Ergebnisse einer Umfrage unter heterosexuellen Gleichklang-Mitgliedern
Wir wollten mehr über die sexuelle Orientierung unserer heterosexuellen Mitglieder wissen. Das klingt vielleicht auf den ersten Blick merkwürdig. Sind Heterosexuelle nicht einfach heterosexuell?
Sie sind es, aber sie sind es auch nicht – das zeigt unsere neue Umfrage unter 500 heterosexuellen Frauen und 543 heterosexuellen Männern. Denn für mehr als jede dritte heterosexuelle Frau und mehr als jeden sechsten heterosexuellen Mann gilt, dass sie nicht nur heterosexuell, sondern auch heteroflexibel sind. Dies bedeutet, dass jedenfalls auf der Ebene der Fantasie zusätzlich eine gewisse erotische Anziehung durch gleichgeschlechtliche Personen besteht.
Heterosexualität ist also keineswegs so in Stein gemeißelt, wie viele dies womöglich denken. Dies deckt sich mit dem psychologischen Forschungsstand, der zeigt, dass die Mehrheit aller heterosexuellen Männer und die große Mehrheit aller heterosexuellen Frauen ihre sexuelle Orientierung bereits in Zweifel gezogen haben.
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Für Journalist:innen, die über unsere Presseerklärung kommen, könnte etwa der Abschnitt „Bedeutung von Heteroflexibilität und Abgrenzung von anderen sexuellen Orientierungen“, sowie der Abschnitt „Überlegungen zur Repräsentativität“ von besonderem Interesse sein:
Gliederung
- Bedeutung von Heteroflexibilität und Abgrenzung von anderen sexuellen Orientierungen
- Hintergründe aus vorherigen Analysen zu sexuellen Orientierungen bei Gleichklang
- Darstellung der Umfrage und ihrer detaillierten Ergebnisse
- Häufigkeit von Heteroflexibilität
- Heteroflexibilität und nicht-monogame Beziehungserfahrungen
- Heteroflexibilität und Wunsch nach nicht-monogamer Beziehung
- Heteroflexibilität und polypartnersexuelle Orientierung
- Heteroflexibilität, sexuelle Konsistenz und sexuelle Zufriedenheit
- Auswirkungen des Alters
- Einfluss des Bildungsstandes
- Beziehungs-Status und Beziehungserfahrungen
- Einfluss der politischen Einstellungen
- Überlegungen zur Repräsentativität
- Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Bedeutung von Heteroflexibilität und Abgrenzung von anderen sexuellen Orientierungen
Was bedeutet Heteroflexibilität? Wie unterscheidet sie sich von Bisexualität? Wie sind die Bezüge zu anderen Begriffen, wie pansexuell, omnisexuell oder auch androsexuell und gynosexuell?
Die Begriffe sind alle recht neu und nicht vollkommen eindeutig definiert. Sie haben sich ursprünglich nicht aus der Sexualwissenschaft entwickelt, werden von dieser aber mittlerweile vermehrt aufgegriffen. Dies gesagt, kann Heteroflexibilität folgendermaßen definiert werden:
- Heteroflexibel sind Personen, die eine heterosexuelle Identität haben, bei sich also ein dominantes sexuelles Interesse an Personen des entgegengesetzten Geschlechts wahrnehmen, sich mit diesem identifizieren und sich entsprechend als heterosexuell erleben und bezeichnen. Allerdings nehmen die gleichen Personen bei sich ebenfalls eine Offenheit gegenüber einer Erweiterung ihres sexuellen Spektrums im Sinne einer erotischen Anziehung durch Personen des gleichen Geschlechts (oder durch nicht-binäre Personen) wahr. Diese Offenheit betrifft in der Definition vorwiegend den Bereich der Fantasie/Vorstellung, die Offenheit kann, muss sich aber nicht im Verhalten zeigen.
- Der Unterschied zur Bisexualität besteht darin, dass Bisexuelle keine heterosexuelle Identität haben, sondern dass sie sich durch Männer und Frauen erotisch angezogen fühlen. Zwar kann die Stärke der Anziehung zu Männern und Frauen bei Bisexualität ebenfalls schwanken, es liegt aber anders als bei der Heteroflexibilität keine so starke/eindeutige Priorisierung vor, wo eine dominante heterosexuelle Hauptsexualität und eine (mögliche) Nebensexualität besteht. Die Grenzen zwischen Heteroflexibilität und Bisexualität sind dabei aber fließend.
Grundsätzlich gehören sowohl die Heteroflexibilität als auch die Bisexualität zu den Flexibilitäts-Orientierungen, die keine klare Eingrenzung auf nur ein Geschlecht/Gender vorsehen. Dies verbindet Heteroflexibilität und Bisexualität mit neueren Begriffen, wie Pansexualität, Omnisexualität, aber auch mit Gynosexualität und Androsexualität.
Bei Pansexualität und Omnisexualität ist der Flexibilitäts-Bereich maximal:
- Jeder Mensch, der passt, kommt infrage. Dabei spielen Geschlecht/Gender bei Pansexuellen keinerlei Rolle für die sexuelle Anziehung, sie sind irrelevant. Bei Omnisexuellen wiederum spielen Geschlecht/Gender eine Rolle, wobei aber alle Formen von Geschlecht/Gender als anziehend erlebt werden.
