jeden Tag, jahrelang, weltweit millionenfach. Milliarden werden umgesetzt – hierfür sind Tinder und Grindr bestens optimiert.
Abhängigkeit statt Freiheit
So verwundert es nicht, dass manche Menschen eine regelrechte Online-Abhängigkeit entwickeln. Sie nehmen an den Online-Diensten teil, weil diese ihre Fantasietätigkeit aktivieren und ihnen die Möglichkeit geben, über diese Aktivität sofort Rückmeldung und Bestätigung zu finden.
Aufregung, partielle Erfüllung und Hoffnung treiben zur Fortsetzung.
Trifft man sich mit Freunden im Café, gehen manche zwischendurch auf die Toilette, um noch einmal schnell App-Kontakte zu checken oder neue Möglichkeiten direkt um die Ecke zu entdecken. Der Impuls zur App kann überall getriggert werden.
Oder man trifft sich zu gemeinsamen Café-Besuchen, bei dem die Gemeinsamkeit vorwiegend in der physischen Anwesenheit besteht, während jeder vor seinem Handy seine jeweiligen sozialen Netzwerke und Dating-Apps bedient. Dies ist bereits ein weltweites Phänomen.
Entsprechend gelangen die Autoren zu ihrer vierten Schlussfolgerung:
- die Fantasieerzeugende und stimulierende Ausrichtung des Online-Datings kann eine Online-Abhängigkeit bewirken.
Hierzu drei direkte Schilderungen von Nutzerinnen zur Verdeutlichung:
- ich möchte ständig Zeit in der virtuellen Welt verbringen und bin nicht in der Lage, sie zu verlassen.
- sobald ich morgens aufwachse, möchte ich so schnell wie möglich wieder Online gehen.
- ich fantasiere häufig über die Dinge, die ich mit den Männern auf der Webseite getan habe, was ich im wirklichen Leben nicht tun kann.
Ich möchte den letzten Satz-Abschnitt noch einmal herausgreifen:
- was ich im wirklichen Leben nicht tun kann
Genau hier liegt das Problem:
- die Online-Aktivität generalisiert nicht auf das wirkliche Leben, sondern sie wird von dieser abgekapselt.
Dies bedeutet übrigens nicht notwendigerweise, dass gar keine Treffen stattfinden. Bei nicht wenigen Nutzern bleibt es zwar in der Tat auf der Online-Ebene. Bei anderen finden jedoch Offline-Treffen durchaus statt.
Sie bleiben jedoch vom eigenen Alltag auf die gleiche Weise separiert wie die Online-Aktivität. Woran liegt dies? Vermutlich vorwiegend an diesen Gründen:
- die eigene Person ist auf der Online-Ebene in gewisser Weise eine andere, sodass stattfindende Offline-Kontakte schwer oder gar nicht in das sonstige Leben integrierbar sind.
- auf der Basis eines Großteils der Dating-Anwendungen werden kaum tragfähige und aufrichtige dauerhafte Beziehungen für das echte Leben gefunden, sodass auch hier ein Integrierungs-Mangel entsteht.
Zwei Erfahrungsberichte sollen dies verdeutlichen:
- eine Seminarteilnehmerin berichtete einmal, dass sie bei mehreren Dating-Anbietern sei und sehr oft Treffen stattfünden. Aus diesen entwickele sich seit Jahren keine Beziehung. Sie sehe aber diese Treffen mittlerweile als einen Teil ihrer Freizeitgestaltung an. Es ist also eine Art Zeitvertreib, wobei die Treffen aber strikt separat vom sonstigen Alltag und den sonstigen sozialen Bezügen ablaufen. Die Apps ermöglichen Treffen, ein Bezug zum Hauptalltag wird aber nicht gefunden.
- eine andere Seminarteilnehmerin nutzte Dating-Apps für regelmäßige erotische Kontakte, die über die Jahre an die Stelle der ursprünglichen Beziehungs-Intention traten. Sie hat sich Online ganz andere Merkmale aufgebaut als sie sie sonst in ihrem Leben zeigt. Die Offline-Treffen gehören insofern nicht zu ihrem sonstigen Leben, sondern bleiben Teil des Online-Lebens, wo sie eine andere Person ist, sodass eine Integration nicht stattfinden kann.
