Im Fachjournal Deviant Behavior (abweichendes Verhalten) ist gerade eine nach meiner Meinung aussagekräftige Studie erschienen über Tinder-Nutzer und Nutzer anderer Apps.
Befragt wurden 1445 Studenten, die entweder Tinder oder eine vergleichbare App bereits genutzt hatten (ca. 32 %) oder nicht (68 %). 60 % der Befragten waren weiblich.
Auch wenn die Befragten Studenten sind, halte ich die Ergebnisse für aussagekräftig, da vorwiegend der Vergleich zwischen Tinder-Nutzern und Nicht-Nutzern im Vordergrund stand.
Zudem sind die Befunde konsistent mit dem, was ich auch bereits an anderer Stelle und mit anderen Probanden über Dating-Apps gelesen habe.
Ich finde das Thema interessant aufgrund von vier Aspekten:
- Tinder und andere Dating-Apps boomen weltweit und machen Milliardenumsätze, sie sind also ökonomisch ein Erfolgsmodell
- seit Anfang an frage ich mich allerdings, was diese Dating-Apps aufgrund ihrer blitzschnellen und konsumorientierten Dating-Struktur für Menschen anzieht und was sie mit ihnen machen?
- schließlich ist Gleichklang ein dezidiertes Gegenmodell zu Tinder, für wen also Tinder nicht passt, für den könnte Gleichklang passen
- dennoch stellt sich aber die Frage, ob beide Modelle auch miteinander kombinierbar sind und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
So sehen die Ergebnisse aus
Unterschiede zwischen Tinder-Nutzern und Nicht-Nutzern
Folgende Verhaltensweisen traten bei Tinder-Usern statistisch signifikant häufiger auf als bei den Nicht-Usern:
- schädlicher Konsum von Alkohol
- impulsive Sexualität (substanzbedingt, Anzahl von Partnern etc.)
- Lügen über Sexualität
- Austausch von pornografischen Bildern
- Sexsucht
- Drogenkonsum (jemals)
- Drogenkonsum (aktuell)
- sexistische Einstellungen
Resultate der Tinder-Nutzung
Wozu führt Tinder?
- 13 % lernten tatsächlich jemanden für eine Beziehung oder Freundschaft kennen, wobei allerdings auch all diejenigen mitgezählt wurden, wo es zur Trennung kam. Zudem wird in den Daten nicht zwischen Beziehung, Freundschaft und entsprechend auch nicht zwischen unterschiedlichen Modellen von Partnerschaft differenziert. Dies alles berücksichtigt, ist der Prozentsatz nach meiner Einschätzung nicht überraschen doch recht gering
- 8 % erkannten Freunde, Bekannte oder Familienangehörige als Tinder-Nutzer. Da Tinder sehr oft genutzt wird, Profile schnell erstellt werden können und eine sehr große Anzahl an Personen gezeigt werden, ist dies nicht verwunderlich
- 19 % berichteten von konsensueller Sexualität, die sie bei Tinder fanden. Allerdings kam es lediglich in 8 % zu einer sexuellen Begegnung außerhalb des Internets, bei den meisten blieb es bei Online-Sexualität
- 14 % berichteten, von anderen Tinder Usern getäuscht worden zu sein, bis hin zu Catfishing, also dem Vorspiegeln eines Interesses, was gar nicht bestand
- 10 % berichteten, mit ungewöhnlichem, aber nicht unbedingt abweichendem sexuellen Verhalten konfrontiert worden zu sein
- 5 % berichteten von Stalking und sexistischer Anmache/Beleidigung
- 5 % gaben an, zu abweichenden, von ihnen nicht gewollten sexuellen Handlungsweisen aufgefordert worden zu sein
- schließlich gab es eine Restkategorie von immerhin 20 %, wo es zu keinem klassifizierbaren Ergebnis gekommen ist, zudem gaben 7 %, Tinder so wenig genutzt zu haben, dass es zu keinen relevanten Erfahrungen gekommen sei
Was ist hieraus zu schließen?
Die Struktur eines blitzschnellen Dating, mit sofortigen Vorschlägen um die Ecke, die nach Bildern ausgewertet werden, zieht Menschen stärker an, die einen problematischen Umgang mit Suchtmitteln zeigen, zu Sexsucht oder impulsiven Sexualverhalten neigen, sexistischer Einstellungen aufweisen, sowie lügen und täuschen.
Natürlich gibt es überall verschiedene Menschen und keineswegs gilt es für jeden Nutzer oder jede Nutzerin. Aber Menschen mit diesen Eigenschaften oder Erfahrungen fühlen sich offenbar von der Struktur so einer Dating-App besonders angesprochen.
