Wie hängen Selbstwertgefühl und Beziehungen zusammen?
Es gibt zahlreiche Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl („Ich habe das Gefühl, dass ich ein wertvoller Mensch bin, zumindest auf einer gleichwertigen Ebene
Ebene mit anderen“) und Beziehungszufriedenheit finden.
Eine umfassende Studie von Ruth Yasemin Erol und Ulrich Orth hat unser Verständnis über diesen Zusammenhang deutlich erweitert.
Ergebnisse
Die Psycholog:innen beobachten folgende Ergebnisse:
- Ein positives Selbstwertgefühl geht mit einer größeren Beziehungszufriedenheit einher.
- Dieser Zusammenhang besteht unabhängig von Alter, Geschlecht oder Beziehungsdauer.
Weiterhin gelangten sie aber noch zu Befunden, die uns erlauben, diesen recht pauschalen Zusammenhang besser einordnen zu können:
- Ein positives Selbstwertgefühl geht mit einem geringeren Ausmaß an ängstlicher Bindung („Ich brauche viel Bestätigung, dass ich von meinem Partner geliebt werde”) und auch mit einem geringeren Ausmaß an vermeidender Bindung („Ich versuche zu vermeiden, Partner:innen zu nahezukommen“) einher.
- Beide wiederum – verminderte ängstliche und verminderte vermeidende Bindung – gehen mit einer erhöhten Beziehungszufriedenheit einhergehen.
Übrigens gibt es in unserem Gleichklang-Testportal zwei Tests, mit denen Sie Ihre vermeidende oder ängstliche Bindung in früheren Beziehungen untersuchen können. Außerdem gibt es in diesem Blog drei vorherige Artikel, die sich mit dem Thema des Bindungsstils befassen:
- Wie gelingt mir eine sichere Bindung?
- Ängstlich-abhängiger Bindungsstil: So können Sie sich von der Angst befreien!
- Bin ich bindungsvermeidend?
Was können wir entnehmen?
Zunächst liegt sicherlich die folgende Interpretation der Ergebnisse von Ruth Yasemin Erol und Ulrich Orth nahe:
- Haben wir ein geringes Selbstwertgefühl, entwickeln wir Verlustängste in unseren Beziehungen, was unsere Zufriedenheit senkt.
- Oder aber wir trauen uns keine echte Nähe zu unseren Partner:innen zu (vielleicht, weil wir nicht verletzt werden wollen), was ebenfalls unsere Beziehungszufriedenheit senkt.
- Schließlich gibt es die, die im Sinne eines desorganisierten Stiles zwischen ängstlichem Klammern und Bindungsvermeidung schwanken, was übrigens mit einer besonders hohen innerpsychischen Belastung verbunden sein kann.
Quintessenz dieser Sichtweise – die durchaus (dies sei bereits jetzt verraten) einen Teil der Wirklichkeit widerspiegelt – ist der Rat, an einem positiven Selbstwertgefühl zu arbeiten, um die Zufriedenheit in unseren bestehenden oder künftigen Beziehungen zu erhöhen.
Bidirektionale Verbindungen
Wie so oft sehen wir uns allerdings mit der Frage konfrontiert:
- Henne oder Eier, wer war vorher da?
Senkt ein geringes Selbstwertgefühl unsere Beziehungszufriedenheit, weil wir stärker ängstliche oder vermeidende Komponenten in unserem Beziehungsverhalten zeigen?
Oder ist es es genau umgekehrt, dass eine unbefriedigende Beziehung bei uns zu ängstlichem oder vermeidendem Beziehungsverhalten führen und unser Selbstwertgefühl sinkt?
Einen Teil dieser Fragen konnte glücklicherweise vor wenigen Jahren ein Forscherteam schlüssig beantworten, indem es die Auswirkungen von Fluktuationen unseres Selbstwertgefühls auf unsere spätere Beziehungszufriedenheit einerseits, und die Auswirkungen von Fluktuationen unserer Beziehungszufriedenheit auf unser späteres Selbstwertgefühl andererseits in zeitlichen Abständen von einem Monat bis zu 10 Jahren untersuchte.
Dies sind die Hauptergebnisse:
- Selbstwertgefühl und Beziehungszufriedenheit sind relativ stabil, zeigen aber dennoch deutliche Fluktuationen im zeitlichen Verlauf, wobei die relative Stabilität beider Merkmale zudem mit wachsendem Zeitverlauf abnimmt.
- Verminderungen im Selbstwertgefühl wirken sich negativ auf unsere Beziehungszufriedenheit im Verlauf aus, wobei der stärkste Effekt nach einem Jahr auftritt, aber selbst nach 10 Jahren noch Auswirkungen beobachtbar sind.
- Verminderungen in unserer Beziehungszufriedenheit wirken sich ebenfalls negativ auf unser Selbstwertgefühl im Verlauf aus, wobei erneut der stärkste Effekt nach einem Jahr auftritt, aber selbst nach 10 Jahren noch Auswirkungen beobachtbar sind.