Deutlich wird, dass bei dieser Art des Online-Dating resultierende Kontakte sich oft nicht in das eigene Leben als tragende und überdauernde Züge integrieren lassen.
Hochsteigerung der Online-Aktivität
Wenn diese Form des Online-Dating doch in das reale Leben eingreift, tut sie es oft negativ – so berichten die Studienautoren einen weiteren Erfahrungsbericht:
- eine Befragte … drückte das Gefühl aus, nicht in der Lage zu sein, zu arbeiten oder sich in anderen Bereich zu steuern, weil sie sich als normaler Mensch in der nicht-virtuellen Welt extrem einsam fühle und daher so schnell wie möglich erneut Online gehe.
Aufgrund dieser und anderer Schilderungen gelangen die Autoren zu ihrer fünften Schlussfolgerung:
- je mehr Fantasien und Stimulation durch Online-Dating erzeugt werden, desto stärker steigen Begehren, Gefühle und Impulsivität an.
Da diese Fantasien und Stimulationen aber an die Dating-Aktivität gebunden sind, wird diese dadurch gestärkt und wird zunehmend zu einem dominierenden Element.
Mit anderen Worten:
- Dating-Strukturen, die ihren Nutzern und Nutzerinnen viel auf der Fantasie- und Erlebnisebene bieten, erzeugen in eben diesen Nutzern und Nutzerinnen immer mehr Sehnsucht, emotionale Beteiligung und impulsives Agieren.
- Impulsives Agieren blockt die Entstehung dauerhaft stabiler Beziehungen ab, indem die starken Gefühle und Fantasien sich im Rahmen der Dating-App immer wieder neue, kurzfristige Befriedigung suchen.
Welche Rolle spielt Selbstkontrolle?
Die Autoren verbinden ihre bisherigen Ergebnisse mit dem Bereich der Selbstkontrolle:
- Selbstkontrolle helfe dem Individuum, sich durch Selbstregulierung an Veränderungen der Umwelt anzupassen. Diese Form der Kontrolle beruhe auf dem eigenen Selbst, bringe dadurch aber auch Aspekt der Sozialisation (beispielsweise Werte und Normen) mit ein, da diese zur Konstruktion des Selbst mit hinzugehörten.
In ihrer Analyse des Erlebens und Verhaltens der Nutzerinnen der Online-Dating-Seite identifizieren die Autoren zwei Problembereiche in Form von zu geringer Selbstkontrolle oder zu starker Selbstkontrolle:
- “die Verhaltenskontrolle bei Online-Dating-Diensten ist zum Teil durch die Faktoren der geringen Selbstkontrolle und der Überkontrolle bestimmt.”
Zwei Erfahrungen von Nutzerinnen hierzu:
- nicht betrügen ist die beste Form des Betrügens, die man erreichen kann >> Überkontrolle
- seit ich ihn getroffen habe, sind die Gefühle, die ich für meinen Mann habe, abgestürzt wie eine Person, die von einem Dach fällt >> Unterkontrolle
Im ersten Fall werden die durch die Dating-Seite aktivierten Fantasien abgeblockt, sodass sie (zunächst) nicht handlungswirksam werden.
Im zweiten Fall entsteht eine sofortige Überflutung, die geradezu als Ausgeliefertsein (wie Person, die vom Dach stürzt) erlebt wird.
Was aber sind die Langzeitfolgen bei Überkontrolle und Unterkontrolle?
Die Autoren gelangen zu der bemerkenswerten Schlussfolgerung, dass die Langzeitfolgen von Überkontrolle und Unterkontrolle teilweise die gleichen sind!
Grundsätzlich verfügen Menschen mit hoher Selbstkontrolle demnach über eine gute Selbstbeherrschung und halten auftretende Impulse insofern in besonders hohem Ausmaß in Schach.
Im Kontext des Online-Dating scheinen aber dieser Selbstbeherrschung nach den Befunden der Autoren durch die Dating-Struktur Grenzen gesetzt zu werden.
Steigt das Ausmaß an Selbstkontrolle an, kommt es so zu einem unerwarteten Resultat:
- In Bezug auf Selbstkontrolle über das eigene Verhalten beim Online-Dating scheint es, dass die Wahrscheinlichkeit umso größer ist, dass man die Kontrolle verliert, je mehr man versucht, seine Impulse unter Kontrolle zu halten.