- Androsexualität und Gynosexualität sind ebenfalls flexible Orientierungen, da sie sich auf die sexuelle Anziehung durch Weiblichkeit und Männlichkeit (und nicht nur das Geschlecht) beziehen:
Eine heterosexuelle Frau ist insofern in gewisser Weise androsexuell und ein heterosexueller Mann ist gynosexuell, umgekehrt ist eine homosexuelle Frau gynosexuell und ein homosexueller Mann androsexuell.
Allerdings überschreiten Weiblichkeit und Männlichkeit die Einschränkungen der spezifischen Geschlechter:
- Weiblichkeit kann bei der Gynosexualität entsprechend auch durch einen femininen Mann und Männlichkeit durch eine maskuline Frau zum Ausdruck kommen.
Manche heteroflexiblen Personen sind insofern auch gynosexuell oder androsexuell. Zutreffend wäre dies beispielsweise für einen heterosexuellen Mann, der ein gewisses Nebeninteresse an Männern hat, sofern diese feminin sind.
Aber nicht jeder heteroflexible Mann ist gynosexuell oder jede heteroflexible Frau androsexuell:
- So gibt es ebenfalls heteroflexible Männer geben, die sich klar als heterosexuell erleben und doch auch durch einen maskulinen Mann angesprochen werden können. Oder heteroflexible Frauen, die ebenfalls zu einer femininen Frau Anziehung erleben können. Als heterosexuell bezeichnet werden sie dennoch, weil die Heterosexualität einen so starken Anteil ihrer sexuellen Orientierung und Identität einnimmt, dass alles andere nur ein „zusätzlich“ ist, aber eben nicht ihre Orientierung bestimmt. So wie ein Weizenbrot in seiner Gesamtheit ein Weizenbrot bleibt, auch wenn wir ein paar Körner Sonnenblumen hinzufügen. Ein Mischbrot, wo Weizen und Roggen in signifikanten Anteilen vorhanden ist, stellt demgegenüber ein Bild für Bisexualität dar.
Die folgende Ergebnisdarstellung ist aus zwei Gründen auf heterosexuelle Männer und heterosexuelle Frauen beschränkt:
- Die Anzahl der teilnehmenden nicht-binären Personen war für aussagekräftige statistische Analysen zu gering. Dies kann sich aber noch ändern, da die Umfrage weiterläuft!
- Leser:innen wurde es womöglich bereits deutlich, dass die klassischen Begriffe heterosexuell, homosexuell und bisexuell in ihrer Anwendung auf nicht-binäre Personen nicht eindeutig sind. Insofern wäre es ggf. sogar sinnvoller, die klassischen Bezeichnungen für alle komplett zu ersetzen durch Bezeichnungen wie androsexuell (Männlichkeit), gynosexuell (Weiblichkeit), skoliosexuell (Anziehung durch Nicht-Binarität), sowie pansexuell und omnisexuell. Im Grunde sind die klassischen Bezeichnungen heterosexuell und homosexuell nämlich eine komplexe Konfundierung von eigenem Geschlecht/Gender und dem präferierten Geschlecht/Gender.
- Sollten die klassischen Begriffe komplett ersetzt werden, müsste allerdings jeweils zwischen zwei Formen der Androsexualität und Gynosexualität unterschieden werden; einer binären Variante, wo Weiblichkeit mit binären Frauen und Männlichkeit mit binären Männern verbunden ist, sowie einer allgemeineren Variante, wo Weiblichkeit und Männlichkeit (wie in der aktuellen Definition) über die Geschlechter hinausgehend generalisiert, sodass beispielsweise bei androsexueller Orientierung auch eine maskuline Frau infrage käme.
Hintergründe aus unseren vorherigen Analysen zur sexuellen Orientierung von Gleichklang-Mitgliedern
Unsere bisherigen Erkenntnisse zu sexuellen Orientierungen bei Gleichklang
In einem vorherigen Artikel über die sexuellen Orientierungen bei Gleichklang hatte ich dargestellt, dass eine große Mehrheit der Mitglieder (96,2 %) nach den Angaben, die sie bei uns getätigt haben, sich gemäß der drei großen und bekannten Orientierungen Heterosexualität, Homosexualität und Bisexualität einordnen. Andererseits hatten 11,3 % derjenigen, die heterosexuell, homosexuell oder bisexuell angaben, zusätzlich weitere Kategorien zur Beschreibung ihrer sexuellen Orientierung verwandt. Außerdem gab es diejenigen, die sich jenseits von heterosexuell, bisexuell oder homosexuell verorteten, sodass insgesamt 14,7 % der Mitglieder mindestens auf zusätzliche sexuelle Orientierungen zu Heterosexualität, Bisexualität und Homosexualität zurückgriffen.
Allerdings gaben von den 87,2 % der Mitglieder, die sich als heterosexuell verstehen, lediglich 2,8 % heteroflexibel zu sein.
Dies ist jedoch – wie im Artikel dargestellt – vermutlich einfach nur Ergebnis dessen, dass die Abfrage heteroflexibel oder auch homoflexibel neu ist:
- Die meisten Mitglieder haben ihre sexuelle Orientierung anhand der neuen Kategorien noch gar nicht ergänzt. Wir wissen also derzeit (noch) nicht, wie viel Prozent der Mitglieder tatsächlich heteroflexibel sind – in ein bis zwei Jahren werden wir nahezu vollständige Angaben haben.