- Die Auswirkungen unserer Beziehungszufriedenheit auf unser Selbstwertgefühl sind etwas stärker als die Auswirkungen unseres Selbstwertgefühls auf unsere Beziehungszufriedenheit.
Die Wirkrichtung ist also bidirektional:
- Ein positives Selbstwertgefühl fördert Beziehungszufriedenheit, Beziehungszufriedenheit fördert ein positives Selbstwertgefühl.
Letztlich ist dies nicht überraschend:
- Schließlich wird die Selbst-Sicht auf unsere eigene Person maßgeblich mit davon bestimmt, wie wir uns in sozialen Interaktionen erleben. Umgekehrt gehen wir an soziale Interaktionen in Abhängigkeit von Merkmalen unserer eigenen Person unterschiedlich heran.
Der oben genannte Tipp, am eigenen Selbstwertgefühl zu arbeiten, bleibt also gültig.
Jedoch ist der Ratschlag dahin gehend zu ergänzen, dass umgekehrt direkte Beziehungsarbeit (offen kommunizieren, einander verstehen, Partnertage einräumen, neue und spannende Lebensmöglichkeiten erschließen, sexuell experimentieren – viele weitere Strategien benenne ich in meinem Buch) sich nicht nur direkt positiv auswirkt auf unsere Beziehungszufriedenheit, sondern über ihre positiven Auswirkungen auf unsere Beziehungszufriedenheit ebenfalls unser Selbstwertgefühl verbessert.
Beziehungstypen
Damit können wir verschiedene prototypische Verlaufsmuster in Beziehungen besser verstehen, wo sich Selbstwert und Beziehungszufriedenheit wechselseitig, in einem komplexen Miteinander heraufziehen oder herabziehen können:
- Beziehung als anhaltender Aufschwung: Liebende mit positivem Selbstwertgefühl begegnen einander und interagieren von einem hohen Ausgangsniveau aus in einer Weise miteinander, dass ihre Beziehungszufriedenheit steigt und damit gleichzeitig ihr Selbstwert weiter wächst, wodurch die Reise in die hohen Gefilde der Beziehungszufriedenheit angetreten wird, was ihnen eine ebensolche Steigerung ihrer Lebenszufriedenheit ermöglicht.
- Beziehung als Teufelskreis nach unten: Liebende mit geringem Selbstwertgefühl begegnen einander und interagieren von einem geringen Ausgangsniveau aus in einer Weise miteinander, dass ihre Beziehungszufriedenheit sinkt, womit ihr Selbstwert ebenfalls noch einmal reduziert wird und sie die Reise in eine Liebe als Schmerz und Leid antreten, wodurch ihre Lebenszufriedenheit immer mehr abnimmt.
- Liebe als geglückte Errettung: Liebende mit geringem Selbstwertgefühl schaffen es dennoch, eine hohe Beziehungszufriedenheit zu erreichen (z.B. durch Beziehungsarbeit, hohe sexuelle Anziehung, stabilisierende Netzwerke etc.), wodurch sie ihren Selbstwert erhöhen, ihre Beziehungszufriedenheit weiter wächst und sie so ihre Lebensunzufriedenheit in eine neue Lebenszufriedenheit verwandeln können.
- Liebe als gescheiterte Errettung: Liebende mit geringem Selbstwertgefühl erhoffen sich durch ihre Beziehung eine Verbesserung. Jedoch fallen sie in dysfunktionale Beziehungsmuster (z.B. übermäßiges Klammern, Konfliktvermeidung etc.), verschlechtern so ihre Beziehungszufriedenheit, was wiederum ihren Selbstwert weiter senkt und ihr dysfunktionales Beziehungsverhalten weiter verstärkt. So wird auch ihre Liebe einer Liebe als Schmerz und Leid.
Natürlich sind noch weitaus mehr Muster denkbar und zudem können die Effekte zwischen den einzelnen, an einer Beziehung beteiligten Personen auch unterschiedlich sein:
Partner:innen beeinflussen einander
Tatsächlich zeigte die Studie von Yasemin Erol und Ulrich Orth, dass nicht nur unser eigenes Selbstwertgefühl unsere eigene Beziehungszufriedenheit beeinflusst, sondern dass unser Selbstwertgefühl auch die Beziehungszufriedenheit unserer Partner:innen und umgekehrt das Selbstwertgefühl unserer Partner:innen unsere Beziehungszufriedenheit beeinflusst.
Jedoch ist der Effekt des eigenen Selbstwertgefühls auf die eigene Beziehungszufriedenheit stärker als der Effekt des Selbstwertgefühls von Partner:innen auf die eigene Beziehungszufriedenheit. Dabei sind die eigene Beziehungszufriedenheit und die Beziehungszufriedenheit von Partner:innen zwar miteinander im Durchschnitt korreliert, können aber auch im Einzelfall weit auseinanderfallen:
So kann es sein, dass eine Person in einer Beziehung eher heraufgezogen, die andere aber eher herabgezogen wird.