Zwei Nutzerinnen bringen es folgendermaßen zum Ausdruck:
- ich habe versucht, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten, aber dies verursachte größere Gefühle und Aufregung und führte zu mehr Konversation und weniger Schlaf.
- um meine Ehe aufrechtzuerhalten, habe ich mich immer selbst gestoppt, keine Grenzen zu überschreiten, bevor ich mit Online-Dating begann. Aber beim Online-Dating-Diensten verspürte ich ein Gefühl der Erwartung und Aufregung, dass ich für viele Jahre nicht erlebt hatte….
Die Schlussfolgerung der Autoren lautet entsprechend:
- wenn Versuche einer Überkontrolle unternommen werden, werden Wünsche, Emotionen und Impulsivität von Teilnehmenden beim Online-Dating anwachsen
Womöglich erklärt dieser Befund übrigens auch die immer wieder zu machende Beobachtung, dass gerade Menschen mit konservativen oder gar rigiden Grundeinstellungen durch Seitensprünge oder Fremdgehen auffallen.
Besonders eindrücklich sind hier die Beispiele von evangelistischen Fernsehpredigern aus den USA, die einerseits gegen die Homosexuellen-Ehe wetterten, und andererseits männliche Prostituierte aufsuchten.
Überkontrolle scheint damit kein Weg zu sein, mögliche Negativfolgen auf Dating-Plattformen dauerhaft zu vermeiden.
Ein Unterschied zur Unterkontrolle ist allerdings vermutlich, dass der Impulsdurchbruch bei der Überkontrolle später erfolgt, während er bei Personen mit geringer Selbstkontrolle beim Online-Dating nahezu unmittelbar zu beobachten ist:
- ich kann nur an ihn denken. Ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren.
Personen mit geringerer Selbstkontrolle scheinen nach den Ergebnissen der Autoren stärker prädestiniert zu sein, in Abhängigkeiten zu geraten. Bezüglich Personen mit Überkontrolle mag es diesen möglicherweise also doch noch eher gelingen, Stopp-Signale zu setzen und gegebenenfalls den Online-Service (jedenfalls zunächst) zu verlassen, selbst wenn sie selbst ebenso Impulskontrolldurchbrüche erlebt haben.
Die letzte Schlussfolgerung der Autoren lautet von daher:
- eine schlechte Fähigkeit zur Selbstkontrolle führt zu einem höheren Grad an Online-Abhängigkeit.
Bevor ich diese Ergebnisse abschließend einordne und auch mit individuellen Empfehlungen und mit Gleichklang verbinden werde, möchte ich kurz auf eine weitere Studie eingehen, die sich mit dem Thema von Dating-Verhalten, Selbstbestätigung und Fremdgehen beschäftigt hat:
Selbstbestätigung und Fremdgehen
Die Studie wurde soeben im Journal Computers in Human Behavior veröffenlicht mit dem vielsagenden Titel:
- “Swiping more, committing less: Unraveling the links among dating app use, dating app success, and intention to commit infidelity” (freie Übersetzung: “mehr kontaktieren, weniger binden: Enträtselung der Verbindung zwischen Dating-App-Verwendung, Dating-App-Erfolg und der Intention, untreu zu werden”.)
Im Artikel geht es also um Seitensprünge und deren Verbindung zur Nutzung von Dating-Apps und zwar mit Blick auf die Zukunft.
Die entscheidende Frage bezog sich entsprechend auf die Bereitschaft zum Fremdgehen in einer (gegebenenfalls erst künftigen) scheinbar monogamen Beziehung. Der Studie kommt also eine vorhersagenden Bedeutung zu.
Es geht hier allerdings nicht um offene Beziehungen oder polyamoröse Beziehungen, wo sexuelles Erleben gemeinsam gesucht oder dem jeweiligen Beziehungspartner zugestanden wird. In diesen Fällen liegt nämlich keine Untreue vor und daher werden Aufrichtigkeit und Authentizität in diesen Beziehungen nicht gefährdet.
Es geht in dieser Studie vielmehr darum, dass im Rahmen einer jedenfalls formal auf sexueller Treue beruhenden Beziehung tatsächlich ein Beziehungspartner sexuelle Kontakte zu anderen Personen sucht.
Welchen Einfluss haben hierauf die Dating-Apps?