Darauf wollten wir dann aber doch nicht warten, weshalb wir eine für Gleichklang-Mitglieder repräsentative Umfrage durchgeführt haben.
Wie wichtig das Thema ist, zeigte mir übrigens auch die folgende Zuschrift, die ich auf meinen vorherigen Artikel erhielt:
- „Fassen wir zusammen: Viel Lärm um nichts! Ein ellenlanger Artikel zu einer absoluten Minderheit. Der Autor überzieht. Wenn das der Stil der wissenschaftlichen Redlichkeit ist, dann gute Nacht. Und der Autor schließt von einer verschwindend geringen Minderheit auf die Menschheit? 2,8 % als absolute Ausnahme von der Regel.“
Meine Antwort hierauf war (gekürzt) die Folgende:
- „Mehr als 14 % weisen nur oder zusätzlich weitere Orientierungsmerkmale auf. Das ist keine kleine Minderheit. …
Statistisch war es z.B. in Schweden vor 30 Jahren noch “anomal”, konservativ zu sein. Was schließen wir daraus?
Ich würde Ihnen raten, Begriffe, wie anomal, nicht zur Beschreibung von Varianten menschlicher Verhaltens- und Erlebensmöglichkeiten zu verwenden.“
Aktuelle Umfrage: Heteroflexibilität bei heterosexuellen Frauen und Männern
Wir befragten 500 heterosexuelle Frauen und 543 heterosexuelle Männer. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 53 Jahren, wobei die Altersspanne von 24 bis 82 Jahren reichte.
85,8 % der Frauen und 81,6 % der Männer waren Singles.
Warum waren nicht alle Singles? Manche hatten bereits über Gleichklang eine Beziehung gefunden, andere haben woanders gefunden und befinden sich nun noch bei Gleichklang auf Freundschaftssuche.
Von den Frauen hatten 96,2 % bereits mindestens eine Beziehung gehabt, während dieser Wert bei den Männern mit 83,6 % deutlich geringer ausfiel.
Es gibt also bei Gleichklang deutlich mehr sogenannte Absolute Beginner (keine Beziehungserfahrung) unter den Männern als unter den Frauen.
Eine umfangreiche Erhebung von uns mit zahlreichen Nicht-Mitgliedern von Gleichklang hatte bereits vorher gezeigt, dass Absolute Beginner offenbar allgemein häufiger Männer als Frauen sind.
Häufigkeit von Heteroflexibilität
Zur Heteroflexibilität ergaben sich nun folgende Ergebnisse:
- Von den Frauen gaben 34,0 % an, heteroflexibel zu sein, während bei den Männern 17,5 % diese Selbstkategorisierung vornahmen.
Vorgenommen wurde diese Kategorisierung, indem die Betreffenden Heterosexualität eindeutig bejahten (nein, offen, ja) und die zusätzliche Frage nach Heteroflexibilität durch eine eindeutige Bejahung oder Ankreuzen von „Offenheit“ beantworteten. Warum wurde auch „Offenheit“ als Heteroflexibilität gewertet? Eben weil diese Offenheit bereits einen Unterschied zur „reinen Heterosexualität“ ausmacht und weil im Grunde Heteroflexibilität sich geradezu durch solch eine Offenheit definiert.
Der signifikante Geschlechterunterschied weist darauf hin, dass heterosexuelle Frauen öfter aufgeschlossen sind für nicht-heterosexuelle Anziehung als heterosexuelle Männer. Dies passt gut zu Befunden, dass auch Bisexualität bei Frauen deutlich häufiger vorkommt als bei Männern.
Nicht-monogame Beziehungserfahrungen
Ein weiteres Ergebnis war, dass heteroflexible Frauen und heteroflexible Männer häufiger Erfahrungen mit konsensuellen Nicht-Monogamieformen, wie offenen Beziehungen, polyamoren Beziehungen oder Swinger-Beziehungen hatten, als nicht-heteroflexible Männer und Frauen:
- So berichteten 6,9 % der nicht-heteroflexiblen Frauen, aber 11,7 % der heteroflexiblen Frauen von offenen, polyamoren oder Swinger-Beziehungen in der Vorgeschichte.
- Bei den Männern bejahten 15 % der nicht-heteroflexiblen Befragten offene, polyamore oder Swinger Beziehungserfahrungen, während dieser Prozentsatz bei den Heteroflexiblen 32,9 % betrug.
Die statistische Analyse zeigte zweierlei:
- Erstens berichteten Männer signifikant häufiger als Frauen über solche konsensuell nicht-monogamen Beziehungserfahrungen.
- Zweitens erhöhte Heteroflexibilität bei beiden Geschlechtern die Häufigkeit konsensuell nicht-monogamer Beziehungserfahrungen.
Kurz zur Begriffsklärung:
- Bei einer offenen Beziehung können Beziehungspartner:innen Sex mit dritten Personen haben, wobei aber keine Liebesbeziehung entstehen sollen.
- Bei einer polyamoren Beziehung können mehrere sexuelle und romantische Beziehungen geführt werden.
Bei einer Swinger-Beziehung ist Sex mit dritten Personen möglich, wobei der Sex mit Dritten aber gemeinsam als Paar stattfindet. (Swinger-Beziehungen können auch als eine besondere Form der offenen Beziehung verstanden werden).