Die Ergebnisse spiegeln letztlich ebenso die Struktur der Dating-App wider:
- weniger als jeder siebte begegnet einem Menschen als Freund, Bekannter oder Partner, wobei dies noch eine Überschätzung ist. Denn die Autoren berichten nichts darüber, wie viele diese anfänglichen Beziehungen gehalten haben
- häufiger kommt es zu erotischen Erfahrungen, die allerdings wiederum häufiger Online bleiben als in das Leben außerhalb des Internets zu generalisieren
- recht oft kam es zudem zu mindestens einer Erfahrung-Kategorie, wie Täuschung und Betrug, Stalking, Aufforderungen zu abweichender Sexualität und sexistische Anmache und Beleidigungen
- schließlich gibt es ebenso die Tinder-User, wo es keinerlei Resultate gibt, weder positive noch negative.
Deutlich wird, dass Tinder Menschen nicht anzieht, weil dadurch tragfähige Beziehungen entstehen. Aber auch befriedigende sexuelle Erfahrungen scheinen eher nicht die Norm zu sein.
Der wirkliche Anziehungspunkt ist daher nach meiner Einschätzung das Gefühl der sofortigen Verfügbarkeit von Kontakten und der Zeitvertreib, nicht aber das tatsächliche Ergebnis.
Das andere Modell von Gleichklang
Dass Gleichklang hier eine Gegenstruktur ist, werden vermutlich die meisten Leserinnen und Leser bereits intuitiv nachvollziehen können:
- Gleichklang eignet sich nicht für Zeitvertreib, schon allein, weil initiale Vorschläge erst nach mehreren Stunden verfügbar werden, danach nicht sofort neue erfolgen, sondern zwischen Vorschlägen Wartezeiten auftreten
- Vorschläge sind zudem auf die Passung von Werthaltungen und nicht vorwiegend auf geografische Nähe ausgerichtet. Das Äußere spielt eine Rolle, eine viel geringere als bei Tinder, wo die eigentlichen Entscheidungen nur vom Aussehen oder vom scheinbaren Aussehen (falsche Bilder) abhängen
Mit dieser Gegenstruktur wollen wir bei Gleichklang das Entstehen von langfristigen Beziehungen fördern, die bei Dating-Apps nur selten gefunden werden. Dies gelingt auch meistens, wobei die Suchdauer aber im Glücksfall von wenigen Tagen bis Wochen bis hin in vielen Fällen mehreren Jahren andauern kann. Am Ende zählt das Ergebnis, egal, wann es eingetreten ist.
Lassen sich Gleichklang und Tinder kombinieren?
Erfahrungen aus der Beratung
Vor wenigen Tagen traf ich im Rahmen der von mir angebotenen ▶Online-Beratung/Coaching auf eine Dame, die ich als hoch kommunikativ, selbstbewusst und erfolgreich, aber auch bindungsbereit und offen erlebte und dies auch vermittelte.
Personale Hindernisse oder Barrieren für das Finden einer Partnerschaft, den Beziehungsaufbau und die Beziehungspflege konnte ich jedenfalls nicht erkennen und sie wurden auch von der betreffenden Dame glaubhaft verneint.
Obwohl bereits erste durchaus positive Entwicklungen und Ansätze im Rahmen ihrer Partnersuche vorlagen, spürte ich eine Ungeduld, die mir zunächst ganz unbegründet erschien.
Wieso sollten wir uns nicht die Zeit für ein von uns positiv gestaltetes Single-Dasein nehmen bis der Tag eintrifft, wo wir in eine neue Beziehung eintreten?
So kam es zur Frage, worin die Quelle diese Ungeduld lag?
Die Ungeduld lag in körperlich-sexuellen Wünschen nach Nähe, deren Aufschieben aufgrund einer eben gegebenenfalls durchaus längeren Partnersuche als schmerzlich, jedenfalls als ein Vermissen erlebt wurde.
Und da die Dame selbst von einer interessanten Tinder-Begegnung mit dem Tinder-Date einer Freundin berichtete, kam die Frage auf:
- können Dating-Apps, wie Tinder, ein Weg sein, um den Wunsch nach Erotik und Sexualität nicht liegen lassen zu müssen, bis der Erfolg der Partnersuche eingetreten ist?
Jedenfalls sind wir im Gespräch so verblieben, dass die Dame hierüber nachdenken möchte.
Befragungen von Doppelmitgliedern
- an verschiedener Stelle haben wir immer mals wieder Mitglieder befragt, die zusätzlich eine Dating-App nutzten oder weiter nutzen. Viele äußerten sich eher unzufrieden mit der Dating-App, aber ungefähr ein Drittel erlebte die Kombination als hilfreich.