In aller Kürze zusammengefasst, gelangen die Autoren zu der interessanten Beobachtung, dass der wahrgenommene Erfolg bei einer Dating-App die Absicht anregt, sexuell untreu zu werden, wobei er dies aber nicht direkt tut, sondern vermittelt über die wahrgenommene eigene Begehrtheit:
- je stärker sich Nutzer von Dating-Apps durch andere App-Nutzer als begehrt erleben, desto stärker steigt ihre Intention zum sexuellen Seitensprung an und dies wohlgemerkt auch für eine künftige Beziehung!
Das Erleben von Begehrtwerden bei der App fördert also nicht die Bindungsintention, sondern genau umgekehrt die Intention zum Fremdgehen.
Innerpsychisch erklärt sich dieser Effekt vermutlich mit einem Streben nach Balance in einer Beziehung:
- Fremdgehen wird aktiviert, wenn die eigene Begehrtheit als höher eingeschätzt wird als die Begehrtheit des Beziehungspartners. Weil man sich als begehrter erlebt, entsteht verstärkt der Wunsch, es dieser Begehrtheit zu erlauben, zum Zuge zu kommen.
- Rückmeldungen von einer Dating-App, begehrt zu werden, erhöhen die eigene Begehrtheitseinschätzung und können damit die Balance in einer jetzigen oder eine künftigen partnerschaftlichen Beziehungen stören. Denn wenn die eigene wahrgenommene Begehrtheit steigt, verändert sich natürlich auch die Balance in der Beziehung, da hiervon die Begehrtheit des Beziehungspartners ja nicht betroffen ist.
- hiervon die Folge können vermehrte Seitensprünge sein – gegebenenfalls unter der Nutzung der gleichen App, mit der die eigene Beziehung gefunden wurde, sollte diese tatsächlich über eine App entstanden sein.
- dabei wird nicht nur die Balance in bereits bestehenden partnerschaftlichen Beziehung gestört (was im Grunde nicht verwunderlich ist), sondern ebenso die Herstellung von Balance in einer künftigen partnerschaftlichen Beziehung erschwert. Denn wer sich als sehr begehrenswert einschätzt, ist auch in einer erst künftig entstehenden Beziehung eher bereit, fremdzugehen. Dies kann übrigens bereits die Aussicht auf das Entstehen der Beziehung mindern. Sollte die Beziehung aber dennoch entstehen, wird der Nutzer oder die Nutzerin womöglich die App gar nicht, kurz oder nur vorübergehend verlassen und sich auf die Suche nach Seitensprüngen begeben.
Dating-Apps, die stark darauf ausgerichtet sind, Teilnehmenden möglichst viele positiv an ihnen Interessierte “zuzuführen”, leisten also einen Beitrag dafür, dass ihre Nutzer und Nutzerinnen, wenn Sie jetzt oder später eine Beziehung haben, künftig Seitensprünge begehen werden und die Beziehungen gegebenenfalls daran scheitern werden.
Da sich solche Seitensprünge wiederum über Dating-Apps gut finden lassen, fördert dieser Effekt die weitere Nutzung der App, was ebenfalls gilt, wenn die Beziehung schließlich an diesem Muster zerbrechen sollte.
Versöhnbar wären Beziehung und Dating-App insofern eigentlich nur unter den Bedingungen von offener Beziehung oder Polyamorie, was aber die große Mehrheit der Menschen – jedenfalls gegenwärtig – nicht für sich wünscht.
Entsprechend gelingt die Integration in die Lebenswirklichkeit nicht und Dating-Apps führen zu teilweise dauerhaften Parallelwelten. Für einen Teil ihrer Nutzer und Nutzerinnen mögen sie paradoxerweise gleichzeitig zu dauerhafter Partnerlosigkeit führen.
Was bedeutet dies nun alles?
Grundsätzlich bedeuten die oben dargelegten Befunde, dass jedenfalls ein bedeutsamer Teil der Online-Dating-Anbieter (alle Dating-Apps und die meisten Singlebörsen) genau nicht darauf ausgelegt ist, das zu fördern, was sich viele durchaus von ihnen erhoffen:
- dauerhafte und aufrichtige zwischenmenschliche Beziehungen
Im Gegenteil sind die meisten Online-Dating-Angebote, insbesondere eben alle Dating-Apps, darauf ausgerichtet, Hedonismus und Impulsivität zu maximieren, sowie Suchtverhalten und dauerhaften Gebrauch der Dating-App zu etablieren.