Solche konsensuellen nicht-monogamen Beziehungen sind nicht mit Fremdgehen zu verwechseln, welches einen Vertrauensbruch bei vereinbarter Monogamie darstellt.
Wir wissen aus vorherigen Umfragen, dass die verschiedenen Formen konsensuell nicht-monogamer Beziehungen miteinander korreliert sind:
- Viele Menschen, die konsensuell nicht-monogam unterwegs sind, sind also für mehrere oder alle dieser alternativen Formen aufgeschlossen.
In der aktuellen Untersuchung haben wir nicht zwischen den verschiedenen konsensuell nicht-monogamen Beziehungsformen unterschieden, sondern sie unter dem Oberbegriff „Nicht-Monogamie“ erfasst.
Heteroflexibilität und nicht-monogame Beziehungswünsche
Die Unterschiede in den Beziehungserfahrungen mit einer größeren Häufigkeit konsensuell nicht-monogamer Beziehungen in der Lebensgeschichte heteroflexibler Personen spiegelten sich ebenfalls in den Beziehungswünschen wider:
- 7 % der nicht-heteroflexiblen Frauen, aber 11,8 % der heteroflexiblen Frauen äußerten den Wunsch nach einer offenen, polyamoren oder Swinger-Beziehung.
- Bei den Männern wünschten sich 16,1 % der nicht-heteroflexiblen Befragten, aber 35,8 % der heteroflexiblen Befragten eine solche konsensuell nicht-monogame Beziehung.
Männer wünschten sich nicht-monogame Beziehungen demnach deutlich häufiger als Frauen. Neben dem Geschlecht führte aber auch Heteroflexibilität zu einer Steigerung der Häufigkeit des Wunsches nach einer nicht-monogamen Beziehung und zwar sowohl bei Männern als auch bei Frauen.
Heteroflexibilität und Polypartnersexualität
Die Untersuchung ergab außerdem, dass heteroflexible Personen sich häufiger als polypartnersexuell beschrieben, was bedeutet, dass sie dauerhaft mit Sex mit nur einer Person nicht zufrieden werden:
- Bei den nicht-heteroflexiblen Frauen bezeichneten sich lediglich 3,3 % als polypartnersexuell. Dieser Prozentsatz stieg bei den heteroflexiblen Frauen auf 12,4 % an.
- Bei den Männern bezeichneten sich 19,4 % der nicht-heteroflexiblen Befragten als polypartnersexuell, während 40,0 % der heteroflexiblen Männer angaben, polypartnersexuell zu sein.
Die statistische Analyse zeigte, dass Männer sich häufiger als polypartnersexuell bezeichneten als Frauen, wobei Heteroflexibilität aber bei beiden Geschlechtern den Anteil der polypartnersexuellen Personen signifikant erhöhte.
Erneut kurz zur Begriffsklärung:
- Monopartnersexuelle Personen können sexuelle Erfüllung finden, wenn sie in einer Beziehung sind und ausschließlich Sex mit der Beziehungspartner:innen haben. Demgegenüber erleben polypartnersexuelle Personen sich als sexuell unerfüllt, wenn gemeinsame Sexualität dauerhaft ausschließlich mit einer Person stattfindet.
Ich habe mir erlaubt, die Begriffe „polypartnersexuell“ und „monopartnersexuell“ selbst einzuführen, jedenfalls habe ich sie bisher anderswo nicht gelesen. Das Phänomen ist bekannt und ich halte es für wichtig, dass wir hierfür auch einen Begriff auf der Ebene der sexuellen Orientierung einführen.
Alle Befragten bezeichneten sich mehrheitlich als monopartnersexuell. Aber bei den heteroflexiblen Männern war es eine starke Minderheit von 40 % und bei den heteroflexiblen Frauen war es immerhin ungefähr jede achte Frau, die sich als polypartnersexuell bezeichnete.
Heteroflexibilität bedeutet also nicht, eine nicht-monogame Beziehung zu leben, zu wünschen oder sich als polypartnersexuell zu bezeichnen. Dennoch sind aber bei Heteroflexiblen die Praxis und das Interesse an Nicht-Monogamie sowie der Anteil der Personen mit polypartnersexueller Orientierung deutlich erhöht.
Im Grunde passen nicht-monogame Beziehungen und polypartnersexuelle Orientierung auch inhaltlich gut zur Heteroflexibilität, da mithilfe dieser Beziehungsformen oder durch Ausdruck dieser Orientierung sich die erlebte Neben-Anziehung durch gleichgeschlechtliche Personen leichter in der Praxis umsetzen lässt. Allerdings wird diese Notwendigkeit der Umsetzung keineswegs allgemein von Heteroflexiblen erlebt, eben weil es sich nur um einen „Nebenast“ der eigenen sexuellen Orientierung handelt.
Sexuelle Konsistenz und Zufriedenheit
Die Teilnehmenden wurden ebenfalls gefragt, wie konsistent ihr bisheriges Sexualleben mit ihren sexuellen Wünschen gewesen sei. Dabei verglichen wir die Häufigkeit der Bejahung der Konsistenz für Frauen und Männer, bei denen Erfahrungen mit Nicht-Monogamie und Wunsch nach Nicht-Monogamie übereinstimmten oder sich widersprachen – also „hatte Monogamie und wollte Monogamie“ sowie „hatte Nicht-Monogamie und wollte Nicht-Monogamie“ versus „hatte Monogamie, wollte aber Nicht-Monogamie“ sowie „hatte Nicht-Monogamie, wollte aber Monogamie“:
- 74,6 % der befragten Frauen, deren Erfahrungen und Wunsch bezüglich Monogamie/Nicht-Monogamie übereinstimmten, gaben an, dass in ihrem Sexualleben eine Konsistenz zwischen Orientierung und Praxis bestehe.