- Gleichklang, die Dating-Apps nutzen, begründen ihre Teilnahme bei Gleichklang nahezu genau oft wie andere Mitglieder mit der Suche nach einer dauerhaften Beziehung. Für Ihren Dating-App Gewbrauch geben sie aber stärker als bei Gleichklang auch die Suche nach Erotik und Sexualität an
- Mitglieder von Gleichklang, die Dating-Apps nutzen, weisen im Durchschnitt eine höhere Bereitschaft zu unverbindlichen Erotikkontakten auf, ohne dass dies ihren Wunsch und ihre Suche nach einer Partnerschaft überlagern würde
Ich möchte Tinder und die Dating-Apps weder verteufeln noch in den Himmel loben. Natürlich sind derartige Apps für das Finden langfristiger Beziehungen meistens nicht geeignet. Wie sollte sich die Passung von zwei Menschen für ein gemeinsames Leben auch allein auf der Basis eines Fotos und der geografischen Entfernung beurteilen lassen?
Andererseits zeigt ihr Erfolg, dass die Apps andere menschliche Bedürfnisse sehr wohl befriedigen können und hier denke ich besonders an das Bedürfnis nach Erotik und Sexualität, wenn dieses nicht auf eine Beziehung warten möchte. Zwar können hier auch negative Erfahrungen gemacht werden, aber grundsätzlich ist Tinder zur Suche nach Erotik jedenfalls geeigneteter als zur Suche nach Partnerschaft. Auch beschreiben einige Gleichklang-Mitglieder durchaus positive Erfahrungen mit der Kombination.
Ich will hier überhaupt nicht allgemein zur zusätzlichen Verwendung von Tinder raten. Ich gebe auch keine allgemeine Empfehlung, sexuelle Bedürfnisse durch unverbindliche Kontakte oder Online-Sexualität befriedigen zu wollen. Aber ich will auch nicht allgemein davon abraten.
- Menschen sind individuell. Manche Menschen sind gefährdet, durch Apps in eine Sucht zu geraten, das Ziel der Partnersuche aus den Augen zu verlieren und sich mit stärkerem App-Gebrauch in Wirklichkeit immer mehr sozial zu distanzieren. Diesen Menschen würde ich keinen Tinder-Gebrauch raten
- andere Menschen stehen aber mit beiden Beinen im Leben, sind sich ihres Partnerschafts- und Bindungswunsches bewusst und sind auch in der Lage, diesen zu verfolgen. Sie sind aber ebenfalls offen für Erotik außerhalb einer bereits bestehenden Beziehung und sehen sich dazu in der Lage und sind auch dazu in der Lage, dies über Dating-Apps, wie Tinder zu managen, ohne an Beziehungsfähigkeit einzubüßen. Für diese mag eine überbrückende Tinder-Nutzung durchaus sinnvoll sein und steht ihrer Partnersuche bei Gleichklang nicht im Wege.
Meine Empfehlung lautet daher:
- passen Sie gut auf, sich nicht bei Plattformen, wie Tinder, zu verlieren, wenn Ihr wirkliches Motiv die Suche nach einer festen Beziehung auf der Basis von Bindung, wechselseitigem Verstehen und passenden Werthaltungen ist. Tinder wird Ihnen dies in aller Regel nicht bieten können und womöglich geraten Sie in Fahrwässer, die ihnen eigentlich nicht gemäß sein
- stellen Sie aber bei sich eine Ungeduld bei der Partnersuche fest, deren Quelle im Wunsch nach nicht aufgeschobener Sexualität liegt, können Sie – wenn Sie die emotionale Stabilität hierfür aufweisen und unverbindlichen Kontakten nicht abgeneigt gegenüber sind – sehr wohl über eine zwischenzeitliche Tinder-Überbrückung ihrer Gleichklang-Partnersuche nachdenken
- tun Sie dies achtsam, spüren Sie rasch, wenn dies ihnen doch nicht gut tut und können sich so rechtzeitig aus dem Tinder-Abenteuer wieder zurückziehen
Nehmen Sie sich eine Seefahrt für die Partnersuche bei Gleichklang als Bild:
- Tinder mag Ihnen helfen, die Zeiten eines kaum merklichen Vorankommens bei windstiller See zu überbrücken, aber mit Gleichklang gelangen Sie in den sicheren Hafen. Lassen Sie sich durch Tinder nicht vom Kurs abbringen – anders als wie Seefahrer von den Amazonen – wird es ihnen nichts schaden.