Dies – und keineswegs die Begründung von Partnerschaften – ist das Geschäftsmodell der Dating-Apps, welches nicht auf der Stabilität, sondern auf der Fragilität von Beziehungen beruht.
Leider ist dies aber öffentlich wenig bekannt. So entsteht die durchaus bizarr-paradoxe Situation, dass nicht wenige Menschen Partnerschaft ausgrechnet bei Dating-Apps suchen, die tatsächlich sogar in künftige Beziehung negativ eingreifen, indem sie bei ihren Nutzern – in Abhängigkeit von der subjektiv erlebten Begehrtheit – die Wahrscheinlichkeit für künftiges Fremdgehen erhöhen, ohne dass dies aber in offenen Beziehungen transparent umgesetzt werden würde.
Hierdurch wird der weitere Gebrauch der Dating-App während der Beziehung gefördert, der sich dann auch nach einem möglichen Scheitern der Beziehung fortsetzen wird.
Wie kann man sich schützen?
Ein einfacher innerpsychischen Schutz vor diesen komplexen Folgen ist nicht möglich:
- sowohl geringe Selbstkontrolle wie auch hohe Selbstkontrolle fördern im Kontext von Dating-Apps impulsives Verhalten, welches sich beziehungsschädigend auswirken kann. Allerdings mögen Menschen mit höherer Selbstkontrolle dennoch häufiger und rechtzeitiger den Absprung finden.
- Dating-Apps sind darauf ausgerichtet, Fantasien, Gefühle und Bedürfnisse zu aktivieren oder sogar zu erzeugen und gleichzeitig diese unmittelbar mindestens kurzfristig zu befriedigen. Die Nutzung der Dating-App kann so zum Ersatzverhalten für tiefgehendere Formen zwischenmenschlicher Kommunikation werden. Dabei geraten wir als Menschen schnell unter den Einfluss von sofortiger Belohnung, was der Grund für den Suchteffekt ist.
- aber selbst wenn ich mich als Einzelmensch im Hinblick auf mein eigenes innerpsychisches Erleben und Verhalten vor diesen möglichen negativen Nebenfolgen tatsächlich schützen könnte, reicht dies nicht aus. Denn an einer Beziehung sind schließlich mindestens immer zwei Personen beteiligt, die wechselseitig Einfluss aufeinander nehmen. Unterliegt jedoch der Beziehungspartner den dargestellten Nebenfolgen, bin auch ich selbst ebenso davon betroffen, weil die Beziehung betroffen ist.
Im Grunde ergibt sich daraus letztlich nach meiner Ansicht die Empfehlung, derartige Dating-Angebote, wie Dating-Apps, ausschließlich dann zu nutzen, wenn Sie sich sicher sind, dass Sie keine ernsthafte Beziehung anstreben und auch eine gegebenenfalls bereits bestehende Beziehung durch diese Nutzung der Dating-App nicht beeinträchtigt oder destabilisiert werden kann.
Letzteres kann nur dann der Fall sein, wenn es eine offene oder polyamoröse Beziehung ist. Insofern ließen sich die Empfehlung erweitern, dass Sie eine Dating-App nur dann für die Beziehungssuche nutzen sollten, wenn sie dezidiert nach einer offenen oder polyamorösen Beziehung suchen, die entsprechend im Verlauf nicht durch die Dating-App gefährdet werden wird.
Allerdings sind auch hierfür die Aussichten gering, weil die überwältigende Mehrheit der Teilnehmenden in Dating-Plattformen gar keine offenen oder polyamorösen Beziehungen sucht, sondern sich in einer durch Fantasien angetriebenen Scheinwelt befindet, die mit dem durchaus weiterhin meistens traditionell-monogamen Beziehungswunsch kontrastriert.
Die Nutzer und Nutzerinnen von Dating-Apps wünschen sich also durchaus eine traditionelle Beziehung, halten sich aber an einem Ort auf, wo eine solche nicht nur schwer findbar ist aufgrund der zahlreichen Ablenkungen, sondern der zudem ihre eigene Fähigkeit für eine solche gewünschte Beziehung beeinträchtigen mag.