- Dieser Prozentsatz sank auf 63 % bei denjenigen Frauen, die einen Widerspruch zwischen Erfahrung mit Monogamie/Nicht-Monogamie sowie Wunsch nach Monogamie/Nicht-Monogamie beschrieben.
Ein ähnlicher Effekt zeigte sich bei den Männern:
- 74,0 % gaben eine Konsistenz an, wenn Erfahrungen und Wunsch bezüglich Monogamie/Nicht-Monogamie übereinstimmten.
- Demgegenüber gaben nur 61,1 % eine Konsistenz an, wenn ein Widerspruch zwischen Erfahrung mit Monogamie/Nicht-Monogamie sowie Wunsch nach Monogamie/Nicht-Monogamie vorlag.
Wieso geben trotz eines Widerspruchs gelebter und gewünschter Monogamie/ Nicht-Monogamie 61,1 % der Männer und 63 % der Frauen eine Konsistenz zwischen ihrer sexuellen Orientierung und der gelebten Praxis an?
Dies dürfte daran liegen, dass (1) Monogamie oder Nicht-Monogamie von vielen nicht als eine zentrale Frage der sexuellen Orientierung erlebt wird und (2) viele weitere Aspekte von Sexualität (z. B. Präferenzen für Geschlecht/Gender, präferierte Praktiken etc.) in die Gesamtbewertung der Konsistenz eingehen.
Es zeigt sich aber im Durchschnitt ein statistisch signifikanter Effekt bei Männern und bei Frauen dahin gehend, dass ein Auseinanderlaufen von Wunsch und Wirklichkeit bezüglich Monogamie/Nicht-Monogamie im Durchschnitt zu einem geringeren Konsistenzerleben bezüglich der eigenen sexuellen Orientierung und der eigenen gelebten sexuellen Praxis führt.
Was aber sind die Folgen, wenn das eigene Sexualleben als nicht konsistent mit der eigenen sexuellen Orientierung erlebt wird?
Hierzu baten wir die Befragten, den Satz auf einer Skala von 1 (starke Ablehnung) bis 4 (starke Zustimmung) einzuschätzen: „Ich habe insgesamt eine erfüllte Sexualität in Beziehungen erlebt.“
- 76,6 % der Frauen, die eine hohe Konsistenz angaben, stimmten zu, dass ihre Sexualität erfüllt sei. Bei den Männern waren dies 71,0 %.
- Aber nur 50,0 % der Frauen und sogar nur 24 % der Männer, die eine Inkonsistenz angaben, berichteten, ein zufriedenes Sexualleben gehabt zu haben.
Kein Einfluss der Heteroflexibilität auf sexuelle Konsistenz und Zufriedenheit
Demgegenüber zeigte sich weder bei Männern noch bei Frauen ein Einfluss der Heteroflexibilität selbst auf die erlebte Konsistenz/Inkonsistenz des Sexuallebens oder auf die sexuelle Zufriedenheit.
Dies bedeutet, dass nicht-heteroflexible Heterosexuelle und heteroflexible Heterosexuelle ungefähr die gleichen Chancen auf ein mit ihren Wünschen konsistentes und erfülltes Sexualleben haben. Nicht-heteroflexible und heteroflexible Personen unterscheiden sich also in der Ausrichtung ihrer sexuellen Orientierung voneinander, sie haben aber das gleiche Potenzial sexuell zufrieden zu werden.
Einfluss des Alters
Es zeigte sich ein signifikanter Einfluss des Alters auf die Häufigkeit von Heteroflexibilität bei beiden Geschlechtern – jüngere Frauen und Männer gaben etwas häufiger an, heteroflexibel zu sein, als ältere Frauen und Männer:
- So gaben 42,9 % der Frauen unter 55 Jahren an, heteroflexibel zu sein, während dieser Prozentsatz bei den Frauen im Alter von 55+ lediglich 28,5 % betrug.
Bei den Männern war der Effekt des Alters auf die Häufigkeit von Heteroflexibilität weniger stark sichtbar, aber ebenfalls statistisch signifikant:
- 19,4 % der Männer, die jünger als 55 Jahre alt waren, bezeichneten sich als heteroflexibel. Dieser Anteil der Heteroflexiblen fiel bei Männern im Alter von 55+ auf 15,0 % ab.
Einfluss des Bildungsstandes
Es zeigte sich keinerlei Einfluss des erreichten höchsten Bildungsabschlusses (von kein Schulabschluss bis Habilitation) auf die Häufigkeit der Heteroflexibilität bei Männern oder Frauen.
Einfluss der politischen Einstellung
Interessanterweise zeigte sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen politischer Einstellung und Heteroflexibilität bei den Frauen, nicht jedoch bei den Männern:
- Frauen, die sich links orientiert beschrieben, gaben häufiger an, heteroflexibel zu sein, als Frauen, die sich in der Mitte oder politisch rechts verorteten. Spezifisch bezeichneten sich unter den Frauen, die angaben, links zu sein, 37,9 % als heteroflexibel; unter den Frauen, die sich der politischen Mitte zuordneten, waren dies nur 24,4 %. Bei den in dieser Stichprobe wenigen Frauen, die sich als rechts bezeichneten, sank der Anteil der Heteroflexiblen auf 0 % ab.