Das macht auch perfekten Sinn:
- Oft berichten Partner:innen von einer vergleichbaren Beziehungszufriedenheit, was uns nicht wundert, wenn wir berücksichtigen, dass wir uns in Beziehungen eben wechselseitig beeinflussen.
- Aber ebenso gibt es die Fälle, wo eine Seite völlig überrascht von der Unzufriedenheit der anderen Seite ist und manchmal gar aus allen Wolken fällt, weil Partner:innen sich aus einer in ihren eigenen Augen (aber nicht in den Augen der Partner:innen) glücklichen Beziehung lösen. Ein möglicher Grund kann hierfür sein, dass sich eine Person von einem geringen Niveau ausgehend stabilisiert hat (und insofern zufrieden ist), während die andere Person sich von einem höheren Niveau ausgehend verschlechtert hat (und insofern unzufrieden ist).
Die oftmals implizite Idee, dass das Erleben in einer Beziehung grundsätzlich gleich ist, kann eine Illusion sein. Explizite Kommunikation ist daher wichtig, damit nicht nur ein illusorisches, sondern auch ein echtes Verstehen eintritt.
Weg zum Beziehungs-Glück
Derweil lautet das Resümee, dass es zu jeder Zeit – auch bereits als Single – Sinn ergibt, am eigenen Selbstwertgefühl zu arbeiten. Denn dadurch verbessern wir die Chancen auf einen guten Beziehungseinstieg. Steigern wir heute unseren Selbstwert, haben wir bessere Aussichten, morgen in einer neuen Beziehung glücklich zu werden. Das gilt selbst für lange Zeitintervalle.
Jedoch liegt nicht alles an uns oder nur an uns, sondern anderes ergibt sich aus der Interaktion:
- Durch Beziehungsarbeit vom ersten Tag an erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, dass wir gemeinsam einen positiven Pfad für uns erschließen können.
Online-Dating und Selbstwertgefühl
Auch das Online-Dating kann dazu beitragen, unser Selbstwertgefühl zu verbessern, aber leider auch es verschlechtern – beides kann ich bei Coaching-Klient:innen immer wieder beobachten.
Welches Ergebnis wir erzielen, hängt dabei von unserer inneren Haltung und der Übung ab, wobei wir glücklicherweise auf beides einen Einfluss haben:
Nicht selten ist die Erfahrung, keine Resonanz zu erzielen, eine geradezu traumatische Erfahrung beim Online-Dating:
- „Ich werde nicht geliebt“, ist die selbstabwertende Interpretation.
- „Die Plattform ist schlecht“, ist die Plattform abwertende Interpretation.
- „Alle Männer sind oberflächlich“ oder „Frauen wollen nur Status“ sind Beispiele für pauschal ganze Geschlechter/Gender-Gruppen abwertende Interpretationen.
Keine dieser Abwertungen ist hilfreich:
- Wer sich selbst abwertet, senkt das Selbstwertgefühl und damit die Chance auf eine glückliche Beziehung.
- Wer die Plattformen abwertet, bricht das Online-Dating vor der Zielerreichung ab.
- Wer pauschal Frauen oder Männer abwertet, nimmt sich die Möglichkeit, zu eben diesen eine Liebesbeziehung aufbauen zu können.
Womöglich schützen die fremdabwertenden Reaktionen vor einem manifesten Abfall oder bemerkbaren Abfall des Selbstwertgefühls, erodieren jedoch gleichzeitig die Basis für eine Beziehungsfindung, wobei der Selbstwert latent dennoch gemindert wird.
Für andere wiederum ist es genau umgekehrt, dass die Erfahrung von Resonanz ihr Selbstvertrauen stärkt:
- Dies kann freilich auch vom Nutzen zum Schaden werden, wenn wir uns Plattformen suchen, wo die Selbstbestätigung vorwiegend in kurzen Kontakten erfolgt, aber keine dauerhaften Bindungen entstehen. Wir erfreuen uns an der Bestätigung, die wir erhalten, und bleiben Single.
Mehr Vertrauen und Stärke in uns selbst können wir aber erlangen, wenn wir lernen, anzunehmen, dass zur Partnersuche Enttäuschungen gehören, wir nicht von jedem geliebt zu werden brauchen (für die, die monogam suchen, genügt eine Person, und auch bei polyamorer Suche sind wenige Personen genug).
So können wir unser Dating von kurzfristiger Selbstbestätigung abkoppeln und allein auf den Moment ausrichten, wo wir einem passenden Menschen begegnen werden. Dieser Moment tritt dabei eher ein, wenn wir uns nicht zu schade sind, den ersten Schritt zu tun.
Auf den Weg zu einer nachhaltigen Beziehung begleiten wir Sie gerne bei Gleichklang:
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