Von einem Einsatz von solchen Dating-Angeboten zur Selbstbestätigung (Erhöhung des Selbstwertgefühls, der subjektiv wahrgenommenen eigenen Begehrtheit etc.) ist ebenso abzuraten:
- gelingt diese Selbstbestätigung, könnte Ihre künftige Beziehungsfähigkeit leiden
- gelingt die Selbstbestätigung nicht, ist ein weiterer Einbruch des Selbstwertes zu befürchten und die Gefahr entsteht, dass Sie auch von anderen, wirksameren Möglichkeiten, einen Beziehungspartner kennenzulernen, Abstand nehmen
Und Gleichklang?
Ich denke, fast kein Gleichklang-Mitglied wird beim Lesen des Artikels seine oder ihre Erfahrungen bei Gleichklang wiedererkannt haben.
Es geht sogar noch weiter:
- bei Gleichklang werden die oben geschilderten Fantasie- und Gefühlstürme mit ihrem Fokus auf Hedonismus und Suchthaftigkeit eher vermisst.
Es ist in der Tat die Fokussierung auf schnelle Verfügbarkeit, Einfachheit und rasantes Kontakten bei den Dating-Apps und auch vielen anderen Dating-Seiten, sowie ihr explizites Ansprechen von hedonistischen Motiven (Unterhaltung, Lebendigkeit, Selbstbestätigung, sexuelle Stimulation), die die oben dargestellten Folgewirkungen erzeugen.
Gleichklang ist insofern das Gegenmodell.
Dies ist allerdings nicht immer leicht zu vermitteln, weil die Dating-Apps bereits mehr oder weniger explizit Standards gesetzt haben, wie Dating aussehen sollte und was zu erwarten ist.
Werden dann solche Erwartungen nicht erfüllt, kann schnell Irritation resultieren.
Wir müssen also dafür kämpfen, dass unsere Mitglieder von uns nicht das Gleiche erwarten wie von den Dating-Apps – und dies ist durchaus kein leichtes Unterfangen:
- so erhalten wir immer wieder Zuschriften von Mitgliedern, die meinen, der Spaßfaktor komme zu kurz, wir müssten mehr für Spaß, Abwechslung, Knistern und Spannung sorgen
- sogar Kündigungen erfolgen, weil Gleichklang als zu wenig spannend, kribbelnd, lusterzeugend und befriedigend erlebt wird
- manche Mitgliedern schildern auch, dass sie sich bei Gleichklang nicht als begehrt erleben und verweisen recht oft auf die gegenteiligen Erfahrungen bei Tinder und Co.
Aber vergessen wir nicht:
- das durch Online-Dating erzeugte Gefühl, begehrt zu werden, schafft eine Imbalance in künftigen Beziehungen und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Seitensprüngen und Trennungen in Beziehungen, die Monogamie vereinbart haben.
- das, was vermisst wird, hat also nur kurzfristig einen positiven Wert, langfristig schadet es dem Aufbau und der Aufrechterhaltung einer Beziehung.
Bei Gleichklang geht es also genau nicht darum, dass Sie sich begehrt fühlen, sondern ausschließlich darum, dass eines Tages eine anhaltende erfüllende Liebesbeziehung entsteht. Je mehr wir unser System darauf ausrichten würden, unseren Mitgliedern das Gefühl der Begehrtseins zu vermitteln, desto weniger solcher Beziehungen würden entstehen.
Es ist also ein Dilemma:
- der subjektiv nachvollziehbare Wunsch mancher Mitglieder kontrastiert mit den tatsächlichen negativen Auswirkungen, die aber anders als das Erleben von Begehrtsein nicht sofort, sondern erst später auftreten.