Bei den Männern zeigte sich kein signifikanter Gesamtzusammenhang:
- Es gaben 20,2 % der politisch links stehenden Männer an, heteroflexibel zu sein, aber nur 12,9 % derjenigen, die sich in der politischen Mitte verorteten. Jedoch war bei den politisch rechts stehenden Männern der Anteil der Heteroflexiblen mit 11,1 % nicht mehr verschieden von denen, die in der politischen Mitte standen. Über das Gesamtspektrum der politischen Einordnung wurde so bei den Männern kein linearer Zusammenhang zwischen Heteroflexibilität und politischer Einstellung bei Männern deutlich.
(Möglicherweise besteht der Zusammenhang bei Männern auch, aber ist nicht linear, indem es zu einer größeren Häufigkeit bei politisch links orientierten Männern kommt, während eben Männer, die in der politischen Mitte oder rechts stehen, sich nicht voneinander unterscheiden. Wir werden dies noch genauer auch in Teilstichproben untersuchen. )
Einfluss von Beziehungsstatus und Beziehungsgeschichte
Weder der Beziehungsstatus (Single, in Beziehung) noch die Beziehungsgeschichte (bereits Beziehung gehabt, noch keine Beziehung gehabt) wirkten sich auf die Häufigkeit von Heteroflexibilität bei den Befragten aus.
Überlegungen zur Repräsentativität
Natürlich können wir durch eine Befragung von Gleichklang-Mitgliedern keine Bevölkerungsrepräsentativität herstellen.
Es gibt aber gute inhaltlich-statistische Argumente, davon auszugehen, dass die Ergebnisse letztlich die Situation in der Allgemeinbevölkerung in hohem Ausmaß widerspiegeln:
- Es zeigte sich keinerlei Zusammenhang der Häufigkeit von Heteroflexibilität zum Bildungsstand, Beziehungsstatus oder dem vorherigen Bestehen oder Nicht-Bestehen einer partnerschaftlichen Beziehung.
In der Umfrage waren Menschen mit hohen formalen Bildungsabschlüssen überrepräsentiert. Zudem war die große Mehrheit der Befragten Singles. Außerdem gab es in der Umfrage recht viele Menschen, die noch keine Beziehung hatten.
Da aber alle diese Faktoren nicht den geringsten Einfluss auf die Häufigkeit von Heteroflexibilität ausübten, ist es unwahrscheinlich, dass diese besondere Zusammensetzung der Stichprobe zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt hat.
Allerdings zeigte sich, dass Alter und politische Einstellung tatsächlich einen Einfluss auf die Häufigkeit von Heteroflexibilität ausübten:
- Mit wachsendem Alter nahm Heteroflexibilität bei den Befragten ab, und mit stärker links eingerichteter Einstellung nahm sie bei den Frauen zu.
Das durchschnittliche Alter der Befragten der aktuellen Umfrage betrug 53,0 Jahre. Das Durchschnittsalter der Allgemeinbevölkerung ist mit 44,6 Jahren geringer. Außerdem fehlten in der aktuellen Umfrage die Altersbereiche 18 bis 23 komplett. Dies bedeutet, dass im Hinblick auf die Altersverteilung die aktuelle Umfrage den Anteil der heteroflexiblen Befragten eher unterschätzt haben dürfte.
Umgekehrt ist die Situation jedoch bei der politischen Einstellung, wobei hier jedoch offenbar vorwiegend bei den Frauen ein Einfluss auf die Heteroflexibilität besteht:
- Bei Gleichklang sind politisch links stehende Personen erheblich überrepräsentiert. Während in der Gesamtbevölkerung die Mitte überwiegt, bezeichneten sich in dieser Umfrage 73,8 % der befragten Frauen als politisch links, 24,6 % als in der Mitte stehend und 1,6 % als politisch rechts stehend. Da bei Frauen die politische Orientierung mit der Häufigkeit von Heteroflexibilität einhergeht, ergibt sich hieraus eine Überschätzung der Häufigkeit von Heteroflexibilität von Frauen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung.
Auch bei den Männern überwiegen bei Gleichklang politisch links stehende Personen, was jedoch bei den Männern gemäß der Ergebnisse der Umfrage für die Häufigkeit von Heteroflexibilität weniger relevant ist.
Während also die Altersverteilung zu einer Unterschätzung der Heteroflexibilität in der aktuellen Umfrage führt, resultiert die Verteilung der politischen Einstellungen speziell bei den Frauen in einer Überschätzung der Häufigkeit von Heteroflexibilität.
Diese Effekte sind additiv wirksam, sodass sie sich im Wesentlichen ausgeglichen haben dürften.
Die in dieser Umfrage gefundenen Häufigkeiten von Heteroflexibilität spiegeln daher vermutlich die ungefähre Verteilung in der Allgemeinbevölkerung wider.
Die Aussagekraft der Umfrage wird aber auch ohnehin durch den Mangel an Repräsentativität nicht gemindert, weil das Ziel nicht in einer punktgenauen Messung der Häufigkeit von Heteroflexibilität bestand, sondern in der Untersuchung ihrer Relevanz.
Die Bedeutsamkeit der Thematik wird durch die vorliegenden Daten eindeutig belegt, selbst wenn Prozent-Schätzungen innerhalb der Allgemeinbevölkerung von den hiesigen Ergebnissen abweichen sollten. Wenn wir nur nach Heterosexualität fragen und Heteroflexibilität ignorieren, werden wir der Komplexität und Differenziertheit heterosexueller Erlebensweisen nicht gerecht.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Zusammenfassung der Befunde
Mehr als jede dritte befragte heterosexuelle Frau und mehr als jeder sechste befragte heterosexuelle Mann gaben an, heteroflexibel zu sein. Heteroflexibilität tritt also häufiger bei Frauen als bei Männern auf. Sie ist aber bei beiden Geschlechtern ein relevanter Faktor, der deutlich macht, dass die heterosexuelle Orientierung wesentlich heterogener ist, als die Zusammenfassung unter dem Begriff der Heterosexualität zunächst deutlich macht.
Auch Personen, die sich als heterosexuell identifizieren, können demnach eine Offenheit für sexuelle Anziehung durch nicht unmittelbar präferierte Geschlechter/Gender erleben. Heteroflexible Männer und heteroflexible Frauen unterscheiden sich von nicht-heteroflexiblen Männern und Frauen anhand ihrer Erfahrungen und Wünsche bezüglich monogamer bzw. nicht-monogamer Beziehungsformen.
Grundsätzlich berichten Männer häufiger über Erfahrungen mit konsensueller Nicht-Monogamie als Frauen und wünschen sich diese auch häufiger. Heteroflexibilität ist jedoch ein zusätzlicher Faktor, der sowohl bei Frauen als auch bei Männern mit häufigeren nicht-monogamen Beziehungserfahrungen und dem häufigeren Wunsch nach Nicht-Monogamie einhergeht.
Es handelt sich hier allerdings lediglich um signifikante Durchschnittsunterschiede:
- Obwohl Heteroflexibilität mit einer erhöhten Affinität zur Nicht-Monogamie einhergeht, gab auch eine Mehrheit der heteroflexiblen Männer und eine große Mehrheit der heteroflexiblen Frauen an, bisher über keine nicht-monogamen Beziehungserfahrungen zu verfügen und diese auch nicht anzustreben.
Es besteht zudem ein Zusammenhang zwischen Heteroflexibilität und einer polypartnersexuellen Orientierung, die sich dadurch kennzeichnet, dass Sex mit mehr als einer Person angestrebt wird:
- Heteroflexible Männer und Frauen bezeichnen sich öfter als polypartnersexuell als dies nicht-heteroflexible Männer und Frauen tun. Grundsätzlich tritt die polypartnersexuelle Orientierung häufiger bei Männern als bei Frauen auf, wobei Heteroflexibilität aber ein weiterer Faktor ist, der mit einer polypartnersexuellen Orientierung einhergeht.
Wie auch bei Erfahrungen und Wünschen bezüglich Nicht-Monogamie verneint aber dennoch die Mehrheit der heteroflexiblen Männer und Frauen eine polypartnersexuelle Orientierung.
Heteroflexibilität tritt bei Männern und Frauen häufiger bei jüngeren Personen als bei älteren Personen auf. Zudem tritt Heteroflexibilität bei Frauen häufiger auf, wenn diese sich im politisch links stehenden Spektrum einordnen. Demgegenüber zeigte sich in dieser Umfrage kein Einfluss des Beziehungsstatus (Single, verpartnert) oder auch der Beziehungsgeschichte (vorherige Beziehung, keine vorherige Beziehung). Auch der Bildungsstand scheint mit der Häufigkeit von Heteroflexibilität nicht assoziiert zu sein.
Heteroflexible und nicht-heteroflexible Männer und Frauen gaben ein gleiches Ausmaß an Konsistenz zwischen ihren sexuellen Wünschen und ihrer sexuellen Praxis über den Lebenslauf an. Ebenso berichteten heteroflexible und nicht-heteroflexible Personen ein vergleichbares Ausmaß an lebenslanger sexueller Zufriedenheit.
Psychologische Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die traditionelle Vorstellung von Heterosexualität oft die Vielfalt sexueller Orientierungen unterschätzt. Unter den Heterosexuellen ist noch einmal zwischen rein Heterosexuellen und Heteroflexiblen zu unterscheiden.
Wird dies nicht erfragt, geht der Unterschied unter – und alle Heterosexuellen erscheinen irrtümlich als gleich.
Auch für die Untersuchung von Heterosexualität ist daher Diversität ein unverzichtbares Paradigma. Fehlt die diverse Perspektive, werden wichtige Differenzierungen innerhalb der heterosexuellen Gruppe übersehen.
Heteroflexible Personen sind eine auch statistisch relevante Untergruppe der Heterosexuellen, die deutliche Unterschiede in ihren Beziehungsmustern und Beziehungswünschen zeigen. Insbesondere haben sie eine stärkere Neigung zu konsensuellen Nicht-Monogamieformen und polypartnersexueller Orientierung.
Die Umfrage legt zudem nahe, dass eine Übereinstimmung in den sexuellen Erlebensbedürfnissen entscheidend für die sexuelle Zufriedenheit ist. Daher sei es für ein glückliches Sexualleben wichtig, sich der eigenen Präferenzen bewusst zu sein und nach Partner:innen zu suchen, mit denen diese umsetzbar seien.