Vorteile langfristiger Orientierung
In Wirklichkeit ist langfristig gesehen unsere Ausrichtung für unsere Mitglieder mit einer Reihe von Vorteilen verbunden:
- die große Mehrheit der Mitglieder, die zu uns kommen, sucht ernsthaft nach Partnerschaft und nicht nach Unterhaltung und Kribbel-Erfahrungen. Gleichklang-Süchtige gibt es nach unserer Kenntnis nicht
- diejenigen, die in ihren Bedürfnissen und Motiven bereits stark von den Dating-Apps beeinflusst sind, verlassen Gleichklang entweder schnell oder steuern um, sodass entstehende Beziehungen nicht von vornherein gefährdet sind
- Mitglieder, die bei Gleichklang sind, werden bezüglich ihrer Beziehungs-Bereitschaft und -fähigkeit nicht beschädigt, sondern gefördert. Wir erzeugen bei Gleichklang keine innerpsychischen Strukturen und Bedürfnisse, die der Bereitschaft und Fähigkeit für eine langfristige, aufrichtige Partnerschaft entgegenstehen
- nahezu niemand, der bei Gleichklang Partnerschaft gefunden hat, setzt seine Suche später heimlich fort. Hierfür gibt es auch keinen Anlass, weil Gleichklang für diese Art von rasch entstehenden und kurzfristigen Kontakten nicht geeignet ist und die Nutzung von Gleichklang keinen eigenen Spaßvorteil bietet
- zwar gibt es eine Reihe von Mitgliedern, die auch nach dem Finden einer Partnerschaft bei uns bleiben, wir wissen aber aus Umfragen, dass sie dies gemeinsam mit dem Beziehungspartner besprechen, transparent machen und die entsprechenden Profile in aller Regel ausschließlich für die gemeinsame Freundschaftssuche nutzen. Jedenfalls haben wir in 14 Jahren noch von keinem einzigen Fall gehört, wo eine Gleichklang-Partnerschaft durch die Fortsetzung des Gleichklang-Datings zugrunde gegangen wäre
- wenn Sie jemanden bei Gleichklang treffen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieser Mensch Ihnen auch dauerhaft verbunden bleiben wird und nicht längst in das suchthafte Muster des ewigen Datings abgeglitten ist
Dauer der Partnersuche
Bezüglich des “ewigen Dating” möchte ich allerdings nicht den falschen Eindruck erzeugen, als ob die Partnersuche bei Gleichklang besonders schnell gehen würde. Im Gegenteil, raten wir jedem Mitglied, sich auf eine mehrjährige Suchdauer einzustellen und sich zu freuen, wenn es schneller geht.
Mit dem von mir kritisch betrachteten “ewigen Dating“ bei den Dating-Apps ist also nicht die Suchdauer bis zum Entstehen einer Partnerschaft gemeint, sondern die Etablierung von Dating als Lebensprinzip, welches das Prinzip der Partnerschaft letztlich verdrängen und ersetzen kann.
Gegen dieses Zurückdringen von Authentizität, Aufrichtigkeit und Dauerhaftigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen positionieren wir uns bei Gleichklang.
Integrations-Orientierung
Vor diesem Hintergrund werden wir bei Gleichklang unseren Unterhaltungs-Charakter auch künftig nicht wesentlich erhöhen – nicht weil wir unseren Mitgliedern nicht mehr Abwechslung und Thrill gönnen würden, sondern weil wir ihre Partnersuche weiterhin so effektiv wie möglich unterstützen und Beziehungen keineswegs gefährden möchten.
Es soll eine Beziehung entstehen, die sich in die Lebenswirklichkeit integriert und diese bereichert.
Die Einführung von Fantasie und Stimulation erzeugender Online-Elemente stünde aber einer dauerhaften Integration einer Beziehung in die Lebenswirklichkeit der Beziehungspartner entgegen.
Je mehr Unterhaltungs-Charakter wir einführen würden, desto mehr würden die obigen geschilderten bedenklichen Nebenfolgen auch für die Partnersuche bei uns gelten.
Durch unsere “Spaßfreiheit” können wir diesen negativen Folgewirkungen effektiv entgegenwirken und die Aussichten auf entstehende Langzeit-Beziehungen verbessern.
Der Unterschied zwischen den verschiedenen Dating-Formaten liegt also in ihren Zielen und Folgen, wobei vielen Nutzerinnen und Nutzern dies aber nicht in die Tiefe gehend bewusst ist:
- suchen Sie in Wirklichkeit doch eher einen Dating-Rausch als eine Beziehung, sind die Dating-Apps und vergleichbare Anbieter für Sie besser geeignet als Gleichklang. Dies ist nicht abwertend gemeint. Es mag durchaus Situationen und Konstellationen geben, wo ein Dating-Rausch für Sie besser ist als eine echte Beziehung.
- je stärker Sie aber als Ihr Ziel eine langfristig glückliche Beziehung ansehen, desto mehr sollten Sie von Angeboten Abstand nehmen, in deren Zentrum die rasche Befriedigung hedonistischer Kurzzeitbedürfnisse steht.