Bei der Partnersuche geht es daher darum, auf eine harmonische Übereinstimmung der sexuellen Wünsche zu achten, auch wenn Sexualität fraglos nur eines von mehreren Kriterien ist.
Die Ergebnisse dieser Umfrage bieten einen Einblick in die Vielfalt innerhalb der sexuellen Erlebensweisen heterosexueller Personen. Deutlich wird die Bedeutung einer offenen und diversitätsbewussten Betrachtung sexueller Orientierungen und Beziehungswünsche selbst innerhalb der Gruppe derjenigen Personen, die sich selbst als heterosexuell betrachten.
Die Ergebnisse der Umfrage geben daher Anlass zur weiteren Erforschung der Dynamiken innerhalb von Beziehungen und bieten Orientierung für zukünftige Debatten über sexuelle Identitäten und deren Einfluss auf Beziehungsgestaltung und sexuelle Zufriedenheit. Für angewandte Bereiche, wie das Online-Dating, weisen die Befunde auf die potenzielle Sinnhaftigkeit hin, innerhalb der Heterosexuellen zwischen heteroflexiblen und nicht-heteroflexiblen Personen zu unterscheiden.
Bei Gleichklang werden wir in weiteren Erhebungen versuchen zu klären, wie sich Heteroflexibilität in Abhängigkeit der Merkmale der jeweiligen Partner:innen auf die Beziehungszufriedenheit und Beziehungsstabilität auswirkt. Aktuell liegt diesbezüglich leider ein kompletter Mangel an Befunden vor.
Während wir Bisexualität explizit in das Matching einbringen, indem wir Akzeptanz für Bisexualität bei Partner:innen erheben, wird Heteroflexibilität (ebenso wie Homoflexibilität) derzeit nur als zusätzliche Charakteristik im Profil angezeigt, wenn die Betreffenden dem zustimmen. In Abhängigkeit von den Ergebnissen weiterer Befragungen werden wir künftig gegebenenfalls unser Matching erweitern.
Für Kennenlernen, Beziehungsaufbau und Beziehungsgestaltung raten wir dazu, offen über die wechselseitigen sexuellen Wünsche zu sprechen, da dies der beste Weg für echte Intimität, Verstehen und Kompatibilität ist.
Mit dem Thema von Sexualität in Beziehungen beschäftigen sich ebenfalls die folgenden Videos in unserem YouTube-Kanal:
- Sex und Liebe: Wie hängen sie zusammen?
- Psychologie der Monogamie und Polygamie
- Psychologische Tipps zur sexuellen Kompatibilität
Was sind Ihre eigenen Erfahrungen oder Gedanken zur Heteroflexibilität? Schreiben Sie sie uns unten in die Kommentare zu diesem Artikel!
Spricht Sie unser psychologischer Ansatz an und möchten Sie anderen Menschen begegnen? Wir begleiten Sie gerne bei Ihrer Beziehungssuche.
Wie ist Ihre Ansicht zu diesem Artikel? Gerne können Sie es mich wissen lassen!
Weitere Links:
Hallo Herr Gebauer, Ihren Blog habe ich direkt gelesen nach dem Buch von Julia Shaw zu Bisexualität und da stellen sich mir schon viele Fragen. Julia Shaw ordnet die betroffenen Personen eindeutig der LBGT-Szene zu, die Sie als heteroflexibel bezeichnen. Sie stellen eine unsichtbare große Gruppe von Menschen dar, die von allen Seiten angefeindet wird – von den Heteros und innerhalb von LGBT. Gefordert wird Bi-Sichtbarkeit, Bi-Prides etc. Auch wenn Sie schreiben, dass die Übergänge fließend sind – aber was bedeutet das für die Identität der Betoffenen? Freundliche Grüße C.Unger-Leistner
Vielen Dank für Ihren Hinweis.
Identität ist nach meiner Ansicht (aber auch z. B. nach der Ansicht von Sari van Anders in ihrer sexuellen Konfigurationstheorie) eine Frage, wie sich die Betreffenden selbst definieren. Es gibt in der Identität zwischen einer bisexuellen Person, die sich als LGBT definiert, und einer heterosexuellen Person, die es auch für möglich hält in bestimmten Situationen/Kontexten oder von bestimmten Personen gleichgeschlechtlich angezogen zu werden, einen erheblichen Unterschied, den wir zugestehen sollten. Der Unterschied in der Identität spiegelt in diesem Fall auch (jedenfalls quantitativ) einen Unterschied in der Orientierung wider; nämlich die Zentralität der sexuellen Anziehung, die bei Bisexuellen grundsätzlich für beide Geschlechter gegeben ist (auch wenn die Stärke schwanken kann), während die gleichgeschlechtliche Anziehung bei Heteroflexiblen dezidiert einen Nebenast darstellt, der wohl auch oft als eher hypothetisch erlebt wird. Vor dem Hintergrund des Spektrums-Begriffs ist die Zuordnung allerdings tatsächlich nicht eindeutig.
Ich halte die Bi-Sichtbarkeit für extrem wichtig, aber denke, dass wir nicht im Namen der Bi-Sichtbarkeit Menschen in eine andere Identität als die ihrige hineinzwingen sollten.